Alles über meinen Vater

Bree (Felicity Huffman) lässt nichts unversucht, um im Alltag weiblicher zu wirken. Für sie ist es bei weitem keine Selbstverständlichkeit, denn sie wurde als Mann geboren und ist immer noch – biologisch gesehen – ein Mann. Doch nicht mehr lange, denn der Termin für die operative Geschlechtsumwandlung steht schon fest, wird aber auf das dringende Anraten von Brees Therapeutin verschoben: Bree muss zunächst ihre Beziehung mit dem plötzlich aufgetauchten Sohn aus einer längst vergessenen Affäre klären.

Diese etwas konstruierte Situation bietet einen Antrieb für die Handlung, die eigentlich nur dazu da ist, Leerstellen zu füllen, die nach der Inszenierung des eigentlichen Skandalons (Mann als Frau) im Film noch übrig bleiben. Eine verständliche, an konventionelle Roadmovies angelehnte Handlung scheint in diesem Falle unentbehrlich zu sein, um die Geschichte um eine freiwillige „Selbstentmannung“ für die Mehrheit der Zuschauer erträglich zu machen. Doch auch die harmlosesten Sujetwendungen können kaum von der beunruhigenden Frage ablenken, die der Film durch sein Thema suggeriert: Was bringt heutzutage einen Mann so weit, auf seine Männerrolle verzichten zu wollen? Die einfachste Antwort wäre die „medizinische“: Wenn es eine „Laune der Natur“ ist, bleibt da nicht mehr viel zu diskutieren. Dann kann man sich tatsächlich entspannen und die tragikomischen Vorfälle genießen, die aus dieser ungewöhnlichen Konstellation auf der Leinwand entstehen.

Doch der Film will es uns nicht ganz so einfach machen und gibt eine Reihe von schwerwiegenden Hinweisen darauf, dass die Männlichkeit nicht nur in Brees Körper, sondern auch ganz allgemein eine Bedrohung erfährt. Zum einen wäre da der Sohn Toby (Kevin Zegers) zu nennen, der (ganz unabhängig von seinem transsexuellen Vater) das traditionelle Männerbild nicht aufrechterhalten will und lieber homoerotische Erfahrungen sammelt. Zum anderen sehen wir auch Tobys gewalttätigen Stiefvater, der vermutlich mit ein Grund dafür ist, dass Toby „herkömmliche“ Männlichkeit ablehnt, die für ihn mit Brutalität und emotionaler Kälte assoziiert wird. Auch Bree empfindet gegenüber diesem als männlich kodiertem Benehmen nur Abscheu. In den zwischenmenschlichen Beziehungen setzt sie lieber auf persönlichen Charme und Einfühlungsvermögen. So wird ihr Wunsch, endlich als eine „vollwertige“ Frau akzeptiert zu werden, scheinbar auch psychologisch begründet. Aber was steht hinter diesen Geschlechterrollen? Warum muss man, um sich von der stereotypen Männlichkeit zu lösen, eine – ebenfalls stereotype – Weiblichkeit annehmen (am besten noch von einer medizinischen Operation unterstützt)? Aus dieser Perspektive illustriert der Film eine Tragödie der beschränkten Möglichkeiten in einer Gesellschaft, die nach klaren Trennungslinien zwischen Geschlechtern verlangt. Das „deviante“ Verhalten von Bree erweist sich vielmehr als Sehnsucht nach Eindeutigkeit, die ihr einen stabilen Status im vorgegebenen sozialen Rahmen verleihen soll.

Leider konzentriert sich „Transamerica“ zu sehr auf die situative Komik bzw. sentimentale Gefühlsausbrüche, um dieser komplexen Problematik eine angemessene Tiefe zu verleihen. Doch allein die brillante Mimik und Gestik von Felicity Huffman, die sich in der Rolle der fleißigen Transsexuellen der weiblichen Körpersprache virtuos aber nicht ohne respektvolle Distanz bedient, verweist schon auf die Konstruiertheit der Geschlechtermodelle und öffnet gleichzeitig die Möglichkeit einer kritischen Lesart

Transamerica
(USA 2006)
Regie: Duncan Tucker; Buch: Duncan Tucker; Kamera: Stephen Kazmierski; Musik: David Mansfield; Schnitt: Pam Wise
Verleih: Falcom
Länge: 103 Minuten

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