Cut or Ban

»Vieles auf der Welt wäre völlig uninteressant,
wenn es nicht verboten wäre (William Faulkner)

Schon die wenigen aktuellen Fälle von Medienzensur der letzten Monate zeigen, dass auch ein demokratischer Rechtsstaat längst nicht alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Die Meinungs-äußerungsfreiheit unterliegt so manchen moralischen Tabus oder gesetzlichen Beschränkungen. Manchmal notwendig, gelegentlich skurril, häufig publicitywirksam.

Was ist Zensur?

Der Begriff Zensur umfasst im Sprachgebrauch zugleich Bewertung als auch Verbot. Man unterscheidet zwischen Vor- und Nach- sowie Selbstzensur. Eine Präventiv-zensur ist in Deutschland untersagt, während eine Prohibitivzensur durch nachträgliches Verbot oder Indizierung gang und gäbe ist. Retuschen, Schnitte, Überbalkungen oder Themenvermeidung stellen als Selbstzensur einer Schere im Kopf (z. B. der Journalisten, wenn sie ihren Job behalten möchten) die dritte Form von Eingriffsmöglichkeiten dar. Es gilt, drohende Repressalien zu vermeiden – seien sie interner Art durch Chefredakteure, Verleger, Herausgeber und Intendanten, oder seien sie externer Art im Hinblick auf prestigesschädigende Außenwirkung oder Gesetzesvorschriften.

Nur schwer einzuordnen sind die stillschweigenden Zensurformen, wie sie etwa durch die Political Correctness, die Antiterrorgesetze, Telekommunikationsgesetze und den »großen Lauschangriff« vorkommen, wo Grundgesetzänderungen (z. B. Art. 13 Unverletzbarkeit der Wohnung) oder eine Aufweichung des Datengeheimnisses stattfinden. Der Lauschangriff könnte, wie Heribert Prantl in der SZ (2.2.98) prophezeite, die modernste Form von Zensur sein: Dadurch, dass sich Informanten aus Angst vor dem heimlichen Abhören von Redaktionsräumen erst gar nicht mehr trauen, brisantes Material zu offenbaren, braucht die spätere staatliche (klassische) Zensur gar nicht mehr tätig werden. »Weil er das Vertrauensverhältnis zur Presse zerstört, verhindert der Lauschangriff, daß die Medien Dinge erfahren, die die Staatsgewalt dann zensieren möchte.«

Zensurgründe, Gesetze und Institutionen

Es gibt in einer Gesellschaft vor allem drei Gründe, etwas nicht zu tun: Entweder besteht ein gesetzliches, ein moralisches oder ein alltägliches Verbot. ‚Zensur in Deutschland‘ stellt ein durchaus heikles Thema dar, denn in der juristischen Sichtweise existiert sie hierzulande gar nicht, da nur eine staatliche Vorzensur unter diese Definition fällt. Doch, keine Gemeinschaft kann alles allen zugänglich machen. Statt des negativen Begriffs Zensur werden die staatlichen, halbstaatlichen und privaten Maßnahmen als freiwillige Selbstkontrolle, Jugendschutz, Proporz oder Ehrenschutz bezeichnet. Die Grenze zwischen einfacher Geschmacklosigkeit und strafbarer, da sozialschädlicher Äußerung ist durchaus fließend und wandelbar.

Freiheitsbegrenzungen sollen im Idealfall dem friedlichen Zusammenleben, dem Schutz von Minderjährigen und Minderheiten sowie der öffentlichen Sicherheit dienen. Als oberste Verfassungswerte sind die Menschenwürde und die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bewahren.

Zwar sichert Art. 5 GG zu: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten«, »Die Kunst ist frei« und »Eine Zensur findet nicht statt«, schränkt diese Zusagen aber gleich darauf wieder ein: »Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.« Die Einzelfallabwägungen der auslegungsbedürftigen Grauzone zwischen legalem Verbot und illegaler (Vor-)Zensur, zwischen Kunst-/Meinungs-/ Pressefreiheit und dem Jugendschutz, dem Schutz der Ehre – von Staat und Kirche, von Privatpersonen oder Berufsgruppen – halten viele Juristen in Lohn und Brot.

