Heim ins Reich

Der Journalist Blair Maynard (Michael Caine) reist mit seinem 12-jährigen Sohn Justin (Jeffrey Frank) in die Karibik, um dort für eine Story über das Bermuda-Dreieck zu recherchieren, wo Jahr für Jahr Schiffe unter mysteriösen Umständen verschwinden. Tatsächlich wird Maynard fündig: Bei einem Angelausflug fallen er und sein Sohn in die Hände von Piraten, die seit 300 Jahren unbemerkt auf einer kleinen Insel leben und sich mit dem über Wasser halten, was sie auf See erbeuten. Für Blair haben diese Piraten nun eine ganz besondere Aufgabe: Er soll den Fortbestand der Sippe sichern und mit der einzigen Frau ein Kind zeugen. Während Blair über einen Fluchtplan sinniert, unterzieht man seinen Sohn einer Gehirnwäsche …

51t-fuix-jl_ss500_1.jpg„Freibeuter des Todes“ ist zunächst einmal ein Film, dessen Existenz man sich heute kaum noch erklären kann. Die Inhaltsangabe lässt nicht viel mehr als ein drittklassiges B-Picture vermuten, erst ein Blick auf die Credits, in denen Namen wie eben Michael Caine, David Warner oder Frank Middlemass, Drehbuchautor Peter Benchley, Komponist Ennio Morricone, der französische Kameravirtuose Decae und Regisseur Michael Ritchie auftauchen, macht deutlich, dass es sich bei „Freibeuter des Todes“ um eine echte Großproduktion handelt, in die die Geldgeber einige Hoffnungen gesteckt haben dürften. Anstatt jedoch – wie gegenwärtig etwa Disney mit ihrer immens erfolgreichen „Fluch der Karibik“-Trilogie – mit ihrem Freibeutersujet auf ein Kinder- und Familienpublikum abzuzielen, entpuppt sich Ritchies Film als überaus ruppiges Spektakel, dass sich mit seinen teilweise recht drastischen Splattereffekten zudem als typisch für seine Zeit erweist. Was aber nun vordergründig alle Zeichen einer kreativen Fehlkalkulation trägt und allenfalls als filmische Kuriosität von zweifelhafter Bedeutung tauglich scheint, wird unter Ritchies versierter Regie zur gar nicht mal so dummen Geschichte über einen Vater-Sohn-Konflikt, antisoziale Triebe und autoritäre Resozialisierungsbestrebungen, die die Vorliebe ihres Regisseurs für anarchische Charaktere und das Anti-Establishment (man denke etwa an seinen „Fletch – Der Troublemaker“) erkennen lässt, aber mit einer eher bitteren Wendung versieht.

