Durch Schlamm und die Hölle erlöst.

F.LM: Expliziter Sex, Sodomie, Vergewaltigung, Mord, Snuff – Ihr Film „The Life and Death of a Porno Gang“ (Zivot i smrt porno bande, Serbien 2009) behandelt eine Menge kontroverser Themen. Gleichzeitig scheint er in jedem Moment von einer sehr konkreten, dunklen Realität zu erzählen.

Mladen Djordjevic: Der Film ist sozial und politisch in den Kontext des heutigen Serbiens eingebunden. Die Nachwirkungen der Kriege auf mich sind evident: Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der es normal war, die Gräueltaten des Krieges unzensiert im Fernsehen zu sehen. Dies ist ein Film über den Kampf zwischen Eros und Thanatos. Dieser Kampf ist grade innerhalb des Balkans interessant, wo es oft der Tod ist, der gewinnt. Für mich ist diese Dunkelheit nicht abstoßend, sie ist attraktiv. Ich mag diese gefallenen Charaktere und Outsider, daher hat dieser Film auch kein zu starkes Lokalkolorit. Außenseiter werden in jedem System ziemlich ähnlich behandelt. Meine Charaktere sind Ausgestoßene, und das sind sie unabhängig vom jeweiligen politischen System. Der Film geht außerdem auf ein beliebtes Thema hier in Serbien ein – dem Aufeinanderprallen des urbanen und ländlichen Serbiens. Ich habe gezeigt, dass die Grenzen zwischen den beiden unscharf sind und nicht existieren. Ich wollte keinen Schwarz-Weiß-Film machen, keine Partei ergreifen.

F.LM: Ihr Film vermittelt eine große Dringlichkeit in der Art des Umgangs mit seinen brutalen Themen. Wie persönlich war dieses Projekt für Sie?

Mladen Djordjevic: Der Film ist insoweit autobiografisch, dass er einem jungen Regisseur folgt, der versucht, seinen ersten Spielfilm zu drehen. Genau wie ich stößt er dabei auf viele Schwierigkeiten und eine Herausforderung: den Kompromiss zu akzeptieren. In seinem Fall, genau wie in meinem, ist das keine Option. Die Hauptfigur, der es nicht möglich ist, die Art von Filmen zu machen, die er machen möchte, wendet sich der Pornoindustrie zu und beginnt, Pornos zu drehen. Das ist ein Akt der bewussten und gewollten Selbstzerstörung, damit er durch Schlamm und die Hölle erlöst werden kann. Ich hingegen war in der Lage die Filme zu machen, die ich machen wollte und war nicht zu Pornos gezwungen, doch ich teile eine gewisse Dosis der Selbstzerstörung mit meinem Hauptdarsteller.

F.LM: Ihr erster Film „Made in Serbia“ war eine Dokumentation über die serbische Pornoindustrie. Basieren die dunklen Seiten dieser Industrie, so wie Sie sie in „The Life and Death of a Porno Gang“ darstellen, auf den Erfahrungen, die Sie während der Arbeit an „Made in Serbia“ gemacht haben?

Mladen Djordjevic: Ja, „The Life and Death of a Porno Gang“ ist in einer gewissen Weise ein Sequel zu meinem vorherigen Film. Die Hauptfiguren sind von den Leben der Pornodarsteller aus der Dokumentation inspiriert. Das Drehen und Schneiden der Dokumentation dauerte eineinhalb Jahre; in dieser Zeit lernte ich die örtliche Pornoindustrie ganz gut kennen. Natürlich ist »Industrie« ziemlich ironisch gemeint, da es mehr eine Manufaktur ist. Sie ist total unterentwickelt: Die Filme werden ohne Geld gedreht, die Schauspieler sind schwer unterbezahlt, haben Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen und leben ganz unten im sozialen Spektrum. Ihre Körper sind kümmerlich, unattraktiv. „Made in Serbia“ ist zuallererst eine bewegende Sozialgeschichte und mein Versuch, das gegenwärtige Serbien durch das provokante Prisma der Pornoindustrie zu porträtieren.

F.LM: Was genau fasziniert Sie an dem Thema Pornografie so sehr, dass Sie nun erneut darauf zurückgekommen sind?