In strafrechtlicher Hinsicht sind vor allem relevant: extremistisches, terroristisches und rechtsradikales Gedankengut, sowie Gewaltverherrlichung und Pornographie. Außerdem wachen das Jugendschutzgesetz und das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) über den Umgang mit fragwürdigen Medienprodukten. Die weiteren Äußerungsdelikte – z. B. Billigung einer Straftat, Verunglimpfung der Staatssymbole etc. – sind im StGB nachzulesen. An Zensur-mitteln stehen dem Staat zur Verfügung: Indizierung, Beschlagnahme und Einziehung, Strafverfahren gegen Hersteller und Verbreiter solcher Medien.

Privatpersonen können gegen ehrenrührige Darstellung in den Medien mit Unterlassungsklage, einstweiliger Verfügung, Verbreitungsverbot, Schwärzung/ Änderung von beanstandeten Stellen, Gegendarstellung, Schadenersatz und Schmerzensgeld vorgehen. Wirtschaftliche und politische Zensur sind besonders schwer nachzuweisen, da sie im Erfolgsfall selten das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Problematisch erscheint etwa die Sperrung von bestimmten Stasi-Akten, wenn es sich um prominente West-Politiker wie Helmut Kohl handelt. Eine nicht immer unumstrittene Rolle spielt auch der Verfassungsschutz, wie z. B. Stefan Austs neues Buch »Lockvogel« über den Fall Ulrich Schmücker belegt. Auch ist die Rolle von V-Männern beim Prozess um das NPD-Verbot fragwürdig.

Und nicht zuletzt ist die Propaganda als interessengeleitete Manipulation von öffentlicher Wahrnehmung zu nennen, wie wir sie derzeit im Zuge der Irak-Kriegsvorbereitungen feststellen. US-Verteidigungsminister Rumsfeld soll – laut »New York Times« (Meldung bei T-Online vom 16.12.2002) – gezielt Falschmeldungen in befreundete Länder streuen, um die Stimmung amerikadienlich zu beeinflussen. Im Krieg stirbt bekanntlich die Wahrheit zuerst.

Auf den ersten Blick gibt es keine Bewilligungsbehörde, bei der man eine Freigabegenehmigung erwirken muss. Dies stimmt aber nur zum Teil: So muss jeder Kino-/Videofilm samt Werbematerialien der »Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft« (FSK) vorgelegt werden, um eine Altersfreigabe zu erhalten. Ungeprüfte Filme gelten als »nicht freigegeben unter 18 Jahren«. Die FSK kann Schnittauflagen verhängen oder die Freigabe verweigern. Oftmals kürzen Verleiher schon im Vorfeld, um eine möglichst niedrige Altersstufe zu erhalten und damit eine größere Kundschaft anzusprechen. Ähnliche Selbstkontrollinstanzen gibt es in allen Kulturbereichen (z. B. die 15 Landesmedienanstalten, FSF [Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen], FSM [Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia], USK [Selbstkontrolle der Unterhaltungsspieleanbieter] usw.). Das Chaos der Jugendschutzkontrollen soll demnächst die »Kommission für Jugendmedienschutz« und ein neuer Jugendschutz-Staatsvertrag beseitigen helfen.

Neben der FSK werden zensorische Eingriffe vor allem von der BPjS (Bundes-prüfstelle für jugendgefährdende Schriften und Medien) vorgenommen. Diese weltweit einzige Behörde ihrer Art kann Medienobjekte indizieren, womit sie weit reichenden Vertriebsbeschränkungen wie einem Werbe- und Versandverbot sowie einem doppelt so hohen Mehrwertsteuersatz unterliegen. Der ständig ergänzte Index umfasst im Dezember 2002 über 2.850 Videofilme/DVDs, 380 Computerspiele, rund 300 Tonträger, ca. 150 Bücher und Comics sowie 730 Online-Angebote.

Außerdem kann jedes Amtsgericht eine Beschlagnahme/Einziehung von Medien anordnen, wenn sie als »gewaltverherrlichend« (derzeit 230 Titel), »pornographisch« (185 Titel) oder »rassenhetzerisch« (110 Titel) verurteilt wurden. Dies führt dann zu einem bundesweiten Totalverbot auch für Erwachsene.

Zensur im weitesten Sinne kann also sowohl vom Staat und seinen Organen (Gesetzgeber, Gerichte, Bundesprüfstelle, Staatsanwaltschaft, Polizei etc.) als auch von der Gesellschaft (in Form einzelner Bürger, Initiativen, Medienchefs, Institutionen etc.) und in gewissem Maße auch noch von den Kirchen und moralmächtigen Religionsgemeinschaften wie dem Zentralrat der Juden ausgeübt werden.

