Unterwegs nach Cold Mountain

Dass Harvey Weinstein mit dem europäischen Kino aufgewachsen ist, gehört zu den vielen kleinen und großen Erzählungen, die sich um den stämmigen Produzenten aus New York ranken, die er selbst auch oft und gerne zum Besten gibt. So auch heute – wohl nicht ohne Kalkül, denkt man – auf der Pressekonferenz der Berlinale. In den Staaten herrsche blanke Diskriminierung, was europäisches Kino betrifft, wird da auf dem Podium gepoltert, seit 25 Jahren sei im US-Fernsehen kein Film dieser Herkunft zu sehen gewesen. Auch deshalb sei er stolz darauf, dass der von ihm produzierte Cold Mountain komplett in den Bergen von Rumänien entstanden ist, inszeniert von einem britischen Regisseur und mit vielen Europäern tragenden Rollen. Dass der New Yorker Produzent darauf so insistiert hat natürlich einen Hintergrund: In den USA gab es, wenngleich keinen Boykott, wie Weinstein kommuniziert wissen will, so doch Auseinandersetzungen, warum denn, auch in Hinblick der vielen Arbeitslosen in der Branche, gerade dieser Film, der doch vor allem auch von der Geschichte der USA handele, im Ausland entstanden sei. Und man meint in Weinsteins Auslassungen doch etwas Verbitterung herauszuhören, dass sein im Vorfeld der Oscarnominierungen am meisten gepushtes Baby dann doch nicht so gut wegkam, wie erhofft. Ausgesprochen wird er zwar nicht, doch der Vorwurf steht im Raum: Eine europäische Co-Produktion, wenn auch mit us-amerikanischem Geld finanziert, scheint für die Academy von vorneherein nicht relevant für die wichtigen Kategorien. Die Boxoffice indes zeigt sich solide: Trotz R-Rating aufgrund einiger drastischer Gewaltdarstellungen und etwas nackter Haut hält sich der Film an den Kassen recht passabel.

Vielleicht aber ist die Academy Weinstein auch einfach nur nicht auf den Leim gegangen: Nur wenige Momente in diesem immerhin rund zweieinhalbstündigen Epos wirken nicht mit mehr als nur einem halben Auge auf entsprechende Nominierungen hinkalkuliert. Schon die Geschichte, eine Adaption eines Romans von Charles Frazier, deutet darauf hin: Weil Reverend Monroe (Donald Sutherland) es mit der Lunge hat, zieht er mit seiner naiven Tochter Ada (Nicole Kidman) vom Trubel in Charleston aufs Land, auf die kleine Farm Black Cove in dem beschaulichen Örtchen Cold Mountain/North Carolina. Dort lernt das schüchterne Wesen, vom Vater von allzu irdischen Dingen ferngehalten, den kernigen, aber wortkargen Inman (Jude Law) kennen, der Felder pflügt, Dächer deckt und anderes Handwerk verrichtet. Die unterschiedlichen Alltagsrealitäten erschweren zwar die Kommunikation, doch nähert man sich sachte an: Eine Liebesgeschichte wird das dennoch nicht, denn schon kommt der Bürgerkrieg übers Land und wie viele seiner Altersgenossen zieht auch Inman begeistert in den Krieg. Dies zumindest erfahren wir in zahlreichen Rückblenden zu Beginn, denn der Film setzt drei Jahre später ein, als die Südstaaten den Krieg bereits zu verlieren drohen. Ein vor dem Aufbruch hastig zugestecktes Buch, ein leidenschaftlicher Kuss auf der Veranda und sehnsüchtige Briefe aus Adas Feder geben Inman im Morast des Krieges Halt und veranlassen ihn schließlich, nach einer schweren Verletzung, sich nachts aus dem Lazarett zu stehlen, um, immer auf der Hut vor herumstreifenden Militärs, die den Auftrag haben, Deserteure umgehend hinzurichten, den beschwerlichen Weg zu Fuß zurück nach Cold Mountain, zurück zu Ada anzutreten. Auch dort hinterließ der Krieg bereits Spuren: Der runtergekommene Bauer Teague (Ray Winstone) hat das Gesetz in die Hand genommen und versucht mit hartem Terrorregiment, aus der Kriegssituation (Land-)Gewinn zu schlagen. Nach Reverend Monroes Tod liegt die Farm brach, Ada selbst ist, unfähig für das Nötigste zu sorgen, auf Almosen der Nachbarn angewiesen. Die burschikos und erdig auftretende Ruby (Renée Zellweger) wird ihr bald zur Seite gestellt, um gemeinsam das Gut wieder auf Vordermann zu bringen. Auch hier, parallel und ebenso episodisch wie Inmans „Long Walk Home“ angelegt, kommt der Erinnerung an die flüchtige Begegnung mit dem liebgewonnenen anderen Menschen die Rolle des rettenden Strohhalms zu, die Hoffnung auf ein Wiedersehen wird zum letzten Halt.

