Die Depression nach dem Wirtschaftswunder

In einem Monat, in dem Autos als fahrende Fahnenmasten in Erscheinung treten, wirkt eine Serie wie „PS – Geschichten ums Auto“ noch fremdartiger als sie es rund 30 Jahre nach ihrer Entstehung eh schon ist. Keine Rede ist hier von Ökosprit, Navigationsgeräten, Klimaanlagen oder Freisprechanlagen, völlig abwesend sind pastellene Trendfarben, ornamentale Felgen und aerodynamische Formen. Wenn hier Schäden mit Kfz-Mechanikern diskutiert werden oder der Verkäufer die Vorzüge des Gefährts preist, dann meint man, ein Auto würde von einem vierschrötigen Herrn im grauen Kittel nach den Lehren einer geheimen Wissenschaft aus einem riesigen Brocken Eisenerz herausgemeißelt, nur um dann wie durch Geisterhand in Bewegung zu geraten. Um die Befremdung, die den Zuschauer dieser Serie unweigerlich ereilt, verständlich zu machen: Das Auto wird in „PS – Geschichten ums Auto“ als technisches Mysterium dargestellt und als Statussymbol, das eine einfache Familie an den finanziellen Abgrund führen kann. Aber verkörpern soll diese Eigenschaften ausgerechnet ein Fiat Amalfi …

Familie Schmitting möchte sich ein neues Auto kaufen. Im Autohaus Neubert lässt sich der gutgläubige Herr Schmitting (Gerd Baltus) statt des ausgesuchten kostengünstigen Modells den zwar teureren, aber auch ungleich komfortableren Amalfi aufschwätzen. Nach dem Ausrechnen des effektiven Jahreszinses am heimischen Küchentisch ist die Euphorie verpufft, aber alle Versuche, aus dem Vertrag auszusteigen, prallen an dem paragrafenfesten Herrn Neubert (Günter Pfitzmann) ab. Dieser hat das Geschäft eben erst von seinem verstorbenen Vater übernommen (der vielleicht nicht ganz unabsichtlich Ähnlichkeiten mit Adenauer aufweist) und wechselt den freundlichen, familiären Kurs sogleich zugunsten einer stärkeren Gewinnorientierung. Das ist aber nur der Beginn eines langen Albtraums für die Familie Schmitting, denn der Amalfi entpuppt sich als absolut unzuverlässig und fehleranfällig. Und währenddessen sorgen die Bestrebungen Herrn Neuberts innerbetrieblich für Konflikte …

Die erste Staffel von „PS – Geschichten ums Auto“, acht Folgen von 50 bis 80 Minuten Länge, ausgestrahlt im Jahr 1975 (es gibt noch zwei weitere Staffeln, die letzte lief 1979), ist in vielerlei Hinsicht beachtlich. Zum einen aus historischer Sicht: Zeitlich zwischen den Polen „Ölkrise“ und „Deutscher Herbst“ eigekeilt, verknüpft die Euphorie und Fortschrittsbegeisterung der Nachkriegsjahrzehnte mit einer Skepsis, die man aus der Science Fiction und aus politischen Dystopien kennt. Allerdings wird diese Skepsis hier ausgerechnet dem Auto und damit einem Alltagsgegenstand entgegengebracht, auf den heute nur die wenigsten verzichten möchten, der vielerortens gar kultische Verehrung erfährt. Aber auch strukturell verblüfft „PS – Geschichten ums Auto“. Trotz des käsig-grauen Flairs, den nur deutsche Serien aus den Siebzigerjahren aufweisen, ist die Serie ihrer Zeit in dramaturgischer Hinsicht weit voraus. In ihrem mäandernden Storyverlauf und ihren unvermittelten Perspektivwechseln lässt sie sowohl an die in den Achtzigerjahren aufkommenden Soap Operas als auch an die heute angesagten Serien mit ihren weit gespannten Narrationsbögen denken. So steht die Familie Schmitting in den ersten beiden Folgen im Zentrum des Geschehens, verschwindet dann für zwei Episoden vollkommen aus der Serie, um Platz für die Konflikte und Intrigen im Autohaus Neubert zu machen, nur um dann wieder ihre Hauptrolle einzunehmen. Wäre das alles nicht so urdeutsch und damit auch irgendwie seltsam beengt und streng, wäre man fast versucht von „Epik“ zu sprechen.