Zensurbefürworter und -gegner stehen sich meist verständnislos gegenüber. Die Bewahrpädagogen misstrauen dem Verantwortungsgefühl des mündigen Bürgers bzw. der Geschäftemacher, die letztlich alles produzieren, was verkäuflich ist, und fordern festgelegte Grenzen des Erlaubten. Die anderen plädieren für selbst-bestimmte Freiheit und Verantwortlichkeit auf einen Marktplatz der Ideen, wo gleichberechtigte Rede und Gegenrede zur Einigung führen.

Die steht natürlich nicht in einem historisch luftleeren Raum. Die Positionen haben traditionelle Wurzeln und sind Ausdruck der politischen und sozialen Befindlichkeit.

Zur Geschichte und Aktualität von Zensur

»Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien«, meinte Niklas Luhmann.Seitdem der Mensch Gedanken medial verbreitet, dürfte es Zensur geben. Die Bibliothek von Alexandria soll 642 durch Omar I. mit den Worten zerstört worden sein: »Wenn die Bücher mit dem Koran übereinstimmen, sind sie nicht nötig. Wenn sie ihm widersprechen, sind sie schädlich.«

Die ersten relevanten Zensurvorschriften finden sich kurz nach Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Denn die bis dahin alleine schrift-kundigen Kleriker erkannten schnell, dass ihnen ihr Deutungsmonopol abhanden kommt, wenn andere die Schriften kopieren. Auch zu große Freizügigkeit konnte Probleme geben. So wären um ein Haar Michelangelos Fresken in der Sixtina zerstört worden. Man begnügte sich aber mit der teilweisen Übermalung durch den sog. »Hosenmaler« Daniele da Volterra. Viele Werke fielen im 16. – 18. Jahrhundert vor allem den protestantischen Bilderstürmern zum Opfer.

Bei religiösen Schriften musste sicher gestellt sein, dass nur die »richtige Lehre« von den richtigen Leuten verbreitet werde. Abweichlern und ihren Werken drohten Inquisition und Scheiterhaufen. Die weltlichen Herrscher folgten dem Vorbild und stellten Indices nicht genehmer Publikationen auf. Autoritäre Zensur sollte die Macht der Herrschenden und der jeweils herrschenden Grundprinzipien sichern.

Meines Erachtens führt eine logische Entwicklungslinie vom 1559 geschaffenen, berühmt-berüchtigten »Index librorum prohibitorum« (Verzeichnis der verbotenen Bücher) der katholischen Kirche zum »Gesamtverzeichnis der indizierten Schriften« der Bundesprüfstelle in Bonn. Verlor der »Index Romanus«, auf dem sich von Balzac bis Zolá, von Descartes und Kant bis Heine und Sartre viele Klassiker der Weltliteratur und Philosophie befanden, 1966 seine kirchenrechtliche Strafgewalt, so wird der 1954 geschaffene ‚Index Germanicus‘ bis heute im Namen des Jugendschutzes fortgeführt.

Mit Erfindung der Massenmedien seit der Industriellen Revolution konnten sich auch untere Bevölkerungsschichten Bücher, Zeitschriften und Fotos leisten. Die Befürchtung, dass als »Schmutz- und Schund« kritisierte Medien die ungebildeten und leicht beeinflussbaren Klassen sowie die Jugend gefährden, ist eine Idee des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche Sittlichkeitsvereine und Gesetze datieren auf diese Phase zurück.

Je nach Zeitgeist gerieten unterschiedliche Medieninhalte in den Brennpunkt: Waren es im frühen 20. Jahrhundert vor allem der neue Film, Kolportageromane und schlüpfrige Postkarten, so wurde die gesamte Kulturlandschaft während des Zweiten Weltkriegs geknebelt. Als Stichworte sollen reichen: Ermordung von Anders-denkenden, Gleichschaltung, Berufsverbote, Bücherverbrennung, Schwarze Listen.

