Der Boom des Ghettofilms im New Black Cinema der 80er und 90er Jahre

Das amerikanische Großstadt-Ghetto wurde für ein Massenpublikum erstmalig zu Beginn der 70er Jahre in dem afroamerikanischen Autorenfilm SWEET SWEETBACK’S BADAAAASSS SONG (1970) filmisch sichtbar. Dieser Film von Melvin van Peebles’ löste die Blaxploitation-Produktionswelle in Hollywood aus, die bis Ende der 70er Jahre ca. 200 Low-Budget-Filme hervorbrachte. War van Peebles Film noch ein sozial-kritisches Porträt des Ghettolebens aus afroamerikanischer Perspektive, wurde das Ghetto in den Blaxploitation-Filmen wie SHAFT (1971), COFFY (1972) oder BLACULA (1972) zum Handlungsort von Actionstories, die oft Adaptionen erfolgreicher Blockbusterfilme in einem All-Black-Cast waren. Hollywood hatte die afroamerikanische Bevölkerung als zahlungskräftiges Publikumssegment ausgemacht, das separat zu bedienen war. Minimierung der Produktionskosten bei gleichzeitiger Spezialisierung auf ein bestimmtes Zielpublikum war die kommerzielle Erfolgsformel der Blaxploitation-Produktionen. Die Darstellung des Lebens innerhalb der Ghettos erfolgte in diesen Filmen jedoch völlig unreflektiert: Das Ghetto wurde als Ort der Black Community romantisiert und kritische Auseinandersetzungen mit der weißen Welt, die diese Lebensumstände aufzwang, wurden ausgespart.

So haben diese Filme keine ernsthafte afroamerikanische Perspektive eröffnet, und auch die rassistischen Stereotype, in denen der Hollywood-Film seit D. W. Griffiths BIRTH OF A NATION (1915) Afroamerikaner darstellte, wurden nicht wirklich überwunden. Toms, Coons, Bucks, Tragic Mulattoes und Mammys oder Hybridformen dieser Stereotype erschienen nun in einem zeigenössisch-modischen Seventies-Look. Die Inszenierungen waren dabei allerdings fast immer so dilletantisch, dass selbst der anspruchsloseste afroamerikanische Zuschauer Ende der 70er Jahre diesen Filmen seine Gefolgschaft entzog. Obwohl die rassistischen Stereotype in den Blaxploitation-Filmen weitgehend erhalten blieben, erfreuten sich die Filme bei einem Großteil des afroamerikanischen Publikums einer breiten Akzeptanz, denn die Darstellung von Afroamerikanern in diesen Filmen war die bis dato liberalste.

Im neokonservativen Klima der Reagan-Ära der 80er Jahre wurde das afroamerikanische Publikum wieder ignoriert und eine farbige Filmfigur hatte zunächst einmal einem weißen Mainstream-Publikum zu gefallen. Alte Erfolgskonzepte der 50er und 60er Jahre, wie die Buddy-Formel, erfuhren eine filmische Erneuerung, wobei der Crossover-Appeal der Darsteller absoluten Vorrang vor einem afroamerikanischen Diskurs hatte. Richard Pryor, Eddie Murphy und Whoopie Goldberg sind die Prototypen dieser Epoche.

1986 erfolgte schließlich aus dem Nichts ein Paukenschlag, der den Unsinn einer rassistischen Stereotypisierung im Film, die von Hollywood fast ein ganzes Jahrhundert lang praktiziert worden ist, offen legte und das New Black Cinema begründete: Spike Lees 175.000-$-Erstling SHE’S GOTTA HAVE IT (1986). Die Darstellung des turbulenten Beziehungsgeflechtes der Nola Darling aus der Mittelstandswelt in Brooklyn (NY) entfaltete einen afroamerikanischen Diskurs und fand gleichzeitig ein Crossover-Publikum ohne die Buddy-Formel zu verwenden. Lee folgt dem Erfolgsmuster von Martin Scorsese oder Woody Allen, indem er eine ernst-komische Perspektive auf eine eng begrenzte ethnisch definierte Lebenswelt legt und dabei universelle Geschichten erzählt. Damit offenbarte Lee das erhebliche ökonomische Potenzial von Filmen, die ein breites afroamerikanisches Publikum ansprechen und zugleich einem weißen Arthouse-Publikum Einblick in die Komplexität Afroamerikas bieten. Die Reaktion von Hollywood, das in den 70er Jahren noch mit einem unverzüglichen Produktionsboom auf das ökonomische Potenzial von SWEET SWEETBACK’S BADAAAASSS SONG antwortete, blieb allerdings zunächst aus.

