Son of M

Während des Zweiten Weltkriegs erfährt der Serologe Dr. Rothe (Peter Lorre) von der Gestapo, dass eine seiner Mitarbeiterinnen wichtige Forschungsergebnisse verraten hat. Rothe gerät in arge Bedrängnis und weiß sich aus Angst nicht anders zu helfen, als die Verräterin, seine Geliebte, umzubringen. Der Mord wird vertuscht, Rothe kann verschwinden und unter dem Namen Neumeister nach Kriegsende ein neues Leben als Arzt in einem Flüchtlingslager beginnen. Das schlechte Gewissen und die Furcht vor Enttarnung nagen jedoch an ihm. Die Situation spitzt sich zu, als ein Neuer im Lager ankommt, der sich als ehemaliger Kollege und vor allem als Mitwisser entpuppt …51lduu7teql_ss500_.jpgNach seiner Emigration in die USA und dem Aufstieg zum internationalen Filmstar sollte der in Deutschland produzierte „Der Verlorene“ eine ebenso ruhmreiche Regisseurslaufbahn für Peter Lorre einleiten. Doch Lorres düstere und pessimistische Aufarbeitung von Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ als Nachkriegsdrama war ein kommerzieller Fehlschlag und sollte seine letzte Regiearbeit bleiben. Tief gekränkt kehrte Lorre in die USA zurück, ohne noch einmal an seine großen US-Erfolge anknüpfen zu können. Wenn man weiß, wie Vergangenheitsbewältigung im deutschen Nachkriegskino aussah, wundert es kaum, dass „Der Verlorene“ mit fliegenden Fahnen unterging. Lorre zeigt ein Nachkriegsdeutschland, dass seine Schuld kollektiv verleugnet hat und einfach zur Tagesordnung übergegangen ist. Doch für Rothes ist dieser Weg nicht gangbar: Am Ende wird er sich für den Freitod entscheiden, weil er seine Tat nicht vergessen kann. „Der Verlorene“, der selbst fast dreißig Jahre verloren war, bevor dieser Filmschatz in den USA geborgen wurde, lehnt sich inszenatorisch und bildlich stark an Fritz Langs Meisterwerk an, bedient sich einer visuellen Gestaltung, die viel dem deutschen Expressionismus verdankt, aber eher die Expressionismus-Rezeption des Film Noir aufgreift.

Das Spiel mit Licht und Schatten ist das beherrschende Gestaltungsmerkmal von „Der Verlorene“, dessen Welt in eine fahle Dunkelheit gehüllt ist, in die das Licht scharfkantige Schneisen schlägt. Und immer wieder das Gesicht Lorres, in dem sich der ganze Schmerz, das Leid und die Angst eingegraben zu haben scheinen. Es ist dieses Gesicht, in dem sich die ganze Tragik von „Der Verlorene“ offenbart. In einer Schlüsselszene kommt das besonders zur Geltung: Rothe hat eine Prostituierte (Gisela Trowe) nach Hause begleitet. Vor ihrer Wohnungstür verschwindet er in einem dunklen Winkel des engen Treppenhauses, aus dem sich dann ganz langsam sein kalkweißes Gesicht herausschält, eine fiebrig leuchtende Grimasse, während sie die Tür aufschließt. Als sie ihn ansieht, um ihn hereinzubitten, erkennt sie sein Geheimnis. „Totmacher“ schreit sie und benennt den Dämon so mit bestechender Klarheit. Doch der Schock für Rothe ist beinahe noch größer als für das Mädchen: Er kann nun nicht mehr länger vor sich weglaufen, weil er endlich weiß, wer er wirklich ist. Jemand hat ihm das „M“ auf seinem Rücken gezeigt.

Mit seinen starken kontrastreichen Bildern und dem Verzicht auf jegliche konkrete Verortung des Geschehens – auch wenn klar ist, dass „Der Verlorene“ in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs spielt, wird weder von Nazis noch von Hitler gesprochen – trägt Lorres Film beinahe gleichnishafte Züge, ist er dem Film Noir ebenso verpflichtet wie etwa der Tristesse der Literatur eines Franz Kafka. Lorres Protagonist ist der deutsche Jedermann, der sich letztlich seiner Verantwortung stellen muss, ob er will oder nicht. Der Film endet mit dem Bild eines herannahenden Zuges, der Rothe überrollen wird. Vor der Geschichte gibt es kein Entrinnen. So scheint es nur gerecht, dass dieser Film, den damals niemand sehen wollte, weil er eine zu unangenehme Wahrheit aussprach, über 50 Jahre nach seiner Entstehung als das erkannt wird, was er ist: als einer der bedeutendsten deutschen Filme der Nachkriegszeit und ein inhaltlich wie formal hochstehendes Filmerlebnis.

Der Verlorene
(Deutschland 1951)
Regie: Peter Lorre, Drehbuch: Axel Eggebrecht, Peter Lorre, Helmut Käutner, Benno Vigny, Kamera: Václav Vich, Musik: Willy Schmidt-Gentner, Schnitt: Carl-Otto Bartning
Darsteller: Peter Lorre, Karl John, Helmuth Rudolph, Johanna Hofer, Gisela Trowe, Renate Mannhardt
Länge: ca. 95 Minuten
Verleih: Arthaus

Zur DVD von Arthaus

Arthaus veröffentlicht „Der Verlorene“ in einer so genannten Premium Edition als Doppel-DVD. Die Präsentation des Films lässt keine Wünsche offen, auf der zweiten DVD findet sich neben einer ca. einstündigen, sehr informativen Dokumentation, die von der Entstehungsgeschichte bis zu Ansätzen einer formalen Analyse alle wichtigen Aspekte des Films abdeckt. Neben den Darstellerinnen Gisela Trowe und Hansi Wendler, die über Lorre nur Gutes zu berichten haben, kommt auch Regisseur Romuald Karmakar zur Sprache, der voller Begeisterung über den Film spricht und den Zuschauer damit förmlich ansteckt. Die zweite Dokumentation ist ähnlich lang und konzentriert sich ganz auf den Star Lorre. Dem uneingeschränkten Genuss der Dokumentation steht lediglich die etwas einschläfernd klingende Sprecherin entgegen. Dennoch: Für die Veröffentlichung von „Der Verlorene“ kann man Arthaus gar nicht genug danken. Der Kauf sei dringend empfohlen.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 1.0 Mono)
Extras: „Peter Lorre – Das doppelte Gesicht“, Making Of, Trailer, Fotogalerie, Biografie, Filmografie, Booklet
Länge: 95 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 18,95 Euro

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