Nerdig by Nature

Ohne Experten wäre unser Leben anders, beschwerlicher, weniger komfortabel. Wir verbrächten mehr Zeit damit, unsere Grundbedürfnisse zu stillen und hätten weniger Freizeit, die wir ohne die Errungenschaften von Experten aber sowieso nicht totzuschlagen wüssten. Kurzum: Experten sind gut, Experten sind wichtig. Aber der Experte bezahlt sein Expertentum mit einem hohen Preis. Denn um ein Experte auf seinem Gebiet zu werden, musste er unzählige andere ausblenden. Er läuft daher immer Gefahr, zum Fachidioten zu werden. Das ist zu verkraften, wenn sein Feld der Expertise beispielsweise die Gehirnchirurgie ist. Aber wenn sein Fachgebiet von den meisten nicht nur für unwichtig, sondern gar für vollends idiotisch gehalten wird, spricht man nicht von einem Experten, sondern sagt schlicht und einfach: Nerd. Um genau diese Nerds geht es in Kyle Newmans „Fanboys“ und der britischen Sitcom „The IT Crowd“, die nun auf DVD erhältlich sind.

3929590,eRJBqDn4Op5lg497E1KDBoeicxnccSbGx8Nqway2mByzfLg5crmC5XmSkji_V6oCnZgyMbI+1pYbIG6SwWOekg==„Fanboys“ zollt schon im Titel einer Gattung Tribut, die erst durch das Internet bekannt geworden ist, und wendet den eigentlich pejorativ gemeinten Begriff zur Identifikation stiftenden Selbstauszeichnung. Der Fanboy ist üblicherweise weiß, männlich, erfolg- und partnerlos. Anstatt Karriere zu machen und in die weite Welt zu ziehen, hat er sich vielmehr in seine Welt aus Nostalgie zurückgezogen. Sein Leben ist geprägt von den Filmen, die er schon in seiner Kindheit geliebt hat, der Musik, die er schon in seiner Jugend gehört hat, den Freunden, mit denen er schon im Sandkasten gespielt hat. Als Verbindung nach außen dient ihm das Internet, weil es ihm alle Kommunikationsmöglichkeiten bietet, ohne dass er sich dafür offenbaren oder sein Refugium verlassen müsste. In Foren strickt er an seiner Scheinidentität und holt sich das Selbstbewusstsein, das „da draußen“ einen schweren Knacks erlitten hat. Und er definiert sich über die bedingungslose Liebe zu einem kulturellen Artefakt –  einem Film etwa – über das er auch noch die nichtigsten Informationen sammelt. „Fanboys“ baut ganz auf diesem Klischeebild auf. Er erzählt von vier Jugendfreunden, die einst die Liebe zur „Star Wars“-Reihe von George Lucas verband. Doch weil der Lauf des Lebens Opfer fordert, hat Eric (Sam Huntington) der Clique den Rücken gekehrt, um einem seriösen Job nachzugehen. Als er erfährt, dass sein bester Freund Linus (Chris Marquette) todkrank ist, lässt er sich von Windows (Jay Baruchel) und Hutch (Dan Fogler) zu einem Abenteuer überreden, von dem sie in ihrer Jugend gemeinsam träumten. Damals hatten sie geschworen: Sollte George Lucas jemals einen neuen Star-Wars-Film machen, würden sie gemeinsam zur Skywalker-Ranch reisen und das Filmmaterial stehlen, um es vor allen anderen Menschen zu sehen. Und weil „Episode I“ nun tatsächlich  vor der Tür steht, Linus dessen Starttermin aber nicht mehr erleben wird, begeben sie sich auf die Reise, die kostbare Filmdose zu entwenden …

„Fanboys“ bedient sich der für diese Art von Komödie immer wieder beliebten Road-Movie-Schablone, schickt seine Protagonisten auf den beschwerlichen Weg, der von skurrilen Gestalten, Abenteuern und unverhofften Problemen flankiert wird, bis sie dann nach endlosen Strapazen an ihrem Ziel angelangt sind, an dem sie dann feststellen, dass sich der Grund der Reise vollkommen verändert hat. Dem Sujet entsprechend reisen die vier Freunde in einem mit Star-Wars-Airbrushes aufgemotzten Van herum, hören darin ausschließlich Tapes der kanadischen Progrock-Band Rush, suchen Streit mit den von Roach (Seth Rogen) angeführten Trekkies (die „Star Wars“ bekanntlich hassen), begegnen unfreundlichen Bikern und referenzieren in ihren Dialogen immer wieder die Quelle, aus der sich ihre Freundschaft speist, bevor sie schließlich im gelobten Land, der Skywalker-Ranch, ankommen und den mit jeder Faser ihres Körpers herbeigesehnten Film in den Händen halten. Doch wollen sie ihn wirklich sehen?