Durch die kontinuierliche Arbeit von Spike Lee wurde das New Black Cinema in seiner frühen Phase (1986 – 1990) von der Öffentlichkeit zunächst als Ein-Personen-Phänomen wahrgenommen. Fast jährlich produzierte Lee mit seiner Produktionsfirma Forty Acres and a Mule einen Spielfilm, variierte dabei sein bestehendes Erfolgsmuster und porträtierte den afroamerikanischen Kulturkreis aus verschiedenen Perspektiven. Dabei entwickelte er sich zum geschickten Selbstvermarkter, der immer wieder wechselnde Hollywood-Majors für seine Produktionen begeistern konnte. Höhepunkt dieser Entwicklung war das 35-Millionen-Dollar-Epos MALCOLM X (1992), bei dem Lee durch Rassismusvorwürfe und Spendenaktionen gezielt medialen Druck auf seinen Geldgeber und Hollywood-Major Warner Brothers aufbaute und damit erfolgreich Filmlänge und –budget erhöhte. Lees Erfolgsgeschichte schaffte auch eine verbesserte Arbeitssituation für den afroamerikanischen Independentfilm, der seit den 70er Jahren vehement versucht, ein Kino der Differenz zum Monopolisten Hollywood zu realisieren und damit die Darstellung des afroamerikanischen Kulturzirkels aus der rassistischen Umklammerung Hollywoods zu befreien. So fanden Charles Burnett und Julie Dash, die in den 70er Jahren an der UCLA in Los Angeles die „L.A. School“, ein Kollektiv zur Realisierung des Kinos der Differenz, mitinitiiert hatten, Verleiher für ihre Filme TO SLEEP WITH ANGER (1991) und DAUGHTERS OF THE DUST (1991). Doch nicht nur der afroamerikanische Independentfilm profitierte ab 1991 vom erhöhten Publikumsinteresse am Black Cinema, sondern auch Hollywood hatte zu diesem Zeitpunkt ein Muster gefunden, um Profit aus der steigenden Nachfrage zu erzielen: die Befriedigung des voyeuristischen Interesses an der alltäglichen Gewalttätigkeit in den Großstadt-Ghettos. Der erwartete Produktionsboom setzte ein.

»Homeboy-Movies«

Dem »Inner City life« in den Ghettos der US-Metropolen, vor allem New York und Los Angeles, wurde gesellschaftlich zwischen 1989 und 1992 besondere Aufmerksamkeit zuteil. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, die als gemeinsamer Faktorenkomplex den Boom des New Black Cinema verdeutlichen können.

Die Kultur der Hip-Hop-Musik, die Ende der 70er Jahre in den Wohnblocks der Afroamerikaner im New Yorker Stadtteil Bronx entstanden war, trat 1989/90 ihren kommerziellen Siegeszug in der amerikanischen Pop-Musik an und fand in Form des Gangsta-Raps ihren vorläufigen Höhepunkt. Bereits vor diesem Höhepunkt demonstrierten Filme wie HOUSE PARTY (1989) das kommerzielle Potenzial der Hip Hop-Musik für das Filmgeschäft mit einem jugendlichen Zielpublikum, so dass die Auswertung des populär werdenden Stereotyps des Gangsta-Rappers eine logische Konsequenz war. Der Gangsta-Rapper konstruiert sich durch seine Raps das Image des »Bad Motherfuckers« und stilisiert sich als gewalttätiger Macho zum Boss des Ghettos. Damit bietet er vor allem jugendlichen Afroamerikanern, eine zweifelhafte Identifikationsfigur und stillt auf einfache Weise ihre Sehnsucht nach gesellschaftlicher Potenz. Gleichzeitig funktioniert der »Bad Motherfucker« auch als anarchistische Protestfigur gegen die Gesellschaft. Analog zum Erfolg der Hip Hop-Musik war diese Figur auch bei einem jugendlichen weißen Publikum schnell anerkannt worden, so dass der »Bad Motherfucker« eine zentrale Figur in den »Homeboy-Movies« des New Black Cinema wird. Der »Bad Motherfucker« kann als eine direkte Fortsetzung des »Pimps« betrachtet werden, der stereotypen Erfolgsfigur der Blaxploitation-Filme. Er steht damit trotz seines subversiven Potenzials in direkter Tradition des »Black Buck«, des rassistischen Stereotyps des männlichen Afroamerikaners im klassischen Hollywoodfilm als animalisch-sexualisierte und unzivilisierte Bedrohung der Gesellschaft der Weißen.

