The Last of the Independents

Eine morgendliche Sommeridylle in New Mexico: Die Sonne kriecht hinter den Bergen hervor, Kinder spielen im Garten, bevölkern die langsam aus ihrem Schlaf erwachenden Straßen. Ein Auto fährt vor einer Kleinstadtbank vor, ein älterer Herr möchte einen Scheck einlösen. Ein Polizist tritt an das Auto, weist die Fahrerin, die Gattin des Mannes, freundlich darauf hin, dass sie im Halteverbot steht. Der ältere Herr zeigt seinen Gipsfuß, er wolle doch nur kurz in die Bank. Der Polizist lächelt und drückt ein Auge zu, der Mann steigt langsam aus dem Wagen. So beginnt Don Siegels Film: Mit einem krassen Bruch gegenüber dem düsteren Ende, das „Dirty Harry“ nur zwei Jahre zuvor genommen hatte. So scheint es jedenfalls zunächst.

Das Ehepaar im Wagen entpuppt sich wenig später als Bankräuberpärchen: er, Charley Varrick (Walter Matthau), das Mastermind hinter den Überfällen, sie, Nadine (Jacqueline Scott), die brillante Fluchtwagenfahrerin. Eigentlich verdienten sich die beiden ehemaligen Kunstflieger ihr Geld mit Düngeflügen, bis Charley irgendwann auf die Idee kam, dass man die karge Kasse mit Überfällen aufbessern könne. Der Plan geht gleich in mehrfacher Hinsicht schief: Drei Menschen sterben während des Überfalls, Nadine lässt noch auf der Flucht vor der Polizei ihr Leben und das geplante bescheidene Sümmchen erweist sich als viel zu großer Brocken für Varrick und seinen heißspornigen Partner Harman (Andy Robinson). Ein Großteil der Beute ist schmutziges Geld der Mafia, die die kleine Bankfiliale als Deponie nutzte und nun nicht an einen dummen Zufall glauben möchte. Charley hat deshalb bald alle Hände voll zu tun seine Spuren zu verwischen, und den Mafiakiller Molly (Joe Don Baker) auf Distanz zu halten …

g_grosse_coup.jpgMit Der große Coup“ knüpft Don Siegel, der mit dem Vorgänger „Dirty Harry“ nach über 20 Jahren im Geschäft endlich seinen großen Durchbruch feiern konnte („Der große Coup“ beginnt als erster des Regisseurs mit der Einblendung „A Don Siegel Film“), wieder an den beschwingten Ton von „Coogans großer Bluff“ und „Ein Fressen für die Geier“ an. Parallel zu dieser Rückbesinnung verlässt er den Großstadtsumpf, den Harry Callahan vergeblich trockenzulegen versuchte, und kehrt zurück aufs Land und damit in eine Bilderwelt, die wieder mehr an die Zeit des Wilden Westens erinnert. Charley, „Der letzte der Unabhängigen“, wie er sich im Namen seines Flugunternehmens nennt, repräsentiert aber nicht etwa einen reaktionären Rückfall in vermeintlich bessere Zeiten, sondern den Auf- und Ausbruch, zu dem sein Vorgänger nicht fähig war. Wenn Callahan in einer Szene behauptete, gar nicht zu wissen, warum er seinen Job eigentlich noch ausübe, war das auch das Eingeständnis der eigenen Niederlage. Wie erbittert der Polizist auch gegen das Verbrechen vorging, letzten Endes musste er erkennen, auch nur ein Rädchen im Getriebe zu sein, wenn es sich auch manchmal in die falsche Richtung drehte. Charley hingegen entsagt dem korrupten Treiben, das die Welt um ihn herum bestimmt, und plant den Ausstieg mit äußerster Konsequenz und Entschlossenheit. Wenn er das Spiel aus Verbrechen, Verrat und Betrug zunächst mitspielt, dann nur, weil er den endgültigen Abschied aus diesem System so deutlich vor Augen hat. Mit dieser Prädispoition ist Charley Varrick natürlich der typische Spätwestern-Held, der übrig gebliebene Einzelgänger, den schon sein Firmenslogan benennt, und damit eine konstante Größe in Siegels Werk. Während alle Figuren um ihn herum sich in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen befinden – der hilflose Filialleiter steht unter der Knute des Bankchefs Maynard Boyle (John Vernon), dieser wiederum bekommt Druck von der Mafia, die ihm ihr Geld anvertraut hat, Charleys Komplize Harman hängt als armer Tropf an der Flasche und die diversen Prostituierten und Angestellten, die das weitere Personeninventar ausmachen, sind sowieso nicht mehr als Menschen zweiter Klasse, was sie besonders vom Killer Molly zu spüren bekommen, der natürlich das Spiegelbild des Helden darstellt – so kämpft Charley nur noch für sich allein: Der Tod seiner Frau bekräftigt nur, was sowieso schon klar ist. Diese Personenkonstellation wird von Siegel auf gewohnt unnachahmliche Art und Weise in Bewegung gebracht, bis nur noch der stoische Charley – und mit ihm der Zuschauer – den Überblick über das gesamte Ausmaß der Verwicklungen hat. Um das Ende vorwegzunehmen: Der Ausstieg wird ihm gelingen, sein altes Leben, seine alte Haut, lässt er in Form seines Firmenoveralls zurück: Der Schriftzug – Charley Varrick, the last of the independents – verbrennt und mit ihm alle Spuren.