Diese Zusammenfassung lässt schon erkennen, dass Kyle Richards dem oben skizzierten Klischeebild des Fanboys nicht nur nichts hinzuzufügen weiß, sondern auch keinerlei Idee hat, was den Fanboy im Innersten antreibt, was seine Liebe ausmacht, was sie ihm bedeutet. Die Fanboys aus „Fanboys“ unterscheiden sich von den Protagonisten vergleichbarer Komödien allerhöchstens durch die Beschriftung ihrer T-Shirts. Doch diese Liebe und Verehrung von „Star Wars“, die doch das Herz des ganzen Films ist, bleibt leblos und aufgesetzt. Ein Manko, das den Film als Ganzes desavouiert. In „Fanboys“ geht es offenkundig nicht darum, den Fanboy zu rehabilitieren, Verständnis für ihn und seine Obsession zu wecken – etwa indem er die Bedeutung von Popkultur für das Individuum konturierte –, sondern vor allem ihn als Zuschauer zu gewinnen. „Fanboys“ ist leidlich unterhaltsam, aber so kreativ wie Malen nach Zahlen und so originell wie ein Lückentext.

314f91ae3dGanz anders „The IT Crowd“, von der zwischen 2006 und 2008 insgesamt 18 Folgen in drei Staffeln entstanden, und die sich um ein differenzierteres Bild des Nerds bemüht, der hier von den IT-Spezialisten Roy (Chris O’Dowd) und Moss (Richard Ayoade) vertreten wird. Die beiden Mittdreißiger führen im Keller des Unternehmens, für das sie arbeiten, ein unbeachtetes, beschauliches Dasein, das auch dann nicht wesentlich aufregender wird, als ihnen plötzlich mit Jen (Katherine Parkinson) eine Chefin vor die Nase gesetzt wird, die von Computern keine blasse Ahnung hat und unfreiwillig auf ihrem Posten gelandet ist. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Eindringling verbünden sich Roy und Moss mit Jen und bilden in ihrem Keller, dem schamvoll verborgenen Unterleib des jungdynamischen Unternehmens, eine Allianz der Ausgestoßenen.

Zwischen den High-Concept-Serien, die in den vergangenen Jahren von den USA aus die Welt eroberten und mit neuen, ambitionierten narrativen Konzepten aufwarteten, mutet „The IT Crowd“ wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Fernsehepoche an: Das Geschehen konzentriert sich auf das unaufgeräumt-überfüllte Kellerbüro der IT-Abteilung und seinen Humor bezieht die Serie aus den Charakterzeichnungen, den pointierten Dialogen und der guten Beobachtungsgabe von Schöpfer Graham Linehan, der sich eben nicht damit begnügt, Klischees zu reproduzieren. „The IT Crowd“ erinnert so auf den ersten Blick an die Sitcoms, die vor allem in den Achtziger- und Neunzigerjahren populär waren, doch der Eindruck täuscht: Mehr als um eine rein produktionsbedingte Beschränkung handelt es sich bei dem ausgestellten Reduktionismus um ein erzählerisches Mittel, mit dem Linehan das Außenseitertum seiner Protagonisten adäquat ins Bild rückt (man beachte etwa den Kontrast zwischen dem Kellerbüro und den lichtdurchfluteten Räumen der oberen Etagen).