Der Erfolg des Gangsta-Rap wird von einem weiteren wichtigen Faktor begleitet, der den Filmboom des New Black Cinema begünstigt: der Fall Rodney King und die gewaltsamen Proteste der Afroamerikaner in Los Angeles Stadtteil South Central im Jahr 1992. Am 29.4.1992 sprach ein US-Gericht vier weiße Policeofficer frei, obwohl ihre brutale und rassistisch motivierte Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King vom 3.3.1991 auf Video aufgezeichnet und in den TV-Nachrichten für ganz Amerika als Verbrechen offensichtlich wurde.

In South Central reagierten die Afroamerikaner auf das rassistische Urteil mit den größten Rassenunruhen seit den 60er Jahren. Das Ergebnis waren 53 Tote und Sachschaden in Millionenhöhe. In der öffentlichen Meinung Amerikas entstand sehr schnell ein hybrides Konstrukt zwischen dem medialen Bild des gewaltbereiten Afroamerikaners der Rassenunruhen und dem Image des Gangsta-Rap. Besonders konservative Politiker nutzten dieses Konstrukt für ihre rassistische Diffamierung der Afroamerikaner. Doch dieses Konstrukt rief auch eine voyeuristische Nachfrage bei weißen Amerikanern nach dem authentischen Leben im Ghetto in Anlehnung an das medial verbreiteten stereotype Bild des spektakulären Gewaltpotenzials der Ghetto-Bewohner hervor. Hollywood bediente diese Nachfrage mit den »Homeboy-Movies« und schuf eine kommerzielle Formel, die ausgereizt wurde bis die Nachfrage 1993/94 gesättigt schien. Die zentrale Idee war dabei Geschichten zu erzählen, die als authentischer Erlebnisbericht eines männlichen Afroamerikaners verkauft wurden. Wichtig war, dass der Protagonist bzw. Antagonist direkten Bezug zum Image des »Bad Motherfuckers« aufwies. So versuchte man das Thema des gesellschaftlichen Rassismus zu ersetzen durch das populäre Thema »Gang Bang« und mit dem Casting bekannter Gangsta-Rapper als Schauspiel-Stars (Tupac Shakur, Ice-T oder Ice Cube) sollte der Grad an Authentizität des »Gang Bang«-Reports gezielt erhöht werden.

Außerdem ließen die Hollywood-Produzenten diese Geschichten von jungen unbekannten afroamerikanischen Regisseuren inszenieren und hoben deren authentische Millieukenntnis als Marketingeffekt hervor, obwohl diese Regisseure fast alle aus der afroamerikanischen Mittelschicht stammten und den Ghettoalltag nicht aus persönlicher Erfahrung kannten. Mario van Peebles (NEW JACK CITY, 1991), Matty Rich (STRAIGHT OUT OF BROOKLYN, 1991), John Singleton (BOYZ N THE HOOD, 1991) sowie die Brüder Allen und Albert Hughes (MENACE TO SOCIETY, 1992) waren in dieser Hinsicht Stil bildend. Bei den “Homeboy-Movies” sind drei Typen von Filmen unterscheidbar: 1. Der Ghetto-Film mit sozial-kritischem Anspruch, 2. Der Action-Film vor der Ghetto-Kulisse und 3. Der Ghetto-Film mit weiblicher Heldin.

