Im Feuer geschmiedet

„The anvil was forged in fire“: So heißt es im Titelsong des gleichnamigen dritten Albums der kanadischen Metalband Anvil aus dem Jahr 1983, und man kommt nach Betrachtung der mehrfach preisgekrönten Dokumentation „Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft“ kaum umhin, diesen Satz als realistische Selbstbeschreibung zu verstehen.

Leicht hatten es Steve „Lips“ Kudlow und Robb Reiner in ihrer nun rund dreißigjährigen Bandgeschichte wahrlich nie. Zu Beginn ihrer Karriere in den frühen Achtzigerjahren galten sie zwar als Pioniere und Wegbereiter des wenig später mit Bands wie Metallica, Anthrax, Megadeth oder Slayer zur kommerziellen Blüte gereiften Thrash Metals, doch konnten sie aus dieser Pionierrolle dank eines miserabel arbeitenden Indielabels nie Kapital schlagen. Und auch der Kultstatus, den sie heute als sprichwörtliche Survivors, als Übriggebliebene und Veteranen genießen, hat sich für sie nie im weltlichen Sinne bezahlt gemacht. Jahr für Jahr nehmen sie das Projekt „Welterfolg“ erneut in Angriff, verbringen ihren Jahresurlaub in Flugzeugen, Bussen und Zügen, nur um in miesen kleinen Schuppen vor einer Handvoll Unverzagter zu spielen. Doch anstatt darüber zu verbittern oder sich an einen wie auch immer gearteten Mainstream anzubiedern, sind Anvil sich stets treu geblieben: Regelmäßig veröffentlichen sie Alben von verlässlicher Qualität, denen man die Liebe der Musiker zu ihrem Sound anhört und die – eher metaluntypisch – von einem kruden, spielerischen Humor geprägt sind, anstatt dem Weltschmerz und Nihilismus das Wort zu reden. Und regelmäßig werden diese Alben von einem Publikum außerhalb des kleinen, eingeweihten Kreises ignoriert.

Sacha Gervasi, Drehbuchautor u. a. des Spielberg-Films „The Terminal“, ist Anvil-Fan der ersten Stunde und erfüllte sich den wohl ultimativen Traum eines jeden Fanboys, als er sich nach einem Konzert seiner Helden als „Englands größter Anvil-Fan“ vorstellte und danach prompt den Posten des Roadies erhielt. Gervasis Regiedebüt ist demzufolge unverkennbar eine Herzensangelegenheit, ein Versuch, den Freunden den Ruhm zuteil werden zu lassen, den sie in seinen Augen schon immer verdienen. Nun ist diese Zuneigung des Autors zu seinem Objekt für eine Dokumentation durchaus problematisch, werden doch eigentlich Distanz und Objektivität, also gerade ein Zurückhalten persönlicher Befindlichkeiten, von ihm erwartet. Doch es ist gerade die Nähe Gervasis zu Kudlow und Reiner, die aus „Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft“ einen so außergewöhnlichen und anrührenden Film macht, weil aus ihr eine Intimität und Authentizität erwächst, die sich nicht nachstellen ließe: Wenn sich Kudlow und Reiner nach einem heftigen Streit versöhnen, sich unter Tränen ihre Freundschaft und Liebe gestehen, dann spürt man, dass diese Gefühle echt und nicht gespielt sind. Und auch in anderen Szenen merkt man, dass die beiden Protagonisten nicht vor einer Kamera agieren, sondern ganz natürlich bleiben oder sich einem Freund anvertrauen. Der Einblick, den man als Zuschauer erhält, geht also weit über die zu einer gewöhnlichen Rockumentary gehörenden Standards – wohlmeinende, aber überforderte Manager, geizige und betrügerische Clubbesitzer, verlogene Plattenfirmenbosse, halbleere Hallen, verspätete Züge und verpasste Busse – hinaus.

In „Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft“ geht es natürlich auch darum, vielmehr aber um die bedingungslose Freundschaft zweier alternder Männer, über die Hingabe, die sie ihrer Sache gegen alle Widrigkeiten widmen und um den Traum, von dem sie sich noch nicht verabschieden wollen, weil sie immer noch an seine Erfüllung glauben; und weil er ihnen erst die Energie gibt, ihr durchschnittliches, von tristen Jobs geprägtes Alltagsleben zu durchstehen. Gervasis Film ist weit mehr als eine Musikdokumentation: Seine Protagonisten sind keine weltfremden Profimusiker mit Rockstarallüren, sondern liebenswerte Durchschnittstypen, Ehemänner und Familienväter, die sich mit dieser Rolle aber nicht begnügen möchten, noch nicht bereit sind zu akzeptieren, dass das Schicksal für sie nicht den großen Jackpot vorgesehen hat. „Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft“ ist nicht nur ein Film über eine erfolglose Metalband, sondern eine Huldigung der Underachiever und Alltagshelden, all jener, die sich in perspektivlosen Jobs herumschlagen und langsam erkennen müssen, dass sich all die ehrgeizigen Träume der Kindheit wahrscheinlich nicht mehr erfüllen werden – und die trotzdem weitermachen. Man muss sich Anvil als glückliche Menschen vorstellen.

Gervasis Film endet demzufolge auf einer hoffnungsvollen Note: Gemeinsam mit dem Starproduzenten und alten Weggefährten Chris Tsangarides nehmen Anvil das laut eigenem Empfinden beste Album ihrer Karriere auf, spielen bei einem Metalfestival in Japan vor ausverkauftem Haus. Es ist ein herrlicher Anblick, wie sie inmitten der Neonlichter Tokios stehen und ein fast kindlich-ungläubiges Grinsen über ihre Gesichter huscht: Niemand erkennt sie hier, aber – fuck it! – das ist es doch, was sie immer wollten. Es sind diese Erfahrungen und Momente, die die Gewissheit heranreifen lassen, dass sich alle Entbehrungen doch gelohnt haben. Man muss sie nur erkennen können. Manchmal reicht es nämlich schon aus, zu wissen, das man einen Freund hat, auf den man sich in jeder Situation seines Lebens verlassen kann. Dann kann man auch zusammen durchs Feuer schreiten und geht vielleicht etwas angesengt, aber in jedem Fall gestärkt daraus hervor.

Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft
(Anvil! The Story of Anvil, USA 2008)
Regie: Sacha Gervasi; Musik: David Norland; Kamera: Christopher Soos; Schnitt: Andrew Dickler, Joe Renfroe
Darsteller: Steve „Lips“ Kudlow, Robb Reiner, Chris Tsangarides, Tiziana Arrigoni u. a.
Länge: ca. 80 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies

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REM veröffentlichen den Film in einer mit der US- und GB-Fassung inhaltlich identischen Version, an der es nichts auszusetzen gibt (außer vielleicht, dass man nicht das wunderschöne GB-Cover adaptiert hat).

Bild: 1,78:1 (16:9/anamorph)
Ton: Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Interviews, Deleted Scenes, Kommentare, Trailer, Booklet
Freigabe: FSK 12
Preis: 16,99 Euro

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