Sexcomics

In den 1970er- und 1980er-Jahren entstand ein Filmgenre, dessen Existenz auf den ersten Blick widersinnig erscheint: Zeichentrick-Pornografie. War das Format bis dahin zumeist jüngeren Zuschauern vorbehalten, richtete sich das Genre eindeutig an die Älteren. Zumeist waren es eher fahrig gezeichnete Märchen-Persiflagen, die im Zeichentrickporno zu sehen waren. Titel wie „Schwänzel und Gretel“, „Reinstecke Fuchs“, „Schweinchen Fick“ oder „Dornmöschen“ erwecken heute zudem den Eindruck, dass der Film nachdem einmal der zotige Titel ersonnen war nur noch dazu produziert werden musste. Und dennoch verdeutlichen gerade diese Filme das eigentlich subversive Element der Pornografie, ist es in ihnen doch möglich, Pornotopia, das Land in dem alle immer Lust haben, jeder Lebensbereich sexualisiert und jeder Gegenstand mit einer eindeutig-zweideutigen Funktion belegt ist, dieses Land in all seinen schillernden Farben vor den Augen des Betrachters wahr werden zu lassen. Aus der Masse der Produktionen schälten sich drei Filme heraus, die sich bildästhetisch und von der Ausgestaltung ihrer Plots her stark von den zumeist deutschen Zeichentrickpornos unterschieden: Die Filme des belgischen Cartoon-Zeichners und Karikaturisten Picha.

Als richtige Pornografie sind „Schande des Dschungels“ (1973), „Das fehlende Glied“ (1980) und „Der große Knall“ (1987) ohnehin nur schwer identifizierbar. Zu sehr stehen der zotige Sprachwitz und die sexualisierten Bildinhalte im Dienst von Groteske, Film-Parodie und politischer Karikatur. Bereits der erste Film, der wohl weniger wegen dargestellten Sexualität als seiner teilweise bösartigen Bildinhalte hier in Deutschland nicht für die Jugend freigegeben wurde, verdeutlicht das: „Schande des Dschungels“ erzählt vom Dschungelkönig Tarzoon, der mit seiner üppig ausgestatteten June den Ehealltag im Urwald zu meistern versucht. Die Lage ändert sich, als die bösartige, 14-brüstige Königin Bazonga endlich etwas gegen ihre Glatze unternehmen will und June entführen lässt, um an ihr Haupthaar zu kommen. Tarzoon eilt ihr zur Hilfe, wird jedoch von drei Wissenschaftlern, die sich im Urwald aufhalten um seine Existenz zu beweisen, aufgehalten. Dass am Ende alles gut geht, verdankt der Held allein dem Zufall, dass sich die Waffen der Königin – hüpfende Penis-Soldaten – gegen diese selbst wenden.

Der zweite Filmen, „Das fehlende Glied“ ist gleichzeitig der unterhaltsamste der Reihe. Er beschreibt die Welt zur Zeit der Dinosaurier, in die auch die Geburt des Menschen gelegt wird. „O“, so der Name des Titelhelden, ist ein von seiner Urhorde verstoßener Junger Mann auf der Suche nach sozialem Anschluss. Ihm beigesellt ist der Brontosaurier Igua, der ebenfalls von seiner Familie verstoßen wurde. Während die Ur-Menschheit vor sich hin dümpelt und sich in kriegerische Handlungen mit den friedlichen und freundlichen Neandertaler-ähnlichen Nolobs begibt, machen O und Igua eine Erfindung und Entdeckung nach der anderen, die die Menschheit voranbringen könnte. Wenn da nicht der verdammte Herdentrieb und die Libido wären, denen die beiden einsamen Singles beständig nachjagen müssten.

„Der große Knall“ schließlich erzählt vom Superhelden Fred, der von Galaktischen Rat auf die Erde geschickt wird, um einen 4. Weltkrieg zu verhindern. Nachdem sich die Menschheit in einem atomaren Gefecht beinahe selbst ausgelöscht hat und von der Erde nur noch zwei Kontinente übrig geblieben sind, auf denen jeweils Männer und Frauen leben, ist ein neuer Streit eskaliert. Er hat sich an der immerwährenden Frage entzündet, ob denn nun Frauen oder Männer das herrschende Geschlecht seien. Um der jeweiligen Sichtweise Nachdruck zu verleihen haben die Männer eine riesige penisförmige Atomrakete mit der Bezeichnung „Der Große“ erbaut und die Frauen eine ebenso monströse fliegende Kombination aus Brust und Vagina. Bevor diese zum Einsatz kommen, entbrennt jedoch ein konventioneller Krieg, in dem die groteskesten sexualisierten Waffengattungen am Gegner erprobt werden. Zwischendrin hat es Superheld Fred längst aufgegeben, Frieden stiften zu wollen und die schöne Geliebte des Männer-Präsidenten entführt. Dass gerade dies den Konflikt noch weiter anheizt, weil nun jede Seite glaubt, Fred sei ein Spion des Gegners, hat weder er noch der galaktische Rat vorausgesehen.

