Around the World in 14 Films – I travel because I have to, I come back because I love you

Der Geologe José begibt sich für 30 Tage ins Niemandsland der brasilianischen Wüste. Dort soll er erkunden, wie sein Arbeitgeber in dieser verlassenen Region einen Kanal bauen könnte. José wird diesen Auftrag rasch vergessen – ist er seinem Arbeitsplan zunächst einen halben Tag voraus, so hinkt er den Vorgaben bald schon fünf Tage hinterher.
I travel because I have to, I come back because I love you ist ein Road Movie – hier geht es also zuvorderst um die Erkundung des Selbst statt um die Erkundung eines möglichen Kanalbetts. José, dessen melancholische Tagebuch-Einträge wir im Voice-Over-Kommentar hören, versinkt in einer Depression. Seine Frau hat ihn verlassen, alles erinnert ihn an sie – und er weiß nicht, ob diese Reise (die er mal umgehend abbrechen und mal für immer andauern lassen will) alles nur noch schlimmer machen oder ihn ins Leben zurückführen wird.

José hat sich in seinem Leben merklich verfahren und kann die richtige Ausfahrt nicht finden. Sein Ziel – die Kanalplanung – tritt schnell in den Hintergrund, stattdessen hält er immer wieder an: Bei Prostituierten, Familien, Märkten und Matratzenmanufakturen. Seine Gedanken schweifen, flüchten vor dem Schmerz, der ihn zu Hause erwartet. I travel because I have to, I come back because I love you hat also durchaus eine Geschichte zu erzählen – und doch ist dieses Werk von Marcelo Gomes und Karim Ainouz vor allem ein Konzeptfilm, ein Experiment.
Die Bilder stammen größtenteils von einer privaten Reise der beiden Regisseure aus dem Jahr 1999 – der Plot wurde erst ein Jahrzehnt später ergänzt. Wir haben es hier also mit privatem, zumeist dokumentarischem Material zu tun, das zunächst eher beiläufig und ohne künstlerische Intention aufgenommen und erst deutlich später durch einen fiktiven Plot unterfüttert wurde.

Die Bilder haben mit einem klassischen, professionellen Kino-Look nichts gemeinsam. Die mit einem ganzen Arsenal disparater Formate – 8mm, 16mm, Digicam, Standfotos – gemachten Aufnahmen sind unscharf, verwackelt und von Störungen durchzogen. Gerade das verstärkt jedoch den vom Drehbuch anvisierten Eindruck der privaten Erinnerungen eines Video-Tagebuchs.
Häufig ist die Kamera direkt ans Auto montiert – der Wagen, der aktiv die Landschaft durchfährt, wird hier also gegenüber dem passiven, von Depressionen gelähmten Protagonisten zum eigentlichen Akteur des Films. Überhaupt bekommen wir die Hauptfigur, den Erzähler, nie zu Gesicht – er bleibt hinter der Kamera und damit visuell abwesend.
Gerade diese Leerstelle ist es jedoch, die inmitten eines ansonsten schwierigen, viel von seinem Zuschauer fordernden Experimentalfilms einen Raum für affektive Identifikation bietet. Hier ermöglicht der Film die emotionale Einbindung (suture) des Zuschauers – die abwesende Hauptfigur wird zur Projektionsfläche. Denn wer hat sich nicht schon einmal auf Abwegen befunden und verirrt – und schließlich die Erfahrung gemacht, dass man die Hauptstrecke doch irgendwann wieder findet und es schafft weiter zu fahren?

I travel because I have to, I come back because I love you
(Viajo Porque Preciso, Volto Porque te Amo, Brasilien 2009)
Regie: Marcelo Gomes, Karim Ainouz; Drehbuch: Marcelo Gomes, Karim Ainouz; Kamera: Heloísa Passos; Schnitt: Karen Harley
Länge: 71 Min.
Verleih: Figa Films

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