Zwischen Affirmation und Aleatorik – Adorno und die Spaßkultur

Zu seinem hundertsten Geburtstag ist der Philosoph, Soziologe und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno (1903–1967) mit zahlreichen Ehrungen, Symposien und Sondersendungen bedacht worden. Das Adorno-Jahr 2003 hat naturgemäß auch eine Flut von Publikationen gebracht. Das Spektrum ist dabei außerordentlich breit und reicht von der höchst seriösen, DFG-geförderten Mammut-Biographie bis hin zu eher belanglosen Bändchen, die der „Nippifizierung“ (Ulrich Holbein) des Philosophen Vorschub leisten.

Ein etwas verspäteter Beitrag zur Adorno-Jubiläumsliteratur ist der 2004 im DenkMal Verlag erschienene Sammelband Wieviel Spaß verträgt die Kultur? (hrsg. v. Günter Seubold und Patrick Baum). Das Buch dokumentiert Vorträge einer in Bonn veranstalteten Tagung, die sich das Ziel gesetzt hatte, das Phänomen ‚Spaßkultur‘ mit Adorno in den Blick zu nehmen. Die Beiträge stammen von zum Teil namhaften Adorno-Kennern (u. a. Peter Bürger und Martin Seel) und unterziehen das Adornosche Verdikt von der Kulturindustrie als einem „Massenbetrug“ einer kritischen Prüfung im Hinblick auf seine Aktualität.

In einigen Beiträgen – v. a. von Günter Seubold, Volker Ladenthin und Peter Bürger – wird der Kulturindustrie-These große diagnostische Potenz bescheinigt: Die ‚Spaßkultur‘, so könnte man den Tenor zusammenfassen, ist die Fortsetzung der Kulturindustrie auf bislang von ihr verschonten Gebieten (Kunst, Wissenschaftsbetrieb, Schulwesen). Andere Beiträge – so der von Werner Keil und insbesondere der von Michael Wetzel – beurteilen Adorno etwas kritischer. Der Musikwissenschaftler Keil zeichnet ein ambivalentes Bild des Frankfurter Philosophen, der sich zum Trivialen – insbesondere zum Kitsch – höchst widersprüchlich verhält. Manches wird als Kitsch verdammt, anderes gerade in seiner Kitschigkeit gelobt. Keil interpretiert diese Widersprüche als Ausdruck von Adornos Dandytum: In der Nachfolge Baudelaires amüsiert der Philosoph sich damit, die auf Konventionelles eingestimmte, musikalische „middle-brow-class“ nicht nur mit Avantgarde-Kunst (dem „atonalem Neutöner Schönberg“) zu erschrecken, sondern auch mit der vor Kitsch berstenden Musik des beliebten Geigers Fritz Kreisler. Michael Wetzel kontrastiert Adornos Philosophie mit der des Dekonstruktivisten. Die Differenzen von Pariser und Frankfurter Philosophie, die sich in einem langen ‚kalten Krieg’ der beiden Denkschulen manifestiert haben, führt er auf die grundsätzliche Entscheidung der beiden Philosophen für einen bestimmten Denkgestus zurück: Derrida wähle das „Spiel“, wohingegen sich Adorno – so Wetzels Einschätzung – wesentlich auf das „Schimpfen“ verlegt habe. Der Pariser Philosoph setze die Phänomene der Welt aleatorisch ins Bild, während der Frankfurter sich den Dingen unter dem Vorbehalt der Kritik annähert. Der routinierte Derrida-Kenner zeichnet leichthändig die vitae der beiden Ausnahmedenker nach und bleibt dabei einer dekonstruktivistischen Lesart verpflichtet.

In besonderem Maße ist die Güte des Sammelbandes den Beiträgen von Martin Seel und Josef Früchtl geschuldet, die sich mit Adornos Einlassungen zu Kino und Film beschäftigen und dabei oft unbeachtete Details im Œuvre zutage fördern. Der Film, so zeigen die beiden Autoren in minutiösen Lektüren, wird bei Adorno doch differenzierter beurteilt als die vielzitierte Hollywood-Schelte in der Dialektik der Aufklärung ahnen lässt. Seel und Früchtl lassen ein hohes Maß an Enthusiasmus für das Kino spüren und erweisen sich zugleich als Adorno überaus wohl gesonnene Interpreten, die seinen Äußerungen zum Film neue, zukunftsweisende Aspekte abgewinnen können, was wiederum Adorno selbst mit großer Wahrscheinlichkeit zur Freude gereicht hätte.

Martin Seel stellt eindrücklich die verschiedenen Positionen dar, die Adorno zum Kino eingenommen hat: das Kino als „ästhetisches Asyl für die Hausfrau“, aber zugleich der „Film als Agent des falschen Lebens“, dem Adorno mit einer Bewahr-Medienpädagogik entgegentreten wollte. Dabei entdeckt Seel immer wieder Passagen, in denen Adorno bestimmte Qualitäten des Films lobt und ihn sogar aufgrund seiner subtilen Mittel als ein der modernen Kunst verwandtes Phänomen beschreibt. Es ist für Adorno vornehmlich die Differenz zwischen Ton und Bild, die ihn zu weiteren Interpretationen in den Filmtransparenten angeregt hat. Seel zeigt sehr eindringlich wie Adorno den Film als moderne Kunstform zwischen Profit und Rezeption einordnet, in Anlehnung an die Theorie des Optisch-Unbewußten bei Benjamin. Dabei mache Adorno eine improvisatorische Ebene im Mainstream-Kino aus, die die Montage als ästhetisches Mittel hervorhebt. Die Frage nach realistischen und anti-realistischen Tendenzen des Films verwerfe er in diesem Zusammenhang als indifferent verwirft. Seels gezielte Re-Lektüre des in der Dialektik der Aufklärung auftauchenden Kulturschematismus und der medienanalytischen Filmtransparente zeigt dabei eindrucksvoll, dass Adorno für die heutige Mediendebatte nichts an Aktualität verloren hat. Josef Früchtl wendet sich ebenfalls gegen den „monolithischen Charakter“ der Adorno-Rezeption im Hinblick auf den Film. Adornos Verdammung des Films werde wie eine „biblische Inschrift“ behandelt, Nuancen geraten dabei aus dem Blick. Hier bemüht der Philosoph aus Münster sich um eine Neuausrichtung und akzentuiert gegen den Mainstream die Stellen, an denen Adorno selbst dem Film sein ästhetisches Potential zu entlocken versucht

Insgesamt stellt der Band eine gut lesbare Aktualisierung von Adornos Kulturtheorie dar. Besonders verdienstvoll ist das differenzierte Bild, das die Beiträge von Adornos Einlassungen zur Kultur zeichnen. Gerade im Hinblick auf seine filmtheoretischen Äußerungen fügen sie dem altbekannten Bild neue Schattierungen hinzu und laden zur Adorno-Relektüre ein.

Patrick Baum/Günter Seubold (Hgg.):
Wieviel Spaß verträgt die Kultur? Adornos Begriff der Kulturindustrie und die gegenwärtige Spasskultur
Bonn: DenkMal 2004
166 Seiten (Taschenbuch)
Preis: 19,90 Euro

Florian Reinacher

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