Wissen ist das neue Glauben

„Glauben heißt nicht wissen!“: Das haben einem in der Kindheit gern die eigenen Eltern oder aber neunmalkluge Sandkastenfreunde mit auf den Weg gegeben und damit – ohne es zu wollen – gleichzeitig die Definition jeder Religion. Die Unbeweisbarkeit der Existenz Gottes ist eine Grundbedingung, ja das Paradigma des Glaubens schlechthin. Der Gläubige soll sich ganz seinem Vertrauen überlassen, das – ist es stark genug – jeden Zweifel überwindet: Glauben, das heißt, nein das IST Nichtwissen. Doch dieses sprichwörtliche Gottvertrauen scheint in einer Welt, die es mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen fast täglich schwieriger, wenn nicht gar gänzlich unmöglich macht, an einen Gott zu glauben, nicht mehr auszureichen. Man muss wissen, um glauben zu können.

Universitätsprofessor John Koestler (Nicolas Cage) hat bei einem Unfall seine Frau verloren, hadert seitdem mit sich und der Welt und muss seinen Sohn Caleb (Chandler Canterbury) allein großziehen. Als an dessen Schule eine Zeitkapsel geborgen wird, die Schüler dort vor 50 Jahren mit ihren grafischen Mutmaßungen über die Zukunft gefüllt und als Botschaft an folgende Generationen vergraben haben, fällt Caleb ein Zettel mit anscheinend willkürlich hingekritzelten Zahlen in die Hände. John dekodiert die Zahlen und entdeckt eine hinsichtlich Daten, Koordinaten und Opferzahlen korrekte Vorhersage sämtlicher Katastrophen der vergangenen 50 Jahre. Nur noch drei Daten sind offen und das letzte prophezeit nicht weniger als das Ende der Welt …

„Know1ng – Die Zukunft endet jetzt“ bedient sich einer Grundkonstellation, die auf die Bibel selbst zurückgeht und etwa auch in M. Night Shyamalans „Signs – Zeichen“ zum Einsatz kommt: Die Sinnkrise des trauernden Ehemanns – eines Wissenschaftlers im einen, eines Priesters im anderen Film – wird wie im Buch Hiob zum ultimativen Glaubenstest, zur Prüfung durch Gott selbst, der seinen zweifelnden Diener mit den schlimmsten Schicksalsschlägen straft, um dessen Gottvertrauen auf die Probe zu stellen. Während Mel Gibson als Reverend Hess in Shyamalans Film die Existenz Gottes nach dem Unfalltod der Ehefrau in Zweifel zieht und seinen Glauben erst neu finden muss, sucht Koestler den Trost im Gegensatz genau in diesem Glauben an ein Leben nach dem Tod, an eine alles steuernde Vernunft, für die er als Wissenschaftler jedoch ironischerweise stichhaltige Beweise braucht. Die Sinnlosigkeit, die Herrschaft des Zufalls, die die Wissenschaft predigt, empfindet er als schmerzhaft: Er will, dass der Tod seiner Frau einen Grund hatte, dass eine höhere Macht ihn befahl.

Der Fund des Codes bietet ihm also einen willkommenen Anlass. Wie in so vielen Filmen der Prä-Millenniums- und der Post-9/11-Zeit erliegt er erst dem Erkenntnisinteresse und dann der Paranoia, sieht überall Bedeutungen und Kausalverbindungen und glaubt sich schon bald als Auserwählter, dem man eine Botschaft übermitteln wollte. Es ist ein Standard dieser Filme, dass sie ihre Helden nicht widerlegen, sondern ihnen schließlich Recht geben: Die Zahlen sind tatsächlich ein Code, der Katastrophen vorhersagt, und Koestler ist der keinesfalls zufällige Empfänger dieser Botschaft. Doch ihr Übermittler ist nicht Gott, sondern eine außerirdische Rasse, die kurz vor der durch eine Supernova ausgelösten Apokalypse Koestlers Sohn Caleb aufsammelt, um mit ihm ein in Pastelltönen gezeichnetes Paradies neu zu bevölkern: Der Code war von Anfang an nur dazu da, Caleb zu retten.

