Abgesoffen

Der klassische Katastrophenfilm vereinte stets zwei Motive: die Ohnmacht des Menschen vor der übermächtigen und unbezähmbaren Natur und die Angst vor dem trügerischen Segen der Technik. In den technischen Errungenschaften des Menschen – Schiffe, Hochhäuser, Flugzeuge – spiegelt sich seine Hybris, die im Verlauf der Hnadlung den Zorn eines alttestamentarischen Schöpfergottes in Form von Erdbeben, Feuersbrünsten, Sturmfluten und Wirbelstürmen auf sich zieht. In einem Jahrzehnt wie den 70ern, das durch die Ölkrise und innenpolitische Skandale geprägt war, war der Katastrophenfilm der perfekte Katalysator für den aufkeimenden Zivilisationspessimismus.

In Wolfgang Petersens Remake von Ronald Neames Katastrophenfilm-Klassiker „Poseidon Inferno“ von 1972 sind solche Subtexte beinahe zwangsläufig völlig abwesend. Folgerichtig behauptet Wolfgang Petersen, ihn habe an der Geschichte vor allem interessiert, wie Menschen sich in Extremsituationen bewähren. Das ist ebenso banal wie unverbindlich, lässt sich diese Frage doch beinahe an jeden Action- und Abenteuerfilm stellen. Zumal die Figuren in diesem Film nicht mehr als Requisiten sind. Da mutet es fast wieder konsequent an, dass die Angst vor der Technik im Katastrophenfilm allenfalls noch als leere Behauptung, als bloße erzählerische Konvention vorhanden ist. Auch „Poseidon“ vertraut so massiv auf den Einsatz von CGI-Effekten, dass alles andere demgegenüber hinten angestellt wird. Eine nur logische Konsequenz des gegenwärtigen Remake-Wahns, der zuallererst vom Wunsch nach technischer Erneuerung lebt.

Dennoch muss immer wieder erstaunen, dass selbst ein Regisseur der alten Schule wie Petersen, dessen „Das Boot“ seine Kraft ja gerade aus seinen Charakterzeichnungen bezog, in „Poseidon“ gerade in diesem Bereich völlig versagt. Schon nach den ersten 15 Minuten sind alle Charaktere vollständig erschlossen, mehr als Klischees kommen dabei natürlich nicht heraus. Es gibt den überprotektiven Vater, die Tochter, die die Nase voll davon hat, von ihm bevormundet zu werden, den egoistischen Draufgänger, der eine Wandlung zum selbstlosen Führer durchmacht, die hysterische blinde Passagierin – nebenbei eine mehr als unglaubwürdige Kombination – , den lebensmüden Millionär und den saufenden, großmäuligen Zocker. Wenn der Kapitän der Poseidon zu Beginn die Gefahr spürt noch bevor Bordcomputer oder Wettersatelliten anschlagen, scheint sich hier der Instinktregisseur Petersen eingeschrieben zu haben, der inmitten zahlreicher FX-Experten allein noch den Blick für das Wesentliche behalten hat. Ein Trugschluss, denn „Poseidon“ weiß wenn überhaupt in seinen Action-Set-Pieces zu gefallen. Doch auch davon sollte man sich nicht zuviel versprechen. Wer das Original kennt, wird das ein oder andere Déjà-vu erleben, da kann im Presseheft noch so oft behauptet werden, dieser Film habe mit dem Vorbild nur die Ausgangssituation gemein.

So bleibt am Ende ein leidlich unterhaltsamer Action-Film, der so gesichtslos und formelhaft ist, dass es wehtut. Das ist das eigentliche Drama der neuen Katastrophenfilme: Sie beweisen, dass die Angst vor der Technik in den Siebzigern durchaus berechtigt war. Ein Film wie „Poseidon“ ist das beste Beispiel dafür, wie menschliche Kreativität durch den Oberflächenreiz und Neuheitswert computergenerierter Effekte und ebensolcher Drehbücher verdrängt wird. In einem irrten die alten Katastrophenfilme dennoch: Die Katastrophe kam ohne Knalleffekt und ganz langsam über uns. Und so sie überhaupt von jemandem bemerkt wurde, so hat es zumindest keinen großen Aufschrei gegeben. Und so wird mit dem schönen Computerschiff auch Petersens Film bald wieder in der Versenkung verschwunden sein, ohne eine Spur hinterlassen zu haben.

Poseidon
(Poseidon, USA 2006)
Regie: Wolfgang Petersen, Drehbuch: Mark Protosevich, Kamera: John Seale, Musik: Klaus Badelt, Schnitt: Peter Honess
Darsteller: Kurt Russell (Robert Ramsey), Josh Lucas (Dylan Johns), Richard Dreyfuss (Richard Nelson), Jacinda Barrett (Maggie James), Emmy Rossum (Jennifer Ramsey)
Warner Bros.
99 Minuten

Eine Antwort auf „Abgesoffen“

  1. Diese Rezension ist fast so gut, wie Dein Filmtagebuch,
    welches mir bisher schon einige vergnügliche und informative Stunden bereitet hat. Weiter so……!

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