ALLEN – die Neunundreißigste …

Der Meister ist alt geworden. Nächstes Jahr feiert Woody Allen seinen siebzigsten Geburtstag. Doch das hält ihn nicht davon ab, mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerkes, weiterhin mindestens ein bis zwei Filme pro Jahr zu drehen. So wie er es immer gemacht hat in den letzten fünfunddreißig Jahren.

Allen hat einen einzigartigen Sonderstatus in amerikanischen Filmindustrie: Er kann so ziemlich alles tun, was er will. Er schreibt ein neues Buch. Es wird verfilmt. So wie er es geschrieben hat. Ohne, dass ein Rudel von Development Executives daran herumfeilt, wie es sonst in den Hollywoodstudios üblich ist. Ein traumhafter Zustand. Auf diese Weise bringt es das das beeindruckende Oeuvre dieser Ikone aller Autorenfilmer mittlerweile auf stolze 39 Filme; zwei weitere sind bereits in Pre- bzw. Postproduktion. Und das sind nur jene bei denen Allen auch selber Regie geführt hat. Zählt man seine verfilmten Drehbücher hinzu und jene Filme, in denen er selbst nur als Darsteller mitgewirkt hat, bringt er es locker auf über sechzig.

Bei einer derartigen Materialfülle bleibt ein gewisser Grad an „Recycling“, an Wiederverwertung, nicht aus. Und tatsächlich erscheinen einem gerade in den letzten zehn Jahren die Ähnlichkeiten der von Allen kreierten Film-Universen immer eklatanter. Stets dreht es sich um neurotische Männer – in der Regel gespielt von Allen – und ihre Probleme mit ähnlich neurotischen Frauen. Was variiert sind nur die Rahmenhandlung, das Genre und die Darsteller, die neben Allen die Leinwand bevölkern.

Sein jüngster Wurf Anything Else, der nun mit reiflicher Verspätung auch bei uns in den Kinos anläuft, ist sogar ein Vollzitat eines seiner Meisterwerke: Mit Annie Hall setzte Allen sich selbst und der hinreißenden Diane Keaton 1977 ein Denkmal in der Filmgeschichte. Mit Anything Else droht er nun, es niederzureißen. Denn das Remake, das in den USA bereits im September vergangenen Jahres anlief, wirkt wie der Versuch, einer abgestandenen Cola mit einer frischen Dose neues Leben einzuhauchen. Doch Filme sind leider auch immer Zeitphänomene. Ende der Siebziger war Allens schonungslose Offenheit im Umgang mit seinen eigenen Neurosen und denen der jüdischen New Yorker Intellektuellen, jener Schicht, in denen sich beinahe alle seiner Filme bewegen, innovativ und gewagt. Heute rufen seine Freud-Zitate, seine Sitzungen beim Analytiker und seine Witzchen über den Holocaust allenfalls ein Gähnen hervor.

Auch die neue „Dose“ wird daran nichts ändern. Die hochtalentierte Christina Ricci und der leider nicht halb so talentierte Jason Biggs, die die Rollen von Keaton und Allen in dem neuen Werk übernehmen, mühen sich sichtlich ab mit Allens gestelzten und unkomischen Dialogen. Sie wirken wie Schauspielschüler in einer misslungenen Improvisationsübung, und man wartet förmlich darauf, dass irgendwo ein genervter Schauspielcoach in die Hände klatscht, um dem Trauerspiel ein Ende zu setzen.

Das größte Problem ist, dass Allen sich bei seiner Neuverfilmung nicht die Mühe gemacht hat, einmal über den eigenen Brillenrand hinwegzuschauen und zu erkennen, dass sich die Jugend in den über 25 Jahren seit Annie Hall doch entscheidend verändert hat. So wirkt denn sein Alter Ego Biggs, alias Jerry Falk, im Film wie ein Siebzigjähriger gefangen im Körper eines 26-jährigen.

Die Story ist schnell erzählt: Jerry Falk, alias Biggs, verdient als Gagschreiber für New Yorker Stand-up Comedians sein Geld, ebenso wie sein väterlicher Freund David Dobel (Allen). Jerrys Karriere läuft ganz okay in Anbetracht der Tatsache, dass sein Manager Harvey (Danny de Vito) eine Niete ist und ihn außerdem seit Jahren abzockt. Doch Jerry hat ein großes Problem: Er kann einfach niemanden verlassen. Dies gilt für Harvey ebenso wie für seine Freundin Amanda (Christina Ricci), der er hoffnungslos verfallen ist. Zwischen den beiden läuft seit über einem Jahr im Bett überhaupt nichts mehr, während ihr Zusammenleben in der gemeinsamen Wohnung zu einer nervtötenden Dauertherapiestunde für Amandas neurotische Anwandlungen verkommen ist. Als sie dann auch noch ihrer völlig überspannten Mutter (Stockard Channing) erlaubt, bei ihnen einzuziehen, müsste das eigentlich Grund genug sein für Jerry, endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Doch, wie gesagt, er kann einfach „niemanden verlassen“ und leidet daher lieber still vor sich hin.

Sein „Leid mit der Leidenschaft“ klagt er nur seinem wenig hilfreichen Therapeuten und seinem Buddy Dobel, der auch immer wieder wohlgemeinte Ratschläge für ihn auf Lager hat. Leider ist Dobel selbst jedoch mit einer heftigen Angstneurose und einem wenig kontrollierbaren Aggressionsproblem behaftet, so dass Jerry daran zweifelt, ob er ihn überhaupt ernst nehmen kann. Doch der Tag der Rettung scheint nah: Dobel bekommt ein Angebot aus Hollywood. Man möchte die beiden als Gagschreiber-Team für eine Comedy Show anheuern. Die Chance zu einem sauberen Bruch und einem neuen Start erscheint verheißungsvoll am Horizont. Jerry muss nur noch Amanda verlassen und seinem Manager erklären, dass er den Vertrag mit ihm nicht verlängern will. Doch Jerry wäre nicht Jerry bzw. Allen wäre nicht Allen, wenn das alles so einfach wäre, wie es klingt …

Bis heute gelingt es Allen immer wieder reihenweise namhafte Schauspieler für seine Projekte zu gewinnen und dazu zu bringen, für einen Bruchteil ihrer sonst üblichen Gagen zu arbeiten. Es ist eben immer noch ein Gütesiegel in Hollywood, mal in einem „echten Allen“ mitgespielt zu haben. Ob man sich jedoch heute noch als Schauspieler damit einen Gefallen tut, steht auf einem anderen Blatt. Christina Ricci, die zuletzt noch so beeindruckte in Monster, und die so wundervolle Präsidentengattin des West Wing, Stockard Channing, hätten jedenfalls für ihren Schauspielerinnenlebenslauf gut auf den kleinen Allen Exkurs verzichten können.

Es steht außer Frage, dass Woody Allen ein lebender Mythos ist. Dass wir ihm große Momente der amerikanischen Filmgeschichte zu verdanken haben. Aber seine Filme sind längst nicht mehr die Publikumsmagneten, die sie einmal waren. Und auch die Kritiker stehen ihm zunehmend gespalten gegenüber. Vielleicht ist es doch allmählich an der Zeit, sich zur Ruhe zu setzen – bevor der „Allen Bonus“ vollends aufgebraucht ist.

Anything Else
(USA 2003)
Buch und Regie: Woody Allen
Kamera: Darius Khondji; Schnitt: Alisa Lepselter
Darsteller: Woody Allen, Jason Biggs, Christina Ricci, Stockard Channing, Danny de Vito
Dreamworks/ Canal + u.a.
Länge: 108 Minuten

Marion Kotzenberg

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