„Know1ng – Die Zukunft endet jetzt“ ist – natürlich – ein höchst streitbarer Film, weil er Wissenschaft gegen Religion auszuspielen und so wieder einmal den lieben Gott zu retten versucht. Von dieser Warte aus ist es leicht, Proyas’ Film einen antiaufklärerischen Gestus zu unterstellen. Das göttliche Licht der Erkenntnis, in das Proyas seine Bilder taucht, scheint zudem eine deutliche Sprache zu sprechen. Doch „Know1ng – Die Zukunft endet jetzt“ ist mehr als religiöses Thesenkino. Er erzählt letztlich von Traumabewältigung und einer Privatapokalypse und macht die Hilflosigkeit des Einzelnen angesichts unfassbarer Unglücksfälle sehr plausibel: Es ist nur zu verständlich, dass sich Koestler in die Hoffnung flüchtet, sein Unglück könnte einem größeren Plan dienen. Dass sich diese Hoffnung in Proyas’ Film tatsächlich bestätigt, ist der filmischen Konvention geschuldet und eigentlich vernachlässigbar. Wichtiger als die Rettung Calebs durch außerirdische, göttliche (?) Wesen – die wiederum an die Außerirdischen aus Proyas’ „Dark City“ erinnern – wird für Koestler wie auch für den Zuschauer die Erkenntnis, dass der Mensch mit seinem Leid niemals allein ist, es immer mit unzähligen anderen teilt. Koestlers Anwesenheit bei einem Flugzeugabsturz, seine verzweifelten Versuche, Überlebende aus den brennenden Wrackteilen zu bergen, schließlich die unverkennbar an die Aufnahmen des Anschlags von 9/11 angelehnten Bilder von staubbedeckten Menschen, die nur knapp einem Unglück in einem New Yorker U-Bahnhof entronnen sind: Sie alle lassen in Koestler auch die Erkenntnis reifen, dass das Schicksal keine Rücksicht kennt, dass Schmerz, Trauer und Hilflosigkeit integrale Bestandteile des Lebens sind. Das zu wissen, ist eine schwere Bürde, eine Last, die ihre Träger niederdrückt. Und letztlich ist es doch wieder nur der nicht zu belegende Glaube an eine göttliche Gnade, an ein kosmische Grenzen überschreitendes Mitgefühl, der Koestler letztlich auf die Frage seines Sohnes, ob seine Mutter nun im Himmel sei, endlich sagen lässt: „Ich weiß es.“

Know1ng – Die Zukunft endet jetzt
(Know1ng, USA 2009)
Regie: Alex Proyas; Drehbuch: Ryne Douglas Pearson, Juliet Snowden, Stiles White; Musik: Marco Beltrami; Kamera: Simon Duggan; Schnitt: Richard Learoyd
Darsteller: Nicolas Cage, Chandler Canterbury, Rose Byrne, Lara Robinson, D. G. Maloney
Länge: ca. 117 Minuten
Verleih: Concorde

Zur DVD von Concorde

Die mir vorliegende Presse-DVD bietet ein in dunklen Szenen leicht verrauschtes und bewegungsunscharfes Bild und neben den mittlerweise handelsüblichen Featurettes einen Audiokommentar des Regisseurs Alex Proyas.

Bild: 2,35:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, DTS 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte
Extras: Audiokommentar, Trailer, Making of, Visionen der Apokalypse
FSK: Ab 12
Preis: 14,95 Euro

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Eine Antwort auf „Wissen ist das neue Glauben“

  1. Sehr schön zu lesen, dass ich nicht der einzige war, der Proyas‘ Film mehr als seine religiös-verbrämte Streitbarkeit abgewinnen konnte. Außerdem finde ich ja die Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion, den Proyas hier an einer doch recht spannenden Geschichte konstruiert, sehr interessant erzählt, auch wenn ich mich im Zweifel ja auch immer eher auf die Seite der Wissenschaft schlagen würde.

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