Die Umstände haben es nicht so gut gemeint mit Don Siegels Film: Der Produzent ließ den ursprünglich geplanten Originaltitel „The Last of the Independents“ in das nichtssagende „Charley Varrick“ abändern, Walter Matthau, damals einer der Topstars, überwarf sich schon früh mit Siegel und machte aus seiner Abneigung gegen den gemeinsamen Film nie einen Hehl und die Kritikerikone und Siegel-Hasserin Pauline Kael ging ebenfalls nicht gerade zimperlich mit dem Film um. Gegenüber dem ikonischen Vorgänger muss „Der große Coup“ seinen Zuschauern zudem ziemlich unspektakulär vorgekommen sein. Mit fast 40 Jahren Abstand lässt sich nunmehr feststellen, dass dieser Film zwar weniger offensiv nach vorn prescht als „Dirty Harry“, aber keinen Deut weniger fesselnd ist. Don Siegels zupackender Stil ist in der hoch dramatischen Eröffnung, der Figur des unbarmherzigen Killers Molly, kraftvoll verkörpert von Joe Don Baker, der unterkühlten, präzisen Inszenierung und dem rasanten Showdown jederzeit erkennbar. Ein kleiner, vergessener Klassiker.

Der große Coup
(Charley Varrick, USA 1973)
Regie: Don Siegel, Drehbuch: Dean Riesner, Howard Rodman, Kamera: Michael C. Butler, Musik: Lalo Schifrin, Schnitt: Frank Morriss
Darsteller: Walter Matthau, Joe Don Baker, Andy Robinson, John Vernon, Sheree North, Felicia Farr
Länge: 106 Minuten
Verleih: e – m – s

Zur DVD von e – m – s

Die oben beschriebene Rezeptionsgeschichte dürfte Schuld daran sein, dass „Der große Coup“ auf DVD bisher ein kärgliches Schattendasein führen musste: Die erhältliche US-DVD präsentierte den Film im falschen Vollbildformat und war daher unbrauchbar. e – m – s darf sich nun rühmen, diesen Film in mehr als ansprechender Form verfügbar gemacht zu haben. Zwar gibt es keine spektakulären Extras, doch dafür entschädigt die schöne Aufmachung: Die DVD kommt im Pappschuber und inkl. eines 16-seitigen Booklets, das neben dem Originalkinoprogramm einen informativen Text des Peckinpah-Spezialisten und Namensvetter Mike Siegel enthält. Wie bei allen Titeln der Reihe „Meisterwerke der Filmgeschichte“ gibt es auch hier also keinen Grund, nicht zuzuschlagen. Mit Sicherheit eine der wichtigsten DVD-Veröffentlichungen des Jahres.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,85:1
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)
Extras: Trailer, Biografien, Bildergalerie, Booklet
Länge: 106 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 12,95 Euro
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