Mehr Licht!

„Sit back and enjoy in total darkness“, diese Gebrauchsanweisung gibt Khavn de la Cruz, Multimediakünstler, Wunderkind und Filmemacher von den Philippinen, zum Auftakt seines Films „3 Days of Darkness“ mit auf den Weg. Dies ist ja ohnehin zum angemessenen Konsum von Horrorkino stets anzuraten, hier allerdings ist es unabdinglich, geht doch Khavn in seiner filmischen Bearbeitung der Urangst vor der Dunkelheit wohl weiter als jeder Filmemacher zuvor. Dabei fängt erst alles so abstrakt, so farbgesättigt und stilllebenhaft an, dass man sich für einen Augenblick in einem der enigmatischen Filme des Thailänders Apichatpong Weerasethakul wähnt: Die ersten Bilder von „3 Days of Darkness“ zeigen menschenleere Räume, in statischen Kameraeinstellungen streng kadriert. Und Fenster. Durch sie drängt sich gleißendes Licht in die leblosen Arrangements hinein, und doch scheint dieses nur die dunklen Ecken, die schattigen Winkel dieser Räume und dieser Bilder umso mehr zu betonen. Das Gleiche gilt für die Darsteller: Zwar wandeln sie anfangs noch im Licht, in der brennenden Sonne von Manila, doch ist dieses stets nur im Kontrast zu den schon immer von tiefen Schatten gefurchten Gesichtern zu denken. Dieser Film strebt von Beginn an dem Dunkel zu.

Seine Erzählung kommt nach dem ersten Filmdrittel bereits in der Finsternis an: Nachdem er seine drei Protagonistinnen eingeführt und anhand der diversen Verwerfungen ihres Liebes- und Sexuallebens charakterisiert hat – jede Figur in diesem Film ist zuvorderst und mit der Absolutheit unbedingter Leidenschaft haltsuchend, liebewollend, stattdessen verzweifelt über die Einsamkeit hinwegfickend –, führt er sie in einem Wohnhaus in Manila zusammen und konfrontiert sie mit der urplötzlich über die Welt hineinbrechenden Apokalypse. Die Vorstellung der „Drei Tage der Dunkelheit“ geht zurück auf apokryphe katholische Prophezeiungen eines göttlichen Strafgerichts für eine der Sünde ergebene und vom Glauben abgefallene Menschheit, nach dem Vorbild der neunten Plage für das ägyptische Volk laut dem 2. Buch Mose. Diese, je nach Standpunkt, Reinigungs- oder Bestrafungsphantasie wird noch heute von allerlei obskuren Sekten verkündet, oft in Verbindung mit Hasspredigten auf emanzipierte Frauen oder Homosexuelle. Auch in „3 Days of Darkness“ bricht sie über eine sexuell befreite Welt hinein: Seine Protagonistinnen Isabel, Michiko und Kimberly – per Namensgebung tief in die Geschichte der Philippinen mit den drei Kolonialmächten Spanien, Japan und USA hineinverweisend – leiden nicht nur unter ihren je individuellen Affären, Schwangerschaften, Abtreibungen, Gewissensbissen; in seinem Fortschreiten legt der Film darüber hinaus ihre Verstrickung in ein lesbisches Beziehungsdreieck offen.