Der Ghetto-Film mit sozial-kritischem Anspruch

Die Filme des ersten Typus’ folgen der Richtung, die Spike Lees DO THE RIGHT THING(1989) vorgegeben hat. Lee entwirft darin den afroamerikanischen Diskurs im Porträt des Brooklyner Ghettolebens am Beispiel des Pizza-Lieferanten Mookie.

Den Schwerpunkt bildet dabei der Rassismus zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen der Ghettobewohner, der in Aufruhrstimmung und schließlich in Gewalteskalation mündet. Die »Homeboy-Movies« STRAIGHT OUT OF BROOKLYN (1991) von Matty Rich und BOYZ N THE HOOD (1991) von John Singleton, die hier stellvertretend für den ersten Typus betrachtet werden sollen, thematisieren beide eine Gewalteskalation als Folge von Ausweglosigkeit und Tristesse des afroamerikanischen Ghettolebens, aus der Perspektive eines heranwachsenden Protagonisten. In beiden Filmen wird die afroamerikanische Perspektive und der Anspruch deutlich, auf die Missstände des Lebens im Ghetto aufmerksam zu machen.

Das Reflexionsniveau über die gesellschaftliche Situation der Afroamerikaner in den USA ist allerdings niedrig. In BOYZ N THE HOOD ersetzt ein möglichst realistisches Porträt der Bandenkriminalität im Ghetto das Thema Rassismus, welches von Lee in DO THE RIGHT THING (1989) noch zentrales Element der Gewalteskalation war.

Die Gewaltthematik wird damit vor allem für ein breites weißes Kinopublikum zum leicht konsumierbaren Sensationselement. Matty Richs STRAIGHT OUT OF BROOKLYN (1991) blendet dagegen den gesellschaftlichen Rassismus nicht völlig aus. In dem Porträt der Ausweglosigkeit einer afroamerikanischen Proletarierfamilie wird ein zutiefst nihilistisches Bild des Ghettolebens entworfen.
Die sozialkritische Ambition des Films findet ihre Form, indem Rich den gewaltsamen Konflikt fast vollständig ohne Action-Szenen inszeniert und stattdessen vorrangig mit langen Plansequenzen arbeitet. Während BOYZ N THE HOOD (1991) noch eine finale Hoffnung für den Protagonisten anbietet, indem suggeriert wird, dass jeder über eine individuelle Moral verfügt, sich gegen Gewaltverhalten zu entscheiden, verweigert die Schlusseinstellung in STRAIGHT OUT OF BROOKLYN (1991) jedes mögliche Happy-End. Die Schlusseinstellung des erschossenen Vaters lehnt damit jegliche Hoffnung auf die Zukunft kategorisch ab. Beide Filme erreichen eine neue Dimension einer realistischen Darstellung der Lebensumstände von Afroamerikanern in Großstadt-Ghettos.

Doch gerade von afroamerikanischer Seite erfuhren beide Filme auch Kritik hinsichtlich ihrer finalen Aussagen: So wurde Matty Richs fehlende Darstellung eines Ausweges aus dem Ghetto als destruktives Statement für die zukünftige Perspektive der Black Community betrachtet und John Singletons Rückzug auf die Position der individuellen Moral erschien vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Rassismus zu eindimensional.

