Katze im Sack

Ich muss vorausschicken, dass ich in die Vorführung geplatzt bin, als bereits der Vorspann lief. Ich weiß also nicht ob es einen Prolog gab, der den Figuren, der Geschichte einen anderen Dreh verpasst hat. Ich befürchte, selbst wenn, es hätte nichts verändert. Die erste Szene zeigt Karl, gespielt von Christoph Bach, der schon in „Detroit“ eine schwierige Rolle zu verkörpern hatte. Er lässt sich per Anhalter von einem Mann mitnehmen, der ihn kurz darauf in einem Waldstück zum Oralsex überreden will, natürlich für Geld. Karl willigt zögernd auf das Angebot ein, um den Mann schließlich zusammenzuschlagen und ihm sein unmoralisches Verhalten vorzuwerfen. Später wird man erfahren, dass der Mann seine Frau schlägt. Das beschreibt bereits die Haltung des Films zu käuflichem Sex, eigentlich Sex im allgemeinen.

Karl lernt im Zug eine Frau kennen, Doris, gespielt von Jule Böwe, die vielleicht manch einer aus der Schaubühne kennt. Karl klaut ihr Tagebuch, sie klaut im Gegenzug den Inhalt einer Schatulle aus seiner Tasche. Beide verhalten sich unmoralisch. Es geht also um Moral. In Leipzig steigt sie aus, er folgt ihr. Sie treffen sich in einer Karaoke Bar, in der Doris als Kellnerin jobbt. Bereits vorher wurde erzählt, das sie mit einem älteren Herren, einem gewissen Brockmann, der Überwachungskameras, unter anderem in einem Puff, installiert, eine Freundschaft pflegt. Brockmann ist Voyeur und geilt sich an Doris privaten Videobotschaften auf, später masturbiert sie vor ihm. Karl wird in der Bar als smarter Charmeur vorgeführt, tatsächlich ist er das Gegenteil. Auch das erzählt viel über den Film.

Die Form der Annäherung zwischen Karl und Doris passt ins Bild. Sie geschieht über eine Wette. Karl muss ein Mädchen verführen. Genau das tut er, landet mit ihr im Bett. Sie spielt ihm einen Orgasmus vor, das erzählt ihm die kleine Schwester des Mädchens als er sich davon stehlen will. Er weiß das natürlich genauso wie der Zuschauer, etwas anderes ist in diesem Film nicht vorstellbar. Brockmann wird sterben, Doris sich von einem erbärmlichen Möchtegernaufreißer in der vielleicht gelungensten Szene ficken lassen und Karl am Ende wieder neben Doris im Zug sitzen, als wäre nichts passiert.

Der Film ist nicht uninteressant. Regisseur Florian Schwarz (sein Spielfilmdebüt) hat ein Gespür für Atmosphäre. Die lange Nacht in Leipzig, in der sich die Protagonisten verirren, aus der sie tot oder lebendig hervorgehen, neugeboren kann man nun wirklich nicht sagen, ist das passende strukturelle Mittel, um die Geschichten dramaturgisch aufzuladen. Aber, und das wiegt schwerer als alles andere, die Haltung, die der Film zu seiner Thematik entwickelt, bedient eine irrige, ja irgendwie sogar romantisierende Vorstellung von Erwachsenwerden, die mir ganz persönlich unangenehm ist.

Wenn es wirklich um Leben, Liebe und den Tod geht, wie Florian Schwarz im Festivalkatalog beteuert, sind die bemühten Bilder zu kurz gegriffen. Sie dienen sich regelrecht dem gewünschten Zielpublikum an, und der Film läßt schon allein durch die Auswahl der Musik keinen Zweifel um wen es sich dabei handelt. Ich muss es leider auch so deutlich sagen: keine der Figuren hat in meinen Augen die geringste Sympathie erfahren, Karl, der Held wenn man so will, am allerwenigsten.

Thomas Reuthebuch

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