In der Nachkriegszeit erstellten die Alliierten Schwarze Listen und entfernten Nazi-Schriften, die den Prozess der Re-Education behinderten. In der jungen Bundes-republik kamen vor allem die aus den USA stammenden Comics ins Gerede und gaben der frisch gegründeten Bundesprüfstelle die ersten Gründe zum Einschreiten gegen diesen ‚Schmökerschund‘. Auch das Fernsehen stand rasch im Ruf, die Familie zu untergraben und zur Verdummung nicht nur der lieben Kleinen beizutragen. Selbst »Oskar in der Mülltonne« wurde nach Elternprotesten in den 70er Jahren aus der deutschen »Sesamstraße« geworfen.

Seit dem KPD-Verbot 1956 wurden linke Äußerungen kritisch beäugt. Seit der 68-Studentenrevolte sollten auch unliebsame Darstellungen von Gewalt, Sex oder Drogen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verdrängt werden. So durften in dem Erotik-Ratgeber »Helga & Bernd zeigen 100 Liebespositionen« (Flensburg 1969) die beiden Protagonisten nur in Ganzkörperoveralls abgebildet werden. Auf diesem Bild wurden die erogenen Zonen auf die Anzüge gemalt. Die RAF-Terrorakte im sog. Heißen Herbst der späten Siebziger Jahren führten zu Notstandsgesetzen, Rasterfahndung, Berufsverboten, dem Radikalenerlass und unzähligen Prozessen wegen Äußerungsdelikten im sog. »Sympathisantensumpf«.

Video – die unterhaltungselektronische Innovation der 1980er Jahre – erregte den Argwohn, da hier erstmals Filme ohne Freigabe, leicht zu kopieren und unkontrollierbar verbreitet werden konnten. Tausende von Werken, die sich für eine Kinoverwertung nicht anboten, kamen erst auf den Markt und dann auf den Index. Nicht zuletzt die von Presse und Öffentlichkeit hochgepushte Horror-Welle (»Mama, Papa, Zombie«) machte Video zum primären Feindbild und erleichterte staatliche Eingriffe. Computerspiele, DVD und Internet markieren den derzeitigen Stand der Technik und der berufsbesorgten Staats- und Jugendschützer. Die unabschätzbaren Möglichkeiten der schlecht kontrollierbaren neuen Medien bergen für sie eine große Bedrohungsqualität.

Im Grunde ändert sich wenig, auch wenn die Zensurgründe heute nicht Majestäts-beleidigung, sondern Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, Volks-verhetzung statt Anreizung zum Klassenkampf oder Störung des öffentlichen Religionsfriedens statt Gotteslästerung heißen.

Zum Glück sind so lebensbedrohliche Maßnahmen etwa wie die von islamischen Fundamentalisten hierzulande nicht zu finden. Wie die Ayatollahs mit Gegnern verfahren sollten, bewies schon diese Banknote, auf der sie das Portrait des Schahs mit einer orientalischen Arabeske ausbalkten, bevor die eigenen Scheine vorlagen.
In Deutschland ist der Einfluss der Religion vergleichsweise gering. Kircheninterne Zensurfälle gegen aufmüpfige Amtsinhaber sind indes Legion.

Zensur-Fälle, Folgen, Verbotsumgehungsstrategien

»Es gibt nur eine Art, Gespenster zu bannen.
Man muß sie beschreiben, indem man ihnen
den Spiegel vorhält.« (Shakespeare, Hamlet)

Zensiert, indiziert oder verboten werden kann praktisch jedes Medium. Die Folgen sind unterschiedlich gravierend. Während ein Porno, der in Erwachsenenvideotheken nach wie vor sein Publikum findet, von einer Indizierung wenig Nachteile hat, kann es das Aus für ein Buch oder eine Zeitschrift bedeuten, wenn sie nicht mehr am Kiosk ausliegen, beworben oder per Post verschickt werden darf. Lediglich Tageszeitungen dürfen nicht indiziert werden.