Der Action-Film vor der Ghetto-Kulisse

Die weitaus größere Anzahl der »Homeboy-Movies« sind dem zweiten Typus zuzurechnen. Diese Filme reflektieren die Situation des afroamerikanischen Ghetto-Lebens kaum. Stattdessen werden gängige Klischees als Aufhänger für ein filmisches Action-Spektakel verwendet. Beliebte Themen sind dabei: das Ghetto als Drogenhölle (NEW JACK CITY, 1991) zwischen skrupellosen Dealern und dem Elend der Crack-Süchtigen; der mordende jugendliche Amokläufer (JUICE, 1991) sowie grundloses Morden als Alltag von Jugendgangs im Ghetto (MENACE TO SOCIETY, 1992). Dieser Typus der »Homeboy-Movies« erfreute sich bei einem weißen Actionfilm-Publikum besonderer Beliebtheit. Denn da die Filme die Rassismusthematik ausblenden, kann der weiße Zuschauer sich unbeteiligt an der filmisch zur Schau gestellten Brutalität unter Afroamerikanern und den Verfolgungsjagden im Ghetto aufheizen. Als prototypische Erfolgsfigur des Actionfilms vor der Ghetto-Kulisse ist der Charakter Bishop aus Ernest Dickersons Film JUICE anzusehen. Bishop verkörpert in der klassischen Gut vs. Böse-Story des Films den Antagonisten, der sich als mordlüsterner Serienkiller entpuppt. Dabei wird nicht seine unterprivilegierte gesellschaftliche Situation als Verhaltensmotiv herangezogen, sondern sein psychopathischer Charakter. Durch die Besetzung der Figur Bishop mit dem populären Gangsta-Rapper Tupac Shakur wird zugleich versucht, einen authentischen Bezug zur afroamerikanischen Jugendbewegung herzustellen. Die Figur, die sich in ihrem Verhalten nicht von Psychopathen aus gängigen Hollywood-Action-Filmen unterscheidet, wird somit zum Repräsentant einer Bevölkerungsgruppe und eine ganze Gruppe erhält seine Attribute.

Ein weiteres Problem dieser Filme ist ihre nihilistische Botschaft, die den rassistischen Bedrohungsfantasien von konservativer Seite der Amerikaner weiteren Nährboden bietet. Als Beispiel dafür dient der Film MENACE TO SOCIETY. Er schildert die grundlose Gewalt unter afroamerikanischen Jugendlichen als Kreislauf, dem sich ein Heranwachsender nicht entziehen kann. Ohne einen entschlossenen Versuch der Auflehnung zu unternehmen, lässt sich die Hauptfigur Caine in der Spirale des Alltagsmordens seines Freundes O-Dog mittreiben bis er am Filmende selbst erschossen wird. Trotz vieler authentischer Elemente des Ghetto-Lebens, die der Film transportiert, führt die fehlende Auseinandersetzung mit der Handlungsmotivation des Mordens dazu, dass der Film zum Action-Klischee verkommt. Der apokalyptische Film ist aber auch ein ideales Beispiel für die entgültige Ausformung „der Ghettoästhetik des New Black Cinema am Schnittpunkt von afroamerikanischem Nihilismus, weißer Bedrohungsfantasie, und ästhetischer Kinogewalt.“ (vgl. Hoffstadt: 149).

Der Ghetto-Film mit weiblicher Heldin

Die fehlende weibliche Perspektive ist an den »Homeboy-Movies« stets kritisch herausgestellt worden. In einem Großteil der Filme sind Frauen in klischierten Nebenrollen zu finden, werden auf traditionelle Stereotype (z. B. hilfloses Opfer oder Geliebte des Helden) reduziert oder zum sexuellen Objekt degradiert. Ein wichtiger Faktor zur Erklärung dieser Reduzierung und Degradierung ist in der Affinität der Filme zum Gangsta-Rap zu sehen. Machotum und Sexismus werden oft durch diese Affinität auf die zentralen Figuren der Filme übertragen. Hollywoods kommerzielles Interesse lag auch bei der Darstellung der Gewalttätigkeit des jugendlichen männlichen Ghettobewohners. Die jugendliche Ghettobewohnerin als Filmprotagonistin mit ihren spezifischen Schwierigkeiten der Identitätsfindung zwischen männlichem Machismo und konservativem Elternhaus wurde von Hollywood ignoriert. Erst in John Singletons POETIC JUSTICE (1992) wurde der weiblichen Perspektive ein breiteres filmisches Forum geboten. Der Film beginnt zwar mit sozialkritischer Ambition und porträtiert die Protagonistin Justice und ihren Lebensalltag im Ghetto vor dem zeitgenössisch aktuellen Hintergrund, dass ihr Lebensgefährte vor kurzem ermordet wurde. Allerdings gibt der Film schon früh seinen sozialkritischen Anspruch auf und mündet in einer kitschigen »Boy-meets-Girl-Romantik«. Durch die Ingnoranz Hollywoods erscheint es nur logisch, dass das einzige ernsthafte filmische Porträt des afroamerikanischen Ghettolebens mit weiblicher Perspektive aus einer Independent-Produktion stammt: Leslie Harris JUST ANOTHER GIRL IN THE IRT (1992) ist zugleich einer der ersten Spielfilme von einer afroamerikanischen Regisseurin. Der Alltag von Hauptfigur Chantel in den Brooklyn-Projects mit seinen spezifischen Anforderungen an eine heranwachsende Frau wird gezielt realitätsnah inszeniert, wobei Chantel selbstbewusst versucht, ihren Platz im Leben zu finden. Eine ungewollte Schwangerschaft und Chantels irrationaler Umgang damit scheinen ein Sozialdrama auszulösen, finden letztlich aber einen optimistischen Ausgang, ohne auf die Ebene eines didaktischen Märchens abzurutschen. Die hoffnungsvolle Schlussperspektive dieser Protagonistin bildet einen gelungenen Kontrast zum Nihilismus vieler »Homeboy-Movies«, der durch den gewaltsamen Tod des männlichen Protagonisten erzeugt wird, und wurde von afroamerikanischer Seite stets gewürdigt.

