Willy, Wehner und das Fahrrad

Die Guillaume-Affäre gehört zu den interessantesten und noch immer nicht vollständig aufgeklärten Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte. Warum der ein ganzes Jahr vor seiner Enttarnung durch die deutschen Sicherheitsdienste beobachtete DDR-Spion einen der erfolgreichsten Kanzler der deutschen Nachkriegszeit stürzen sollte, bleibt eine offene Frage. Der Dokumentarfilm Schattenväter von Doris Metz nähert sich dem Thema auf ungewöhnliche Weise.

Metz interessiert sich nicht so sehr für die beiden historischen Persönlichkeiten Brandt und Guillaume als für ihre Funktion als Väter. Genauer: Das jeweilige Vaterbild ihrer Söhne. Dem aktuellen Doku-Trend der Substitution von historischen Akteuren durch deren Nachfahren folgend portraitiert Metz die beiden so unterschiedlichen Männer Pierre Boom (Guillaume) und Matthias Brandt, lässt sie von den unbekannten, eben Schattenvätern erzählen und verbindet die Interview mit allerlei bedeutungsgeschwängerten leeren Räumen und immerzu Gleisen und Bahnhöfen. Herauskommt eine Mischung aus familiensoziologischer Analyse und historisch irrelevanter, aber dafür amüsanter Anekdoten: Brandt etwa sollte um der Versöhnung willen mit Wehner eine repräsentative Radtour machen, fiel dabei vom Fahrrad und machte sich kommentarlos davon – Alltag der Macht.

Selbst unter soziologischen Gesichtspunkten ist das Thema der Dokumentation ein Allgemeinplatz: Die so genannten Schattenväter sind sich zwar, wie die Parallelmontage der Interviews sauber herausstellt, sehr ähnlich, aber dies liegt weniger an ihren politischen Hoheämtern und Aufträgen als vielmehr an der gemeinsamen Alterskohorte. Befremdung zwischen den Generationen, namentlich den Wehrmachtsvätern und ihren APO-Söhnen, ist das Gepräge eines Zeitenwechsels und nicht das Schicksal unglücklicher Einzelfälle. Warum Metz sich gerade für einen der Söhne Brandts, dazu noch den jüngsten, und Pierre entschieden hat, um die Distanz zwischen Vätern und Söhnen zu exemplifizieren, lässt sich nur mit der Anziehungskraft großer Namen erklären. Inwieweit die beiden Söhne „ewige“ sind und im Schatten ihrer Väter stehen, ist zweifelhaft; der dramatisierende Tonfall legt diesen seit den 20er Jahren aus der Mode gekommenen Topos jedenfalls nahe.

Schattenväter ist eine dokumentarische Mogelpackung, die menschelnde Zeitzeugengeschichte nutzt, um der soziologischen Rolle der Väter in einem zugegeben reizvollen Sonderfall nachzuspüren. Wer über die Geschichte belehrt werden will, sehe sich daher die gelungene Dokumentation Willy Brandt – Eine Jahrhundertgestalt des anerkannten Brandt-Biographen Merseburger an. Wer danach noch nicht genug hat, bekommt bei Schattenväter die dazugehörigen Geschichtchen geliefert.

Schattenväter
(Deutschland 2005)
Regie & Buch: Doris Metz; Kamera: Sophie Maintigneux
Mit: Pierre Boom, Matthias Brandt, Willy Brandt, Hanns Joachim Friedrichs, Günter Guillaume
Verleih: movienet
Länge: 93 Minuten

Thomas Hajduk

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