Filmzensur

Von den Dreharbeiten bis zur Fernsehausstrahlung – wegen seiner Suggestivkraft stellt das Medium Film den wohl am umfassendsten reglementierten Bereich dar. Als aktuelles Beispiel sei Saving Private Ryan (USA 1998) erwähnt, für dessen Ausstrahlung um 20.15 Uhr Pro7 Euro 500.000 Strafe zahlen soll. Der Film hatte trotz einer siebenminütigen Kürzung durch den Sender eine »ab 16«-Freigabe, dessen Ausstrahlung nach den Fernsehrichtlinien erst ab 22 Uhr erlaubt ist. Dies erklärt die zahllosen Kürzungen durch die Sender, um ein möglichst großes Publikum und höhere Werbeeinnahmen erreichen zu können. Besonders krasses Beispiel ist „True Romance“, bei dem in der Fernsehfassung der komplette Schluss fehlt, da ein Happy-End zur Nachahmung verleiten könnte. Auch wenn Programmzeitschriften wie „TV Spielfilm“ eigene Hinweissymbole auf Schnitte abdrucken – wie die Regisseure/Produzenten ihre Werke haben wollten, lässt sich oftmals nur im Vergleich mit dem ungekürzten ausländischen Original herauskriegen.

Eine Grauzone stellt die Abbildung eines Hakenkreuzes dar: So gibt es zwei Fassungen des Plakates für den Film American History X (USA 1998). Und der Verleiher des Filmes Amen (USA 2002) von Constantin Costa-Gavras nach dem Roman Der Stellvertreter von Rolf Hochhuth zog im letzten Jahr das vom Benetton-Werbedesigner Oliviero Toscani gestaltete Plakat wieder zurück und ersetzte es zumindest in Deutschland durch ein unverfänglicheres Motiv.

Auf Video oder DVD können Filme geschnitten, indiziert oder beschlagnahmt werden. Zur Zeit sind über 400 Titel wegen Gewaltverherrlichung oder Pornographie verboten. Als bekanntester Fall sei Evil Dead (USA 1982) von Sam Raimi erwähnt. Die comicartig überdrehte Horrorgroteske beschäftigte seit dem Verbot 1984 alle Instanzen. Schließlich gab das Bundesverfassungsgericht acht Jahre später die um eine Minute gekürzte Fassung frei, da eine Verletzung der Menschenwürde bei Filmzombies kaum vorliege. Indiziert blieb sie trotzdem. Der preisgekrönte Film ist in Italien übrigens ab »14 Jahren« freigegeben und lief im Fernsehen. Ebenfalls trotz Kürzungen beschlagnahmt und eingezogen ist in Deutschland 1990 George A. Romeros Day of the Dead (USA 1985), der unter Kennern Kultstatus genießt und im Ausland frei verkäuflich ist. Auch Dawn of the Dead (USA 1979) darf in Deutschland nicht verkauft werden.

Verschwinden indizierte Filme zumindest nicht vollständig vom Markt, so bewirkt die bundesweite Beschlagnahme/Einziehung durch ein Amts- oder Landgericht auch für Erwachsene ein Totalverbot. Besonders ärgerlich ist das bei Filmen, die wegweisend in ihrem Genre sind. So ist nur schwer verständlich, warum etwa Meisterwerke wie „Braindead“, „Tetsuo II“, „Phantasm“, „Halloween II“, „Demons“ und „Night Life“ für deutsche Augen und Ohren unzumutbar sein sollen. Weitere Beispiele für Verbote sind: „Don’t open till X-Mas“, „Friday the 13th – Final Chapter“, „Night of the Living Dead“, „The Dead Next Door“, „Tenebre“ und „Mask of Murder“.

Solch ungleiche Behandlung ruft Verbotsumgehungsstrategien hervor. Findige Vertreiber beliefern die Fans mit Originalfassungen (vor allem aus Holland, wo bislang noch keine Zensur stattfindet) oder Neuveröffentlichungen unter falschem Namen. Durch das Multimedia-Gesetz sind allerdings alle Versionen verbotener Filme mit den in der deutschen Fassung bereits untersagten gleichgestellt. Dies erklärt die zahlreichen aktuellen Verbote von DVDs wegen Inhaltsgleichheit. Denn selbst der Import bzw. Handel mit Originalversionen oder ein Release unter anderem Namen sind untersagt und strafbar, wie z.B. Oliver Krekel von „Astro“ erfahren musste. Nachdem praktisch sein komplettes Programm verboten worden war, wurde ihm der Prozess gemacht. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Bewährungsauflagen sehen vor, dass er keine solchen Filme mehr herausbringen darf. Astro existiert nicht mehr.