Black Cinema nach dem Boom

1993 war die Nachfrage nach »Homeboy-Movies« beim weißen Publikum gesättigt und Hollywoods Ghetto-Actionfilm-Erfolgsformel war ausgereizt. Man versuchte die Erfolgsformel zu variieren und auf weitere Genres auszuweiten, indem beispielsweise komödiantische Elemente in der Erzählung des Ghetto-Alttags hervorgehoben wurden (z. B. FRIDAY, 1994). Letztlich verschob Hollywood seinen Focus hin zur Perspektive der Mittelschicht der Afroamerikaner und erreichte damit in Filmen wie WAITING TO EXHALE (1995) durch den Crossover-Appeal wieder ein breites Publikum.

Durch den Produktionsrückgang der »Homeboy-Movies« verlor die Bewegung des New Black Cinema ihre mediale Aufmerksamkeit und so war es vor allem für afroamerikanische Newcomer schwierig, sich neu zu etablieren. Im Vergleich zu den 80er Jahren waren die Produktionsmöglichkeiten für Afroamerikaner durch den Erfolg des New Black Cinema allerdings wesentlich verbessert worden, so dass die afroamerikanische Perspektive auf dem Filmmarkt präsent geblieben ist. Als Problem stellte sich heraus, dass afroamerikanische Filme auf ausländischen Märkten nur bedingt auswertbar waren. Daher wurden diese Filme nicht mit einem Blockbuster-Budget bedacht und waren im Mainstreamkino nicht konkurrenzfähig. Viele afroamerikanische Regisseure, wie Charles Burnett, wichen daher auf den TV-Sektor aus, um ihre Produktionen zu realisieren, in denen eine offensichtliche afroamerikanische Perspektive vertreten wurde. Der Kino-Bereich blieb den wenigen Regisseuren vorbehalten, die durch die Boomzeit zu Regiestars avanciert waren. Neben Spike Lee waren das John Singleton und Mario van Peebles. Das Starsystem des New Black Cinema hatte für die zukünftige Hollywoodarbeit eines Regisseurs, eines Schauspielers und einer Schauspielerin einen bleibenden Einfluss. Denn Hollywood stellte aus diesem Starsystem seine A-List für afroamerikanische Besetzungen in Blockbuster-Filmen zusammen. Neben den bereits erwähnten Regiestars benutzten Schauspieler wie Wesley Snipes, Cuba Gooding Jr. oder Laurence Fishburn und Schauspielerinnen wie Angela Bassett, Jada Pinkett oder Halle Berry das New Black Cinema als Sprungbrett ins Hollywood-Mainstream-Geschäft. Interessant ist vor diesen Hintergrund, dass diese ausgebildeten Schauspieler im Starsystem des New Black Cinema nur eine sekundäre Rolle hinter Musikern, wie Tupac Shakur, Ice Cube oder Janet Jackson eingenommen hatten.