Große Gefühle, die vor historischer Kulisse so umgesetzt werden, wie man es, mitunter zähneknirschend, auch erwartet: Nachdenklich betrachtete Fotografien, nach dem verlorenen Gefecht ankokelnde Buchseiten in Großaufnahmen, dann wieder das weite, unberührte Land, durch das der verwundete, nicht wirkliche Held mit ernster Miene stapft, süßholzraspelnde Briefe, aus dem Off von Kidman vorgetragen, die so leer wie pathetisch sind, eine musikalische Untermalung, in der jede Nuance, jeder existenzielle Schmerz von Dutzenden von Geigern umgehend überkleistert wird. Zwar handwerklich routiniert in Szene gesetzt – vor allem die Kameraarbeit von John Seale und die hervorragende Arbeit der Ausstatter sind zu erwähnen – schafft der Film es vor allem aufgrund seines noch nicht mal mehr bloß vorhersehbaren Drehbuchs und einiger mitunter unfreiwillig komischer Dialogzeilen darin kaum, von mehr als nur seinem Bemühen nach großem Kino zu erzählen und verharrt entsprechend als kalkuliertes Kunsthandwerk. Auch gelegentliche Spitzen gegen die Sehgewohnheiten der anvisierten Klientel lassen keinen Zweifel daran, dass hier, wenngleich weitgehend erfolglos, großes Pathoskino inszeniert werden sollte: Besonders Inmans Reise im Veborgenen durchs Hinterland zeichnet den Menschen oft als des Menschen Wolf, wenn etwa verhungernde Soldaten im Morast Babies zur Geisel nehmen, deren Mütter vergewaltigen oder auf Deserteurjagd gehen.

In solchen Momenten, wie auch zum Ende hin, als die blutige Auseinandersetzung zwischen Inman und Teague, auf die der Film unausweichlich zusteuert, endlich stattfinden darf, erinnert der Film – was vielleicht ja wirklich auch auf seinen europäischen Ursprung zurückzuführen ist – mitunter leicht an einige Vertreter des italienischen Westerns. Enzo G. Castellaris Keoma (Italien 1976) etwa erzählt eine in Auszügen ähnliche Geschichte, der Showdown vor schneeweißer Waldkulisse mit einer schwarzummantelnden Kidman lässt unweigerlich an Corbuccis Meisterwerk Leichen pflastern seinen Weg (Italien 1968) denken. Auch die zugrunde liegende Ideologie – der Zweifel des Einzelnen an Staatengebilde und ähnlichen Verbünde, eine Aussage, die Regisseur Minghella auf der Pressekonferenz mit Nachdruck unterstreicht – zielt in eine ähnliche Richtung. Ob man sich in diesen Momenten nun bewusst in solchen Traditionszusammenhänge verorten wollte oder nicht, sei dahingestellt. Fakt bleibt aber, dass der existenzielle Schmerz, von dem Cold Mountain vor allem in jenen Momenten zu erzählen versucht, schlicht nicht vermittelt wird, bzw. dort, wo ihn besagte Genrefilme künstlerisch glaubhaft umsetzten, in, böse gesagt, Heulsusenkino ausartet, vor allem wenn dem Bild noch die süßliche Streichermusik komplizenhaft zu Hilfe kommt. So verharrt der Film irgendwo zwischen großer Behauptung und geschäftsmännischem Kalkül und gibt sich so dergestalt allenfalls als Betrug am Zuschauer zu erkennen. Bleibt zu hoffen, dass diesem fadenscheinigen Eröffnungsfilm für den diesjährigen Wettbewerb, der bereits in den Ankündigungen eine mehr als offensichtliche, beinahe schon ausschließliche Tendenz zum sich besonders ernst und besorgt gebärdendem Kino nicht verhehlen kann, keine paradigmatische Rolle zufällt.

Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin außer Konkurrenz im Wettbewerb.

Unterwegs nach Cold Mountain
(Cold Mountain, USA 2003)
Regie/Drehbuch: Anthony Minghella; Kamera: John Seale; Schnitt: Walter Murch;
Darsteller: Nicole Kidman, Jude Law, Philipp Seymour Hoffman, Donald Sutherland, u.a.

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