Besonders hahnebüchen sind Verbote von Medien, die sich mit verbotenen Filmen befassen, z.B. die Filmographien auf CD-ROM „Die Angst sitzt neben dir“ von Frank Trebbin und „Hölle auf Erden“ von Bertler+Lieber. Beide Lexika wurden im Jahr 2000 vom Amtsgericht Tiergarten wegen angeblicher Gewaltverherrlichung beschlagnahmt. Und das ambitionierte Internetportal www.schnittberichte.de wurde aus Jugendschutzgründen amtlich geschlossen.

Andere Länder – andere Sitten

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Empfindlichkeiten, die den Einsatz zensorischer Maßnahmen rechtfertigen sollen. In repressiven Staaten wie z. B. der Irak, Iran, China, Nordkorea oder auch Russland können unerwünschte Äußerungen strenge Strafen nach sich ziehen.

Aber auch in demokratischen Rechtsstaaten gibt es Animositäten. So verwahrte sich die Schweiz Mitte Dezember 2002 gegen das Buchcover von »Imperfect Justice« des amerikanischen Autors Eizenstat, da auf dem Umschlag ein Hakenkreuz aus Goldbarren über der Schweizer Nationalfahne zu sehen ist. Rechtliche Schritte gegen eine Veröffentlichung werden geprüft.

Bürgerechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen veröffentlichen zur internationalen Pressefreiheit Länderrankings. Beim aktuellen Ranking schneidet Deutschland übrigens mit einem Platz unter den ersten fünf Ländern recht gut ab. Weit abgeschlagen auf Platz 40 findet sich Italien, was auf die fragwürdige Politik Berlusconis zurück zu führen ist. Der Medien-Mogul und Milliardär hat eine Reihe von selbstzweckdienlichen Gesetzen verabschiedet, die die Meinungsfreiheit massiv einschränken. Autoren Berlusconi-kritischer Veröffentlichungen werden mit Straf- und Zivilprozessen in Millionenhöhe mundtot gemacht, TV-Redakteure abgesetzt, wenn sie nicht linientreu sind.

Im prüden Amerika ist z. B. die Verbreitung der »Auschwitz-Lüge« oder anderer neonazistischer Pamphlete (außer wenn es sich um sog. »hate speech« handelt) ebenso durch die Meinungsfreiheit gedeckt, wie exzessive Gewaltdarstellung, während Erotik dort strenger geahndet wird. Die USA als »Land of the Free«, »Home of the Brave« – eigentlich ein Hort traditioneller Meinungsfreiheit – haben durch Bush und nach dem 11. September mit dem »USA Patriot Act« schwere Eingriffe in die Äußerungsfreiheiten durchgesetzt und planen z. B. mit dem »Total Awareness Project« die Generalüberwachung des Datenverkehrs. Selbst Microsoft entfernte die Darstellung des World Trade Centers aus der neuesten Version des Flugsimulator-Computerspiels. Freimut Duve berichtet in seinem FR-Artikel »Das Ende der Vielfalt« (21.10.2001) von gefeuerten Journalisten, die es gewagt hatten, Bushs Politik zu kritisieren. Der »Marketplace of Ideas« ist in Gefahr zum Sklavenmarkt der Staatsräson zu verkommen. Es gab aber auch schon vorher z. B. zahlreiche Interessengruppen wie die »Moral Majority«, die etwa gegen Sexdarstellungen im Fernsehen agitierten. So vertreibt eine Organisation namens CleanFlicks familientauglich gekürzte Hollywoodstreifen, aus denen sie alle angeblichen Sex- und Gewaltszenen herausgeschnitten hat. Im Gegenzug verklagten Produktionsfirmen die Moralapostel wegen Urheberrechtsverletzungen.

Resümee und Ausblick

»Wenn man sämtliche Tabus zerstört und den Menschen
alles erlaubt, nimmt man ihnen eine der wenigen Freuden,
die sie auf Erden noch haben: die Übertretung von Verboten.«
(Donald Prick).

Im Grunde ist jede Zensur politisch und ein Spiegel der Gesellschaft, da Verbote mehr über ihren Zustand sagen, als das, was erlaubt ist. Doch: wer bewacht die Wächter? Gilt die Meinungsfreiheit auch für ihre Gegner?