Diese Enge materialisiert sich nicht nur in den tristgrauen Settings, den grünbraunen Cordhosen, schweren braunen Schrankwänden, dem Zigarettenqualm, der durch die kargen Büros weht, den Cognacs und Likörs, die Geschäftsmann Neubert zum guten Gespräch gern reicht, und den wächsernen Gesichtern seiner Darsteller, sondern vor allem darin, dass alles in „PS – Geschichten ums Auto“ rein diskursiv verhandelt wird, sich – des Sujets zum Trotz – kaum etwas bewegt: Es wird so viel geredet, diskutiert und argumentiert, teilweise so detailversessen und fachspezifisch, dass man sich als Zuschauer fühlt, als läge man zwischen Aktendeckel und Gesetzestexte gepresst in einem nach Bohnerwachs und Staub riechenden Verwaltungsgebäude. Jedes Für, das die Geschichte weiterbringen würde, hat sein Wider, das unweigerlich zurück in die Sackgasse führt. So solidarisiert sich der Zuschauer mit dem armen Herrn Schmitting, dessen Bemühungen, sich aus der Misere zu befreien, allesamt damit enden, dass er sich nur noch tiefer in diese hineinreitet (nebenbei steht er auch vor dem beruflichen Aus, weil er als Filialleiter einer kleinen Drogerie seinem Chef, der mit großen Ketten konkurrieren muss, zu viel Geld kostet). In dieser warnend-mahnenden Eigenschaft erinnert die Serie mehr als einmal an eine fiktionalisierte Variante einer Verbraucherschutzsendung. Tatsächlich liegt sie ästhetisch-formal irgendwo zwischen „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ und „Der siebte Sinn“. Dass „PS – Geschichten ums Auto“ dennoch nicht nur die Ressentiments des Bild-Zeitungs-Lesers anspricht, verdankt die Serie ihrem wechselnden Fokus. Es gibt für jeden Herrn Schmitting, der möglichst wenig Geld für sein Auto ausgeben möchte, einen Herrn Neubert, der einen mittelständischen Betrieb zu führen und Verantwortung für seine Angestellten zu übernehmen hat. Und so markiert die Serie vielleicht auch ein frühes Zeichen der Bewusstwerdung des sich über die nächsten Jahrzehnte vollstreckenden wirtschaftlich-gesellschaftlichen Wandels auf dem Weg von der sozialen Marktwirtschaft des Wirtschaftswunders hin zum Neoliberalismus der Gegenwart.

Alles an „PS – Geschichten ums Auto“ ist reine Dialektik: Ein Amalfi steht für die Verheißungen des Fortschritts, statt des Geschwindigkeitsrausches auf der Autobahn gibt es einen Motorschaden in Österreich, statt klarer Konfliktlösungen zermürbende Grabenkämpfe, die mit dem faulen Kompromiss enden. Nachdem Familie Schmitting vor einem Berg von Schulden und einem kaputten Auto steht, kommt ihnen die Idee: Wozu brauchen sie denn ein Auto, wenn man damit eh nur Ärger hat und die Vorteile angesichts von Parkplatznot und ständigen Staus eh fragwürdig sind? Beflügelt von dem Gedanken, die Ursache ihrer Sorgen endlich los zu sein, malen sie sich das neue Dasein als Fußgänger wie eine leuchtende Utopie aus. Der Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft scheint so leicht! Auf, zur Sonne, zur Freiheit! Doch dann folgt unbarmherzig der Schnitt und wir sehen Herrn Schmitting im Regen stehen, von einem Fuß auf den anderen wippend, um sich warmzuhalten, auf den Bus wartend, der nicht kommt. Deutschland 1975: Stillstand.

PS – Geschichten ums Auto (1. Staffel)
(Bundesrepublik Deutschland 1975)
Regie: Claus Peter Witt, Drehbuch: Robert Stromberger, Kamera: Bernd Schofeld, Musik: Rolf Kühn
Darsteller: Gerd Baltus, Günter Pfitzmann, Liane Hielscher, Karl-Heinz Hess, Eva Zionitzky, Benno Sterzenbach, Herbert Fux
Länge: ca. 600 Minuten
Verleih: ALIVE/Studio Hamburg

Zur DVD von ALIVE/Studio Hamburg

Die erste Staffel der Serie findet sich auf insgesamt vier DVDs verteilt. Bild und Ton sind in Ordnung, man sollte keine technischen Wunder erwarten, aber darum geht es bei dieser Veröffentlichung ohnehin nicht. Extras gibt es auch nicht.

Zur technischen Ausstattung der DVDs:
Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Keine
Länge: ca. 600 Minuten
Freigabe: Ab 12
Preis: 27,95 Euro

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