Der Erfolg des New Black Cinemas hat sicherlich auch zu einer weiteren Liberalisierung bei der Darstellung von Afroamerikanern im Hollywood-Film beigetragen. Allerdings sind die rassistischen Stereotype zur Darstellung der Afroamerikaner im Hollywoodfilm auch heute noch latent vorhanden. Zwar integriert die heutige Erfolgsformel eines Blockbusters in der Regel einen Afroamerikaner in einer größeren Rolle, um auch ein afroamerikanisches Publikum besser zu erreichen, jedoch sind diese Figuren dramaturgisch so angelegt, dass eine afroamerikanische Position nur am Rnade deutlich werden kann. Viele Schauspieler von Hollywoods A-List sehen sich daher mit der Kritik konfrontiert, dass ihre dargestellten Figuren in der Tradition der rassistischen Stereotypisierung angelegt sind.

Zwischen dem Problem, dass der Blick des immerhin zwei Drittel ausmachenden weißen Publikums nur schwer von bestehenden Stereotypen zu trennen ist, und dem männlichen Blick, wie ihn die feministische Filmforschung analysiert hat, besteht eine Analogie.

Spike Lee hat dieses Problem in seinem aktuellsten Film BAMBOOZLED (2000) auf eindrucksvolle Weise vorgeführt. Seine These, dass sich die Effekte des Blackfacing aus dem frühen Kinos in veränderter Form in den Blaxploitation-Filmen der 70er Jahre, den Sitcoms und Comedy-Shows der 80er Jahre und in der Ästhetik der Gangsta-Rap- und R&B-Video-Clips der 90er Jahre wiederfinden, ist nicht zu widerlegen. Er demonstriert damit, dass in Hollywood und in vielen anderen Produktionsstätten von medialen Produkten bei der Darstellung von Afroamerikanern der Bezug zur rassistischen Stereotypisierung noch immer zum Alltag gehört.

Dieser Bezug kann auch bei den »Homeboy-Movies« des New Black Cinema nachgewiesen werden.

Matthias Reitze

Literatur:

  • Bogle, Donald. 1994. Toms, Coons, Mulattoes, Mammies and Bucks. An interpretive History of Blacks in American Films. New York: Continuum (3. Edition).
  • Diawara, Mathia (Ed.). 1993. Black American Cinema. New York: Routledge.
  • Dührkoop, Dennis. 1997. New Black Cinema der 90er Jahre. Alfeld/Leine: Coppi.
  • Hiller, Jim. (Ed.). 2001. American Independent Cinema. A Sight and Sound Reader. London: British Film Institute.
  • Hoffstadt, Stephan.1995. Black Cinema. Afroamerikanische Filmemacher der Gegenwart. Marburg: Hitzroth (Aufblende Band 9).
  • James, Darius. 1995. That’s Blaxploitation. New York: St. Martin’s Griffin.
  • Null, Gary. 1993. Black Hollywood. From 1970 till today. New York: Citadel Press.
  • Rhines, Jesse. 1996. Black Film/White Money. New Jersey: Rutgers University Press.

Filmographie:

  • BAMBOOZLED (2000, R: Spike Lee)
  • BIRTH OF A NATION (1915, R: David W. Griffith)
  • BLACULA (1972, R: William Crain)
  • BOYZ N THE HOOD (1991, R: John Singleton)
  • COFFY (1972, R: Jack Hill)
  • DAUGHTERS OF THE DUST (1991, R: Julie Dash)
  • FRIDAY (1994, R: F. Gary Gray)
  • HOUSE Party (1989, R: Reginald Hudlin)
  • JUICE (1991, R: Ernest Dickerson)
  • JUST ANOTHER GIRL ON IRT (1992, R: Leslie Harris)
  • MALCOLM X (1992, R: Spike Lee)
  • MENACE TO SCOCIETY (1992, R: Albert & Allen Hughes)
  • NEW JACK CITY (1991, R: Mario van Peebles)
  • POETIC JUSTICE (1992, R: John Singleton)
  • SHAFT (1971, R: Gordon Parks)
  • SHE’S GOTTA HAVE IT (1986, R: Spike Lee)
  • STRAIGHT OUT OF BROOKLYN (1991, R: Matty Rich)
  • SWEET SWEETBACK’S BADAAAASSS SONG (1970, R: Melvin van Peebles)
  • TO SLEEP WITH ANGER (1991, R: Charles Burnett)
  • WAITING TO EXHALE (1995, R: Forest Whitaker)

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