Eine Rezension über einen Ratgeber mit dem Titel „Kritiken schreiben“ zu schreiben, ist eine undankbare Aufgabe. Wird man den Ausführungen des Buches mit der eigenen Kritik gerecht? Oder produziert man nur ein weiteres Beispiel für eine von Autor Stephan Porombka zitierte misslungene Kritik? Und wie würdigt man die Qualitäten seines Buches besser: indem man sagt, wie gut es geschrieben ist, wie leicht verständlich, undogmatisch und anregend oder indem man eben einfach eine im Sinne des Autors „gelungene“ Kritik verfasst?
Schreibratgeber gibt es viele. Für beinahe jede Textform existiert mindestens ein schlauer Ratgeber, der im Titel mit vollmundigen Versprechungen lockt. Bücher wie „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“, „Wort für Wort oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben“ oder „20 Masterplots. Woraus Geschichten gemacht werden“ behaupten, dass der Erfolg lediglich von einer Frage des „Wie?“ abhänge, dass lediglich ein bestimmtes Instrumentarium erschlossen werden müsse, um es zur Meisterschaft zu bringen. Was diese Titel verschweigen, ist, dass schöpferische Kreativität sich nicht im Wissen über Techniken erschöpft und leider nicht mit einem Handbuch erlernbar ist. Doch noch etwas anderes ist an solchen Lehrbüchern problematisch: Sie suggerieren, dass es den einen, richtigen Weg gebe und dass ihr Verfasser ihn nicht nur kenne, sondern auch vermitteln könne. Das Praktische daran: Je größer das Versprechen, umso weniger lässt sich der Autor wirklich in die Verantwortung nehmen. Wer würde schon ernsthaft erwarten, nach der Lektüre eines Ratgebers tatsächlich einen Meilenstein der Weltliteratur zu Papier zu bringen?
Mit Stephan Porombkas „Kritiken schreiben“ buhlt nun ein Schreibratgeber um die Gunst potenzieller Kritiker, Feuilletonisten und Essayisten. Da die Kulturkritik immer mehr zum reinen Marketinginstrument verkommt, das im Dienste der Industrie Kaufempfehlungen ausspricht und sich in diesem Gestus erschöpft, scheint die Versuchung groß, ein reines Phrasenbuch vorzulegen und die gelungene Kritik auf das Herunterbeten gängiger Formeln zu reduzieren. Umso erstaunlicher, dass Porombka sich von diesem Ansatz weit distanziert. Er versteht den Kritiker als „Navigator […] der das Netzwerk von Zusammenhängen kennt, in denen der jeweilige [betrachtete; Anm. des Verf.] Gegenstand als bedeutungsgeladenes kulturelles Artefakt erscheint“. Ein hehrer Ansatz, der weit mehr erfordert als nur die Beherrschung einer bestimmten Technik. Nach Porombka ist das Schreiben einer guten Kritik nämlich zuerst von einer bestimmten Geisteshaltung und erst im zweiten Schritt von formaler Könnerschaft abhängig. Der Kritiker muss neugierig sein, sich buchstäblich für alles interessieren und seine Beobachtungen stets aufs Neue sinnstiftend kombinieren, um erkennen zu können, welche kulturellen Phänomene sich in dem zu kritisierenden Gegenstand spiegeln.
Einen Großteil des Buches verwendet Porombka dann auch darauf, dem Leser Techniken zur Beobachtung und deren Einordnung nahezubringen. Erst in einem zweiten Schritt geht er zu deren Verschriftlichung über. Der kritische Dreisatz läuft nach seiner Darstellung über die fotografische Aufnahme eines Gegenstandes, dessen Kontextualisierung und die abschließende Symptomatisierung. Diesen theoretischen Unterbau stützt er mit erhellenden Texten aus Literatur, Wissenschaft und Presse und lässt den Leser jeden Fortschritt anhand umfangreicher Arbeitsaufgaben erproben. Dass Porombka diesen Aufgabenstellungen niemals eine Lösung folgen lässt, deutet an, wie wenig dogmatisch er in seinem Buch verfährt. Wer das erwähnte Phrasenbuch erwartet, wird ebenso enttäuscht wie überfordert sein, nicht zuletzt weil der Autor oft Abstecher in Kulturkritik- und erkenntnistheoretische Gefilde unternimmt, die fast eine Einordnung seines Buches als wissenschaftlicher Beitrag rechtfertigen. Erst im letzten Drittel widmet sich Porombka klassischen Stilfragen, ohne dabei jedoch seinem Ansatz untreu zu werden.
Die anfängliche Anspannung hat sich gelöst, die Verstrickung ins Möbiusband dieser speziellen Kulturkritik fand nicht statt. Es war alles halb so wild. Spätestens nach den versöhnlichen Worten auf Seite 183 von Porombkas Buch, wo es heißt: „Es wäre irreführend, wollte man behaupten, es sei zuerst die Kunst dagewesen, der seither die Kritik zu folgen hat. […] Mit Blick auf den Selbstverständigungsprozess der Kultur […] finden Kunst und Kritik ganz grundsätzlich gleichzeitig statt und beeinflussen sich auf eine Weise, die es unsinnig macht, das eine dem anderen unter- oder nachzuordnen.“ Jeder bekommt die Kritik, die er verdient, irgendwie. Ob sie nun gut oder schlecht ausfällt oder gänzlich misslungen ist.
Stephan Porombka
Kritiken schreiben
Ein Trainingsbuch
Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006
270 Seiten (broschiert)
17,90 Euro