Mladen Djordjevic: Mich interessiert Pornografie wegen des zuvor genannten Zusammenpralls von Eros und Thanatos. Thanatos gewinnt in der Pornografie, in der Erotik hingegen Eros. Pornografie hat diesen nackten, rohen, grausamen Zugang zum Leben und zu Sex, was sie für mich attraktiv macht. Sie hat dieses demystifizierende, banale Verlangen, das im heutigen Kontext der sterilen europäischen Kultur weniger verlogen erscheint als die maskierte, glatte, mentale Pornografie und die Banalität, die sich hinter der so genannten Kultiviertheit verbirgt. Wegen dieser Naivität erinnern mich Pornos an die naive Kunst, die mir gefällt.

F.LM: Obwohl Ihr Film niemals die Verbindung zur Realität verliert, ist er nicht nur ein „realistischer Film“, sondern auch klar als „Kunstfilm“ markiert. Welches sind Ihre wichtigsten filmischen Einflüsse?

Mladen Djordjevic: Mein Film ist sozial und politisch engagiert, aber ich wollte dem Klischee des Balkanfilms entkommen, wo es nur das gibt, nicht mehr. Ich habe die Herausforderung angenommen, die Tradition der Black Wave der späten 60er und frühen 70er (Jovanovic, Zilnik, Pavlovic, Makavejev) mit Elementen des gegenwärtigen japanischen Horrorfilms, amerikanischen B-Horrorfilmen und Filmen von Paul Morrissey, John Waters und Jodorowsky zu verbinden. Ich wollte sehen, wie Camp im Black-Wave-Schlamm funktioniert. Takashi Miike muss auch genannt werden, und sein Film „Visitor Q“ (2001). Er ist einer der wichtigsten Künstler der Filmgeschichte und einer der erfolgreichsten Ermittler im Gebiet von Sex und Gewalt in der Kinematografie. Ein weiterer ist der serbische Regisseur Jovan Jovanovic, Autor des Films „Healthy and Young Like a Rose“ von 1971. Dieser Film war Punk, bevor Punk überhaupt definiert wurde.

F.LM: Wie haben Sie Schauspieler gefunden, die bereit waren, für diesen Film so viel zu geben?

Mladen Djordjevic: Das Casting dauerte fünf Monate. Mein Angebot, in dem Film mitzuspielen oder überhaupt am Casting teilzunehmen, wurde von etwa 20-30 Darstellern abgelehnt. Sie störten die expliziten Sexszenen, ihre nackten Körper vor der Kamera zu zeigen. Das war nicht mehr die Mentalität wie vor den 90ern, die Einstellung der Zeit war anders. Die provinzielle Mentalität hat sich durchgesetzt. Mir war es wichtig, mutige Darsteller zu finden, die ihre nackten Körper ohne Vorurteile benutzen, wie ein normales Werkzeug, genau wie ihre Augen, ihre Hände, ihre Stimme. Meine erste Idee war, echte Pornodarsteller aus „Made in Serbia“ Rollen in dem Film spielen zu lassen, aber es stellte sich als unmöglich heraus. Die Charaktere, die ich geschrieben hatte, waren zu komplex für Laienschauspieler. Außerdem lassen sich die echten Pornodarsteller nur schwer an das seriöse Filmgeschäft in Serbien binden: Sie leben im Chaos, haben verschiedene andere Aktivitäten nebenher, und das geringe Gehalt, das ich ihnen anbieten musste, wäre nicht genug gewesen, um sie zu halten, was ein enormes Risiko für mich gewesen wäre. Da ich also keine echten Pornodarsteller nehmen konnte, war es mir wichtig, neue, frische Gesichter mit einer neuen Energie zu finden. Am Ende des schwierigen Prozesses der Darstellersuche bin ich auf die jungen, tapferen, talentierten Menschen gestoßen, die den Geist des Wandels in der serbischen Kinematografie eingeleitet haben.

F.LM: Wie schwierig war die Finanzierung des Films?

