Unaufgeregt

Es sind vermehrt Familiengeschichten, die das französische Autorenkino in letzter Zeit zu bestimmen scheinen. Geschichte, die mit der Aufarbeitung von individueller Vergangenheit zu tun haben und trotzdem (oder: dadurch) einen Blick auf größere sozialen Zusammenhänge werfen. Im vergangenen Jahr erschienene Filme wie „Mon Ange“ (Serge Frydman) oder „La Cou de la girafe“ (Safy Nebbou) behandelten traumatische Familienkonstellationen und etablierten aus dem Chaos der zerrütteten Kleinfamilie neue Strukturen. Kinder, auf der Suche nach Eltern oder anderen Verwandten spielten dabei eine zentrale Rolle. Und auch Philippe Liorets „Die Frau des Leuchtturmwärters“ nimmt sich dieser Erzählkonstellation an.

Der Film erzählt von der etwa zwanzigjährigen Camille (Anne Consigny), die nach dem Tod ihrer Mutter Mabé (Sandrine Bonnaire) auf die bretonische Insel Ouessant zurück kehrt, um das elterliche Haus zu verkaufen. In der Post findet sie ein Buch, das Mabé zugesandt wurde und auf dessen Umschlag der Leuchtturm „La Jument“, in dem ihr Vater Leuchtturmwärter war, abgebildet ist. Camille beginnt das Buch zu lesen und entdeckt darin die Lebensgeschichte ihrer Eltern und eine völlig neue Sicht auf ihre eigene Herkunft. Sie erfährt von der Ankunft eines neuen Leuchtturmwärters namens Antoine (Grégori Derangère) auf der Insel, der zunächst von allen Bewohnern abgelehnt wird: Der ehemalige Uhrmacher ist wegen einer Kriegsverletzung aus dem Algerien-Krieg für die auf der Insel bebtriebene Fischerei nicht geeignet und hat den Beruf des Leuchtturmwärters nur „auf dem zweiten Bildungsweg“ erlernt. Die Männer des Ortes halten ihn für einen Schwächling und wollen ihn sobald wie möglich wieder loswerden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten freundet sich Antoine mit dem Leuchtturmwärter Yvon (Philippe Torreton) an, der mit Mabé verheiratet ist. Bald schon findet sich Antoine in dem Dilemma zwischen der Freundschaft zu Yvon und der gegenseitigen Zuneigung zu dessen Ehefrau wieder. Als sich bei einer Jahresfeier des Ortes die Ereignisse überschlagen, entscheidet sich Antoine, die Insel wieder zu verlassen.

Lioret erzählt seine Beziehungsgeschichte in dem für das französische Autorenkino bekannt ruhigen Rhythmus. Eher sind es die Figuren, die die Umstände bestimmen als dass die Umstände Einfluss auf die Entwicklung der Charaktere nähme. Selbst die von der Natur und ihren Gewalten dominierte Existenz auf der Insel ist eher durch die sozialen Konflikte und Verbindungen charakterisiert. Der Außenseiter Antoine dringt förmlich in die Beschaulichkeit dieses Lebens ein und sorgt für Un- bzw. Neuordnung. Nicht nur, dass er den Frauen den Kopf verdreht und so die scheinbar fest gefügten familiären Strukturen hinterfragt, auch die politische „Stammtisch-Kultur“ lässt er ins Wanken geraten, als er nach mehrfachem Fragen schließlich die Geschichte seiner Kriegsverletzung erzählt. Man hat den Eindruck, dass mit Antoine ein Stück „Wirklichkeit“ nach Ouessant gelangt – eine Wirklichkeit, die nicht allen gut tut.

Die unaufgeregte Inszenierung des Films lässt viel Raum für einerseits beeindruckende Landschaftsbilder und verschafft andererseits den Figuren die Möglichkeit, Authentizität zu gewinnen. Bis in die kleinste Nebendarstellung hinein etabliert der Film das stimmige Portrait einer französischen Dorf-Idylle, die nur auf den ersten Blick eine ist. Hier ist natürlich den Darstellern, allen voran Sandrine Bonnaire und Grégori Derangère viel zu verdanken. Ihr Spiel ist es, dass die Dramatik der Ereignisse erst spürbar macht. Wenn „Die Frau des Leuchtturmwärters“ auf den ersten Blick vielleicht auch keine allzu ungewöhnliche Geschichte erzählt, so ist es doch so, dass gerade diese „Gewöhnlichkeit“ die Möglichkeit eröffnet, die „Details der Normalität“ in den zweiten Blick zu rücken.

Die Frau des Leuchtturmwärters
(L’Équipier, Frankreich 2004)
Regie: Philippe Lioret, Musik: Nicola Piovani, Kamera: Patrick Blossier, Schnitt: Mireille Leroy
Darsteller: Sandrine Bonnaire, Philippe Torreton, Grégori Derangère, Émilie Dequenne, Anne Consigny, Martine Sarcey u.a.
Länge 101 Minuten
Verleih: EuroVideo

Diese DVD bei Amazon kaufen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.