Einfach darf man es sich nicht machen. Filter und Tabus haben ihre Berechtigung. Verbote schaffen Orientierung und sind nicht zuletzt ein Instrument der kulturellen Differenzierung, der feinen Unterschiede zwischen »erlaubt« und »nicht erlaubt«. Die Verletzung von Verboten verschafft Erkenntnisgewinn. Sie müssen aber verhältnis-mäßig sein und können eine Erziehung zur Medienkompetenz nicht ersetzen, denn Normen strukturieren die Unübersichtlichkeit des Lebens. George Bernhard Shaw meinte: »Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit; das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten.«

Mende und Kienzle argumentierten in ihrem Buch »Zensur in der BRD«, letztlich sei jeder Mensch und jede Behörde bei unliebsamen Äußerungen auf dem Sprung zum Zensor. Zensur basiert auf der Annahme, dass erst gesetzliche Regelungen, was gedruckt, gesendet oder ins Netz gestellt werden darf, uns vor unserer eigenen niederen Natur bewahrt, vor der Konfrontation mit den Urtrieben wie Angst, Lust, Ekel, Sex und Tod. Insbesondere Minderjährige, die in ihrem Selbst- und Weltbild noch nicht gefestigt sind, gelten als gefährdungsgeneigt.

So will ich den sinnvollen Jugendmedienschutzgedanken nicht in Abrede stellen und meine, dass die Wahrung der Menschenwürde durchaus eine Rechtfertigung für Zensur und Verbote darstellt. Ohne Diskussion gehört Kinderpornografie (wenn sie real ist, bei Büchern oder Comics ist das schon schwieriger) verboten. Aber diese abgefilmten oder photographierten Verbrechen an Wehrlosen gehören eh nicht in die Diskussion um Kunstfreiheit, die sich nur auf freiwillige und künstlerische Erzeugnisse von Erwachsenen für Erwachsene bezieht.

Gerade neue Medien werden gerne als Verursacher für gesellschaftliche Fehl-entwicklungen gebrandmarkt, wenn außergewöhnlich bizarre Verbrechen wie der Amoklauf von Erfurt oder der Kannibalismus-Fall in Hessen passieren. Nach Erfurt wurde der Jugendschutz verschärft, der »Gewaltverherrlichungsparagraph« 131 StGB sollte auf Anweisung der damaligen Justizministerin Däubler-Gmelin verstärkt zum Einsatz kommen. Sie verlor übrigens ihren Ministerposten wegen eines Vergleichs der Politik George W. Bushs mit der von Hitler. »Eine Zensur findet nicht statt …«?

Zumeist wird die Meinungsfreiheit als etwas Normales hingenommen. Sie ist aber ein stets gefährdetes Gut. Unhinterfragte Kommunikationstabus haben die Eigenschaft, sich zu verselbständigen. Unerwünschtes kann auch verdrängt werden, indem die Medien nicht darüber berichten. So müssen wir der Bundesprüfstelle dankbar sein, dass sie alle Indizierungen und Verbote auflistet.

Wären wir ohne Zensur nicht um einiges ärmer, müßten wir doch auf die Diskussion um die jeweiligen Grenzen und den Prickel ihrer Überschreitung, wenn uns in untersagtes Medienprodukt in die Finger gerät, verzichten. Nicht zuletzt entfaltet Zensur eher die gegenteilige Wirkung. Die Faszination des Verbotenen bringt raffinierte Umgehungen hervor, die den verfolgten Medien ein Interesse bescheren, das ihnen sonst kaum zuteil geworden wäre. Denn Indices waren schon immer Einkaufslisten für den Giftschrank. Besonders deutlich wird dies bei indizierten Online-Angeboten, auf die der Fan erst durch die exakte Internet-Adresse im Bundesanzeiger, JMS-Report und BPjS-Aktuell aufmerksam wird.

Aktuelle Ausstellungen wie »Der verbotene Blick« (Österr. Nationalbibliothek 2002) oder »Der ›Giftschrank‹« (Bayer. Staatsbibliothek 2002) sowie die Zensurbücher »Ab 18« verdeutlichen das Verhältnis von Wertewandel, Zeitgeist und Geschmacksurteil, was der Öffentlichkeit zugemutet werden kann und was eliminiert gehört. Zum Beispiel Erotik, die noch vor wenigen Jahrzehnten als unzumutbar galt und nur unter der Ladentheke mit »Verpflichtungsscheinen« an Volljährige abgegeben werden durfte oder verschämt in Privateditionen erhältlich war, findet sich heute an jedem Bahnhofskiosk, im Programm der Privatsender oder im Internet.