Mladen Djordjevic: Glücklicherweise ist es ein Low-Budget-Film, daher brauchte ich nicht viel Geld. Das Budget betrug ca. 140.000 Euro. Das moderate Budget war in gewisser Weise vereinbar mit der Ästhetik des Films und unterstützte sie stark. Bewusst aufgedrückte Produktionslimitierungen und die damit verbundenen Probleme sowie die Guerillataktiken des Drehs haben dem Ergebnis nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Für einen extremen Film wie diesen ist es schwer, in Serbien Finanzierung zu bekommen, und ich glaube, die Situation ist in Europa nicht besser. Der einzige Weg war, staatliche Förderung zu beantragen. Ich hatte Glück, dass die Jury ziemlich unabhängig in ihrer Entscheidung war (was in unserem Land extrem selten ist), und auch der Erfolg meines früheren Films „Made in Serbia“ half mir sehr bei ihrem Entscheidungsprozess. Nachdem die Dreharbeiten beendet und der Film geschnitten war, stieß ich allerdings erneut auf Widerstand: Als ich das Kulturministerium nach Geld für die Postproduktion fragte, intervenierte der Berater des Kulturministers, unser geehrter Regisseur Goran Markovic, und machte es uns unmöglich, das Material auf Film zu transferieren. Er hatte den Film nicht verstanden und erklärte, er hätte nach meinem Film nicht schlafen können und sei angewidert. Eine provinzielle Reaktion, was soll ich sagen. Aber die Auszeichnung beim Belgrader Filmfestival und die vielen hymnischen Kritiken, zusammen mit meinem Brief an den Kulturminister, haben eine Gesinnungsänderung hervorgerufen, und so habe ich am Ende doch noch mein Geld bekommen. Ich wurde auch von unseren berühmten Regisseuren Jovan Jovanovic, Zelimir Zilnik und Srdjan Dragojevic unterstützt.

F.LM: Wo wurde der Film bislang gezeigt? Und wie waren die Zuschauerreaktionen?

Mladen Djordjevic: Er wurde bei zahlreichen ausländischen Festivals gezeigt: in Stockholm, Amsterdam, Ravenna, Pucheon, Berlin, etc. In Ravenna wurde uns der Sonderpreis der Jury verliehen. Die Reaktionen variieren von Land zu Land. In Serbien verlässt ein Teil des Publikums immer den Saal, wenn die Gewaltszenen beginnen. Inzwischen ist der Film recht berüchtigt, und so kommen sie vorbereitet und die Zuschauer sind wie auserwählt. Beim Pucheon Fantasy Film Festival in Südkorea ist niemand gegangen, sehr höfliche Zuschauer. Die koreanische Gesellschaft ist traditionell und konservativ, sie finden extreme Gewalt nicht schlimm, aber sie sind von den expliziten Sexszenen geschockt, das gefällt ihnen nicht. Ich bin zu der Schlussfolgerung gekommen: Je mehr sie den Eros verstecken, desto mehr kommt er hervor in der Form des Thanatos, der Gewalt und ihrer bizarren Qualität. Darum sind koreanische Filme so explizit, wenn es um Gewalt geht. In Amsterdam, wo die Leute in niedlichen Schokoladenhäuschen wohnen, sind ca. 15 Leute beim ersten Zeichen von Gewalt gegangen. Das ging dann während der Snuff-Szenen weiter. Die, die bis zum Ende geblieben sind, haben den Film geliebt. Mir hat die Reaktion beim Berliner Pornfilmfestival am besten gefallen. Das ist ein Ort, wo sich eine sehr ernstzunehmende Zuschauerschaft versammelt, die von Klischees ermüdet ist und neues im Film verlangt,  gewillt ihre mentale und kreative Naivität zu verlieren. Berlin ist ein echtes, großartiges kulturelles Zentrum, bereit, alles zu erfassen und zu verstehen. Ich bin von der Stadt entzückt.

F.LM: Was sind Ihre weiteren Pläne für den Film?

Mladen Djordjevic: Der Kinovertrieb in Serbien läuft bereits seit drei Monaten. Der Film wird mit nur zwei Kopien gezeigt, da wir nicht mehr Geld hatten, und er läuft spät. Ende Dezember soll er auch in den Kinos in unserem Nachbarland Kroatien gezeigt werden. Beim Rest Europas und der Welt weiß ich noch nicht. Einige Verhandlungen haben stattgefunden, also warten wir’s ab …

Interview: Jochen Werner

Das Interview ist erstmals erschienen in Splatting Image Nr. 80 (Dezember 2009).

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.