All diese Farben, die nie verblassen

Am Anfang steht ein Zitat, in Form eines kleinen Origami-Einhorns. Ein solches nämlich hatte Rick Deckard, dem „Blade Runner“ aus Ridley Scotts 1982er Meisterwerk, Aufschluss darüber gegeben, dass er selbst ein Replikant war. Einer jener androidischen Sklaven, denen die Menschen ein knapp begrenztes Leben geschenkt haben, einer von jenen, die er Zeit seines Lebens gejagt und getötet hat. Deckard schaut das Einhorn nur einen Moment lang an, nickt dann und betritt den Fahrstuhl, in dem die schöne Rachael auf ihn wartet. Die Fahrstuhltüren schließen sich, der Film ist (zumindest in der Director’s-Cut-Fassung) zu Ende. „I.K.U.“, jenes „Sci-Fi Porn Movie“ von der als Video-, Multimedia- und Internetkünstlerin bekannt gewordenen Shu Lea Cheang, beginnt an diesem Punkt erst. Bis zum Schließen der Türen folgt Cheang noch dem Vorbild, doch dann schneidet sie in den Innenraum des Fahrstuhls, wo sich jener heiße Sex ereignet, den Ridley Scott noch der Phantasie des Publikums überließ.

Aber die Analogie zu „Blade Runner“ nutzt „I.K.U.“ (ein Akronym aus dem japanischen iku = Ich komme!) nur als Startbahn für einen wilden Flug durch das Universum von Porno und Popkultur, denn von hier an geht der Plot (ja, es gibt zumindest so etwas ähnliches) eigene Wege: Die Replikantin Reiko sammelt Informationen für eine Orgasmus-Datenbank in Diensten der Genom Corporation, indem sie mit so vielen Menschen wie möglich schläft. Doch nachdem sie sich mit dem Virus Tokyo Rose ansteckt, erleidet ihr implantierter I.K.U.-Chip einen kompletten Datenverlust und Reiko muss ihr System neu starten lassen… Eine eher schlichte Story natürlich, die sich als grelles Pastiche zahlreicher klassischer und nicht so klassischer SF-Streifen geriert. Und doch bietet Shu Lea Cheangs Film eine sehr ernst zu nehmende Antwort auf die Frage, ob und wie Porno Kunst sein kann.

Ja, „I.K.U.“ ist zweifellos ein richtiger Porno, daran lässt bereits der Untertitel („This is not love. This is sex.“) wenig Zweifel. Und ja, es ist ebenso zweifellos ein Kunstfilm. Cheangs Vorschlag für eine künstlerische Pornographie liegt in konsequenter Ästhetisierung, ihr Film ist ein umwerfendes Bildergewitter. Für jede Sequenz findet sie einen ganz individuellen, originellen Look – am schönsten wohl eine vorgeblich durch ein Aquarium gefilmte Nummer, während der ständig Fische durchs Bild schwimmen. Manch ein Sexakt erinnert bei Cheang gar an eine Tanzchoreographie, an der auch die ständig bewegte, sich immer auf der Suche nach der nächsten ungewöhnlichen Perspektive befindliche Kamera teilnimmt. Der Pornofilm als Kunst wird bei Shu Lea Cheang zum Bewegungskino, zum Rausch aus Farben, Bildern und Klängen, den die Künstlerin obendrein auch inhaltlich von der prosaischen Dienstleistungsfunktion als Masturbationsvorlage ablöst. Denn „I.K.U.“ hat letztlich keine Zielgruppe; in allen Variationen und Konstellationen von straight über schwul und lesbisch bis transgender wird hier gevögelt. Diese Verschiebung hin zu einer anderen Rezeptionsweise scheint durchaus planvoll, was die Filmemacherin selbst auch bestätigt: „This film is not made for masturbation. It’s made for collective orgasm.“

Dieser Text ist erstmals auf der Website des goon Magazin erschienen.

I.K.U.
(Japan 2000)
Regie & Buch: Shu Lea Cheang; Kamera: Tetsuya Yamoto; Schnitt: Kazuhiro Shirao
Darsteller: Aja, Akira, Miho Ariga, Myuu Asô, Akechi Denki u. a.
Länge: 74 Minuten
Verleih: Alive!

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