„Freibeuter des Todes“ ist nämlich zuerst eine Geschichte über die dysfunktionale Beziehung zwischen einem Vater und seinem (früh)pubertierenden Sohn. Von Anfang scheint das Verhältnis der beiden zueinander leicht gestört: Justin beklagt, dass sein Vater zu wenig Zeit für ihn habe, gemeinsame Unternehmungen sich immer als Mogelpackungen erweisen würden. So auch diesmal: Der versprochene Ausflug nach Disneyland ist in Wahrheit wieder nur eine von Blairs Berufsreisen, bei denen Justin die das dritte Rad am Wagen ist. Auf die berechtigte Kritik seines Sohnes reagiert der liberale Blair, indem er seine autoritären Zügel schleifen lässt: So kommt er Justins Wunsch nach, ein Waffengeschäft zu besuchen. Justins Erfolg am Schießstand – der Junge bekommt ein T-Shirt geschenkt, dass ihn als guten Schützen ausweist – deutet schon die Entzweiung des intellektuellen Vaters von seinem antisoziale Züge ausprägenden Sohn an. Justin ist deutlich frühreif: Der Zwölfjährige liest gleich zu Beginn mit großer Souveränität in einer Ausgabe des Playboy – wie ein Profi kontert er die entsprechende Anmerkung seines Vaters mit dem Hinweis auf die erstklassigen Reportagen aus –, später wird er vom englischen Bootsverleiher Windsor auf 15 geschätzt, bevor er dann bei einer Angeltörn auf Anhieb den gewünschten Barrcuda an Bord zieht. Der Spalt zwischen Vater und Sohn wird zur unüberbrückbaren Kluft als die beiden in die Hände der Freibeuter geraten. Nach einer Spezialbehandlung erkennt Justin seinen Vater nicht mehr, übergangslos hat er den restringierten Sprachcode der Freibeuter übernommen und ist zu deren Meisterschützen avanciert: Seine Jungenfantasie ist wahr geworden. Die Lage für Blair indes scheint hoffnungslos: Seine Fluchtversuche scheitern einer nach dem anderen, sein Sohn ist ihm völlig entfremdet. Und so reizvoll die Rolle des willenlosen Zuchtbullen für ihn auch sichtlich ist, so kann er den rational denkenden Zivilisationsmenschen dennoch nicht mehr ablegen: Als die Piratenfrau Beth ihm die verloren geglaubte Michael-Caine-Hornbrille wieder aufsetzt, sieht man deutlich die Enttäuschung, mit der er akzeptiert, dass seine Sozialisierung längst unumkehrbar ist. Die Situation scheint verfahren. Doch wie im pessimistischen Horror- und Gewaltfilm der Siebziger – man denke etwa an „Last House on the Left“, „The Hills have Eyes“, „Strwa Dogs – Wer Gewalt sät“ oder „Beim Sterben ist jeder der Erste“ – schlägt die bürgerliche Gesellschaft umso härter zurück, je mehr sie unter Druck gerät. Die Ankunft eines Schiffs von der Küstenwache (und also der Exekutive) leitet die finale Auseinandersetzung mit den Piraten ein, in deren Verlauf der Zivilisationsmensch Blair ein letztes Mal alle gesellschaftlichen Zwänge ablegen und zum Tier werden muss, um den asozialen Feind zu besiegen: Mit einer Maschinenpistole mäht er die Piraten vor den bewundernden Augen seines Sohnes nieder und erschießt dann deren Anführer unter Deck mit einer Leuchtpistole. Vom Bild des wiedervereinigten Vater-Sohn-Paares schwenkt die Kamera einen dunklen Leiterschacht empor bis zu einer ins Freie (und ins Licht) führenden Luke. Vor dieser schwebt bereits ein Hubschrauber. Wir hören den Funkverkehr und eine Stimme, die schockiert von den zahllosen Leichen an Deck berichtet: Die Rückkehr in die Gesellschaft ist mit einem hohen Preis versehen …

Freibeuter des Todes
(The Island, USA 1980)
Regie: Michael Ritchie, Drehbuch: Peter Benchley, Kamera: Henri Decae, Musik: Ennio Morricone, Schnitt: Richard A. Harris
Darsteller: Michael Caine, David Warner, Angela Punch McGregor, Frank Middlemass, Don Henderson, Zakes Mokae
Länge: ca. 110 Minuten
Verleih: Koch Media

Zur DVD von Koch Media

Für die Bergung dieses Schätzchens muss man Koch Media ein großes Lob aussprechen. In einer weltweiten DVD-Erstveröffentlichung machen sie einen Film zugänglich, der schon als altehrwürdiges Verleihvideo eine echte Rarität war. „Freibeuter des Todes“ ist ein nahezu vollkommen vergessener Mainstream-Exploitationer, umso erstaunlicher, in welcher Pracht er auf der schönen DVD erstrahlt: Bild und Ton lassen keinerlei Wünsche offen, machen den Film gut zehn Jahre jünger. Die DVD kommt in einem hübschen Pappschuber und enthält neben dem Trailer und einer umfangreichen Bildergalerie auch die komplette deutsche Super-8-Fassung des Films. Für Genrefreunde und Sammler obskurer Filme gibt es definitiv keinen Grund, hier nicht zuzuschlagen. Sicherlich ein Kandidat für die schönste DVD-Veröffentlichung des Jahres.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Trailer, Bildergalerie, Super-8-Fassung (ca. 32 Minuten)
Länge: ca. 110 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 14,95 Euro

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