Diese Entwicklung wirft Fragen auf: Droht ständig die Gefahr sittlicher Verrohung und moralischer Verwahrlosung durch den Einfluss der Medien? Ist die zunehmende Liberalität günstig oder gefährlich für den ethischen Minimalkonsens einer Gesellschaft? Ist der abgestumpfte Konsument eines »anything goes« wirklich freier, oder entzaubern auf Dauer langweilige Tabubrüche nicht auch? Schaffen oder forcieren die Medien Bedürfnisse, oder sind sie nur ein Spiegel der Gesellschaft? Und schließlich der Ausblick in die zukünftige Entwicklung: Wenn wir heute belächeln, was früher in den Giftschrank verbannt wurde – was erwartet uns dann in nächster Zeit? Welche Werte und Tabus werden zur Disposition stehen?

Gleichwohl erscheint das alles im globalen Vergleich oft als Luxusproblem. So schrieb Sonja Zekri in ihrem SZ-Artikel »Freiheit, die wir meinten« (21.12.2002): »Der schärfste Zensor aber ist nach wie vor die Armut: 80 % der Weltbevölkerung haben noch nicht einmal Telefon. Telearbeit, Telelearning und Telemedizin bleiben Spielereien einer privilegierten Minderheit.«

Da die Grenzen des in einer Demokratie Hinnehmbaren veränderlich sind, kann es keine endgültigen Ergebnisse geben. Ein Grund mehr vor allem für Journalisten, Autoren und Multiplikatoren, sie aufmerksam zu beobachten. Um auf den fragenden Titel meines Textes zu antworten: Eine Zensur findet tatsächlich nicht statt – sondern viele. Zu Recht oder zu Unrecht? Heinrich Heine meinte: »Die Freiheit der Meinung setzt voraus, dass man eine hat.«

Roland Seim

Über den Autor:

Roland Seim, * 1965; Kunsthistoriker (M.A.) und Soziologe (Dr. phil.), promovierte über Zensur in der deutschen Populärkultur. Lehraufträge am Institut für Soziologie der Universität Münster (www.zensur.org) und Veröffentlichungen zum Thema, u.a. „Ab 18“ – Band 1 und 2. Seim ist als Autor und Verleger (www.telos-verlag.de) tätig.

Literatur

  • Bethmann, Andreas: X-Rated Zensurbuch, o. O. 2002
  • Buchloh, Stephan. »Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich«. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas, Diss. phil., Frankfurt/M. 2002
  • Eisermann, Jessica: Mediengewalt. Die gesellschaftliche Kontrolle von Gewalt-darstellungen im Fernsehen, Diss. phil., Opladen 2001
  • Fiedler, Christoph: Neue Äußerungsfreiheit im Internet. Staatliche Inhalts-kontrolle, gesetzliche Providerhaftung und die Inhaltsneutralität öffentlicher Datennetze als Element der Meinungsfreiheit in einer vernetzten Welt, Baden-Baden 2002
  • Hausmanninger, Thomas und Bohrmann, Thomas (Hrsg.): Mediale Gewalt. Interdisziplinäre und ethische Perspektiven, Stuttgart 2002
  • Jones, Derek (Ed.): Censorship: A World Encyclopedia, Chicago 2001 (4 Bde.)
  • Kellner, Stephan (Hrsg.): Der »Giftschrank«. Erotik, Sexualwissenschaft, Politik und Literatur: »Remota«. Die weggesperrten Bücher der Bayerischen Staats-bibliothek, Ausst.-Kat., München 2002
  • Liesching, Marc: Jugendmedienschutz in Deutschland und Europa, Diss. jur., Regensburg 2002
  • Österreichische Nationalbibliothek (Hrsg.): Der verbotene Blick – Erotisches aus zwei Jahrtausenden, Ausst.-Kat., Klagenfurt 2002
  • Pieper, Werner (Hrsg.): 1000 Jahre Musik & Zensur in den diversen Deutschlands, Löhrbach 2001
  • Seim, Roland: Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen, Diss. phil., Münster 19982
  • Seim, Roland und Spiegel, Josef (Hrsg.): »Ab 18« – zensiert, diskutiert, unterschlagen, Band 1 und 2, Münster 20023 und 20012
  • Wehrli, Reto: Verteufelter Heavy Metal, Münster 2001

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