Die Episoden kreisen um alltägliche Konflikte, erhalten jedoch stets erhebliche Schlagseite ins Absurde. Da springt der mit New-Economy-Vokabeln und halb verstandenen Aphorismen aus dem Selbstfindungskurs für Manager um sich werfende Chef Denholm (Christopher Morris) völlig unvermittelt aus dem Fenster seines Büros, als seine Steuervergehen ans Licht kommen, wird die Firma in der Folge von dessen hedonistischem Sohn Douglas (Matt Berry) übernommen, der das Firmenvermögen für sein Privatvergnügen ausgibt und sich vor einer wichtigen Sitzung aus Versehen selbst ins Bein schießt, biedern sich Roy und Moss mithilfe auswendig gelernter Fußballfloskeln bei einer Horde „echter Kerle“ an, die sich dann als Verbrecher entpuppen. Eine Dialogzeile aus dieser Folge beschreibt dann auch perfekt, wie „The IT Crowd“ hier den Witz weniger aus dem Nerdtum seiner Protagonisten bezieht, sondern vielmehr aus den Situationen, in denen das Leben jeden einzelnen zum Nerd stempelt: Als der unsportliche, gutmütige Roy nach einem Besäufnis mit den Fußballfans mit einem schlimmen Kater ins Büro kommt und von Jen gefragt wird, was denn los sei, antwortet der nur reuevoll: „We’ve been hanging out with men.“

Die Nerds Roy und Moss mögen mit ihren komischen Hobbys und Angewohnheiten in den Augen der Masse Sonderlinge sein, doch das funktioniert auch umgekehrt. Weil „The IT Crowd“ konsequent die Perspektive der Nerds einnimmt, werden die Maßstäbe dessen, was als normal und unnormal gelten darf, auf den Kopf gestellt. Roy und Moss sind die eigentlich Normalen in einer Welt voller Spinner, vor denen sie sich hinter ihrer Mauer der Verschrobenheit schützen. „The IT Crowd“ gelingt damit genau das, was „Fanboys“ noch nicht einmal versucht: den Nerd als das zu zeigen, was er ist, anstatt sich bloß über seine vermeintlichen Defizite lustig zu machen, nämlich als Experten fürs Leben.

Fanboys
(USA 2008)
Regie: Kyle Richards; Drehbuch: Ernest Cline, Adam F. Goldberg; Musik: Mark Mothersbaugh; Kamera: Lukas Ettlin; Schnitt: Seth Flaum
Darsteller: Sam Huntington, Chris Marquette, Dan Fogler, Jay Baruchel, Kristen Bell, Seth Rogen
Länge: 85 Minuten
Verleih: Capelight

The IT-Crowd
(Großbritannien 2006 – 2008)
Regie: Graham Linehan u. a.; Drehbuch: Graham Linehan; Musik: Neil Hannon; Kamera: Francis De Groote u. a.; Schnitt: Paul Machliss
Darsteller: Chris O’Dowd, Richard Ayoade, Katherine Parkinson, Matt Berry, Christopher Morris, Noel Fielding
Länge: 18 Folgen zu je 23 Minuten
Verleih: Al!ve

Zu den DVDs von Capelight und Al!ve

Capelight veröffentlicht „Fanboys“ in einer einfachen Version mit zahlreichen Extras und einer Special Edition, die zusätzlich eine BluRay des Films enthält. An der technischen Ausstattung gibt es ebenso wenig zu bemängeln wie an „The IT Crowd“. Die insgesamt drei Staffeln à 6 Folgen kommen auf jeweils einer DVD mit Audiokommentaren, Outtakes, Deleted Scenes und weiteren Features.

„Fanboys“
Bild: 1,78:1 (16:9/anamorph)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentare, Deleted Scenes, Featurettes, Trailer
Freigabe: FSK 12
Preis: 17,95 Euro

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„The IT Crowd“
Bild: 1,77:1 (16:9/anamorph)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)
Untertitel: keine
Extras: Audiokommentare, Deleted Scenes, Making of, Kurzfilm, Outtakes
Freigabe: FSK 12
Preis: jeweils 14,95 Euro

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Eine Antwort auf „Nerdig by Nature“

  1. Sehr schön die Verteidigung des Nerdtums durch The IT Crowd herausgestrichen. Letztendlich behauptet die Serie im Kern, daß soziale Inkompetenz nicht symptomatisch für den Nerd, sondern abhängig vom sozialen Kontext ist. Und sie beantwortet in den Antipodensendungen The work outing und The speech auch gleich, was schlimmer sei – die Deplazierung des Nerds in die reale Welt des Kulturbetriebes oder die Deplazierung der gesellschaftlichen Elite in die reale Welt der Informationstechnik.

    Wie gut, daß es außerdem die lustigste Sitcom seit Jahren ist.

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