Zu diesem Zeitpunkt ist er freilich schon längst zu einer gezielten Attacke auf sein Publikum geworden. Ebenso wie über die drei (Anti-)Heldinnen bricht die Katastrophe nämlich nach 25 Filmminuten mit größter Wucht auch über den unvorbereiteten Zuschauer hinein, dem Khavn mit allen formalen Tricks den Boden unter den Füßen wegzieht. Was zuvor in statischen Einstellungen betont ruhig erzählt schien – gefährlich ruhig; weist doch ein Lynch’sches Weltrauschen auf der Tonspur von Beginn an auf eine noch nicht sichtbare, aber omnipräsente Bedrohung hin –, das kippt plötzlich in einen hysterischen, nachtschwarzen Alptraum in hektischen Handkamerabildern und millisekundenkurzen Assoziativmontageschnipseln. Von diesem Moment an ist „3 Days of Darkness“ der wohl finsterste Film der Kinogeschichte, über weite Strecken eher einem Hörspiel im Dunkel des Lichtspieltheaters entsprechend denn einem formal »klassischen« Film. Damit wird er recht eigentlich zum Experiment und Extrempunkt in der Camouflage des Genrekinos. Von jeher ereignet sich ja das Horrorkino in einer grundsätzlichen Dynamik zwischen dem Zuviel-Sehen und dem Zuwenig-Sehen, und die Herausforderung eines jeden Filmes, der wirkliche Schauder hervorbringen will, liegt im affektiven, dynamischen Oszillieren zwischen diesen Gegenpolen. Je nach Emphase kann der Horrorfilm nun einem der beiden Pole stärker zustreben: Er kann auf das gnadenlose Draufhalten und den Fetisch der Sichtbarkeit setzen, sich solchermaßen in den blutig-barocken Schreckensbildern der Splatterästhetik ergehen (und allerdings Gefahr laufen, oder sich auch bewusst dafür entscheiden, darüber all seine Geheimnisse und Ambivalenzen preiszugeben). Oder er kann die Phantasie seiner Zuschauer mit nur spärlichen Andeutungen anregen und sich darauf verlassen, dass nichts so grauenhaft sein kann wie das Unsichtbare.

„3 Days of Darkness“ erklärt nichts und zeigt fast nichts. Die Dunkelheit droht nicht nur die verängstigten Protagonistinnen zu verschlucken, sondern schluckt, so scheint es, das Licht des filmischen Apparates, die Kinobilder und die vom so über sie verhängten Bildentzug vor den Kopf gestoßenen, verzweifelt kleinsten visuellen Informationen nachhaschenden Zuschauer gleich mit. Und wenn einmal ein Bild in die gnadenlose Finsternis des zunächst noch vom warmen Licht einer Kerze und dem kalten Licht eines Mobiltelefons notdürftig beleuchteten und im weiteren Verlauf immer konsequenter in die Schwärze fallenden Films hineinbricht, dann blitzt es meist so kurz auf, dass sein konkreter Inhalt kaum zu identifizieren ist – viel eher zu befürchten.

Obgleich er lustigerweise mit drei Mitgliedern der philippinischen Pin-Up- und Girliepoptruppe Viva Hot Babes besetzt ist, könnte „3 Days of Darkness“ kaum weiter entfernt sein vom oftmals gezähmt erscheinenden Spektakelhorror des kommerziellen Kinos. Eher ist er als eine terroristische Attacke zu betrachten: auf sämtliche Sehkonventionen des Horrorgenres und des Kinos überhaupt, dessen Bilder er in seiner Verweigerungshaltung konsequent in Frage stellt, und auf die Sinne des überrumpelten Zuschauers. Diesen sucht Regisseur Khavn mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln in den Bann seiner finsteren Vision zu schlagen, bis zum bösartig-ambivalenten Finale, das seine Heldinnen nur scheinbar so unerlöst lässt, wie dies alle großen Horrorfilme tun. Stattdessen ist es durchaus auch als zutiefst makabres Fanal (homo-)sexueller Ermächtigung angesichts der hier durchgespielten erzkatholischen Bestrafungsphantasie zu lesen, und somit als ein kleiner Lichtblick der Aufklärung inmitten eines radikal abgedunkelten Weltbildes.

3 Days of Darkness
(Tatlong araw ng kadiliman, Philippinen 2007)
Regie & Musik: Khavn de la Cruz; Buch: Khavn de la Cruz, Alfred Aloysius Adlawan; Kamera: Albert Banzon; Schnitt: Lawrence S. Ang
Darsteller: Katya Santos, Gwen Garci, Precious Adona, Bugz Daigo, Ebong Joson u.a.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Splatting Image Nr. 80 (Dezember 2009).

4 Antworten auf „Mehr Licht!“

  1. Klingt sehr interessant! Habt ihr zufällig eine Bezugsquelle für den Film? Ich habe bei Yesasia und Playasia geschaut, aber die DVD nicht gefunden.

  2. Leider weiß ich auch nichts von einer DVD-Veröffentlichung. Ich habe aber mal eine Anfrage diesbezüglich an Khavn geschickt, vielleicht ergibt sich ja daraus eine Möglichkeit. Mehr, sobald ich eine Antwort bekommen habe.

  3. Also, Khavn antwortete mir, dass eine offizielle DVD-Veröffentlichung kurz bevorstünde. Sobald ich Näheres darüber weiß, poste ich es hier.

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