Alle drei Filme halten sich zeichnerisch eher auf mittlerem Anspruchsniveau. Mehr Wert wird auf die Ausgestaltung der Stories und den grafischen Erfindungsreichtum gelegt. Um Sex geht es zentral in jedem der Filme – dass dieser jedoch den Umständen entsprechend immer anders ausfällt und damit kaum für erotische Atmosphäre sorgt, ist das zentrale Problem aller drei Filme. Was die aus der Zeichentrick-Pornografie bekannte Anthropomorphisierung von Körperteilen angeht, erweist sich Picha als besonders einfallsreich: Hüpfende Riesenpenisse („Schande“), penisförmige Roboter, die aus Hitler-Spermien und japanischen Kleinwagen gekreuzt wurden, fliegende Riesenbrüste usw. Das Repertoir an Einfällen auf dem sexualkundlichen Gebiet ist in den Filmen schier endlos. Und keine Gelegenheit wird ausgelassen, die Figuren und ihre Handlungen mit einer Prise Gegenwarts- und Vergangenheitskritik zu versehen. Das nimmt sich mal sehr vordergründig, wie im beißenden Spott über den Rüstungswahn in „Der große Knall“ aus, oder subtiler in den Auslassungen über Konservativismus, Arbeitsethos oder pathologischen Pazifismus friedensbewegter Neandertaler. Zu guter Letzt schießt jeder der Filme durch reihenweise karikierende Allusionen und Zitate auch auf die Filmgeschichte.

Mit seinen drei Filmen hatten Picha und sein Produzent Boris Szulzinger jeweils beachtlichen Erfolg und konnten allein in Deutschland Millionen Kinobesucher verzeichnen. Die Produktionen verfügten allerdings auch über das notwendige Personal. So haben sich für die englischen Synchronisationen etwa Stars wie John Belushi, Bill Murray und Christopher Guest verpflichten lassen. Den Tarzoon spricht niemand geringeres als der Sohn des Tarzan-Darstellers, Johnny Weißmüller Jr. und den überaus eingängige Soundtrack zu „Das fehlende Glied“ stammt von den seinerzeit recht populären Musikern Leo Sayer und Rick Wakeman. Dass die Filme so lange Zeit nur als die üblich verstümmelten Videokassetten zu sehen waren, ist daher umso erstaunlicher. Einzig von „Das fehlende Glied“ gab es eine französische DVD mit dem Titel „Le Cahinon Manquant“, auf der sich aber lediglich der Film mit französischer Tonspur befindet.

Der Verleih WVG Medien hat nun alle drei Filme gleichzeitig in Deutschland herausgebracht – „Der große Knall“ und „Das fehlende Glied“ leider ausschließlich mit deutscher Tonspur, aber alle drei in hervorragender Bildqualität. „Schande des Dschungels“ enthält zusätzlich die französische Tonspur und eine bislang nicht veröffentlichte Director’s-Cut-Fassung des Films. Angesichts der Möglichkeiten, die das Medium bietet, eben auch weitere Tonspuren und werkhistorische Extras auf die DVDs zu bannen, lassen sich die drei Veröffentlichungen leider nur als „erster Schritt“ bezeichnen, das weitgehend marginalisierte Werk Pichas wieder ans Tageslicht zu bringen. Dennoch ist schon allein die Tatsache der Veröffentlichung selbst ein freudiger Grund und die niedrigen Verkaufspreise der DVDs sollten dazu einladen, diesen besonderen Ausschnitt aus der Geschichte des erotischen Zeichentrickfilms wieder zu erinnern und zu würdigen.

Tarzoon – Schande des Dschungels
(Tarzoon, la honte de la jungle, F/B 1975)
Regie: Picha & Boris Szulzinger; Kamera: Raymond Burlet; Schnitt: Claude Cohen
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O – Das fehlende Glied
(Le chaînon manquant, F/Be 1980)
Regie: Picha; Buch: Tony Hendra; Musik: Alan Brewer & Anna Pepper; Schnitt: Claude Cohen
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Der große Knall
(Le big-Bang, F/Be 1987)
Regie: Picha; Buch: Picha & Tony Hendra; Musik: Roy Budd; Schnitt: Nicole Garnier
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