Ein Hengst, der erigierte Schlauch armlang. Eine Stute, ihre empfängnisbereite Scheide heftig pulsierend. Der Akt, die Nüstern des Hengstes, sich rythmisch weitend und verengend, weitend, verengend. Danach: in der kühlen Luft dampfende Pferdeleiber, der Hengst, den letzten Rest Sperma vom Geschlechtsteil der Stute leckend. Daneben: ein Mann, der Züchter, das Gesicht mit einem wild wuchernden Bart bedeckt, die Augen weit aufgerissen. Neugier. Faszination. Erregung?
So beginnt Walerian Borowczyks „La Bête“. Der Film, aber nicht die Geschichte, die „La Bête“ erzählt. Aber wo und wann beginnt sie? Das ist eine der entscheidenden Fragen dieses opulenten Films, der nach seiner Veröffentlichung leider eilig mit dem Etikett des „Skandalfilms“ stigmatisiert und somit letztlich missverstanden wurde. Die junge amerikanische Adlige Lucy Broadhurst (Lisbeth Hummel), soll nach dem Letzten Willen ihres verstorbenen Vaters den Sohn von dessen französischem Freund Pierre de l’Esperance (Guy Tréjan), den Pferdezüchter Mathurin (Pierre Benedetti), heiraten. Doch will man dem etwas senilen Kopf der Familie, dem Duc Rammendelo De Balo (Marcel Dalio), Glauben schenken, so lastet auf Mathurin ein Fluch, der seinen Tod bedeutet, sobald er heiratet. Dieser vermeintliche Aberglaube speist sich wiederum aus einer Legende, deren Ursprung rund 200 Jahre zurückliegt: Die Vorfahrin Romilda de l’Esperance soll im Wald von einem Tierwesen vergewaltigt worden und danach spurlos verschwunden sein. Diese Geschichte regt nun die Fantasie Lucys an, die einen erotischen Traum hat, in dem sie dem Akt zwischen Romilda (Sirpa Lane) und dem Tierwesen beiwohnt, der für das arme Tier mit dem Tod endet: Der einmal entfesselten Lust der zunächst verängstigten Frau hat es nichts entgegenzusetzen. Doch später deutet einiges darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um einen Traum Lucys handelte: Mathurin wird tot aufgefunden und als man ihn entkleidet, findet man pelzartige Behaarung, eine Wolfsklaue und einen zurückgebildeten Schweif …
Borowczyk selbst beruft sich auf eine berühmte Fallstudie aus dem Werk Sigmund Freuds, den Fall des so genannten Wolfsmannes, mit der Freud seine Theorie, dass jede Neurose ihren Ursprung in der Kindheit habe und auf eine so genannte Urszene – die Beobachtung der Eltern beim Geschlechtsakt – zurückzuführen sei, exemplarisch belegen wollte. Der „Wolfsmann“, ein russischer Adliger, erhielt seinen Namen aufgrund eines Albtraums, bei dem ihn auf einem Baum sitzende Wölfe durch sein Schlafzimmerfenster beobachteten. Freud glaubte, dass dieser Traum Ausdruck der bei der Urszene erlittenen Neurose sei. Der „Wolfsmann“ hatte seine Eltern beim Verkehr „von hinten“ beobachtet, der Vater erschien ihm im Traum als Wolf, weil er ihn im Akt als Bedrohung für die Mutter und sich empfand, der Schweif symbolisierte dessen Penis.
Diese Substituierung realer Ereignisse im Traum ist das zentrale Thema von „La Bête“, in dem die jungfräuliche Lucy zunächst unter dem heftigen Eindruck der Geschehnisse steht und daher besonders beeinflussbar ist: Sie befindet sich in einem fremden Land, sie wohnt einem Pferdeakt bei, den sie auf Fotos festhält, sie streift durch die dichten Wälder des Grundstücks der l’Esperances, sie erfährt im Anschluss von der Geschichte der Romilda, liest deren Aufzeichnungen, begutachtet das zerfetzte Korsett, das als einziges von ihr übrig blieb, und tritt schließlich zum ersten Mal ihrem künftigen Gatten gegenüber, der sich bei Tisch als nur wenig zivilisiert, sondern tierhaft und ungezähmt präsentiert. All dies findet Eingang in ihren Traum: die Orte im Wald, die sie zuvor schon aufgesucht hatte, das wolfsartige Wesen, in dessen Gestalt sich sowohl die Aufzeichnungen Romildas, die Gestalt Mathurins und die wahrhaft tierische Lust der Pferde widerspiegeln. Und ihr Traum nimmt solche realen Züge an, dass er sich bis in die Wirklichkeit ausdehnt.
Der strukturelle Geniestreich von „La Bête“ besteht darin, wie sich der Traum in Borowczyks Film eingliedert: Er bildet sowohl dessen Zentrum als auch den Klimax, er ist gleichzeitig der Endpunkt der Geschichte als auch deren Anfang und der Schlüssel zu ihrem Verständnis. Der Traum ist nicht nur Lucys Verarbeitung der auf sie eingestürmten Eindrücke, er ist gleichzeitig auch eine durch das „innere Auge“ der Protagonistin gefilterte Rückblende, sodass der „La Bête“ letztlich einen perfekten Kreis beschreibt: Er beginnt und endet mit dem Traum, der möglicherweise Realität ist. Eine Strategie, die sich vielleicht mit einem Zitat Nietzsches erklären lässt: „der Traum aber ist das Suchen und Vorstellen der Ursachen für jene erregten Empfindungen, das heißt der vermeintlichen Ursachen. Wer zum Beispiel seine Füße mit zwei Riemen umgürtet, träum wohl, dass zwei Schlangen seine Füße umringeln: dies ist zuerst eine Hypothese, sodann ein Glaube, mit einer begleitenden bildlichen Vorstellung und Ausdichtung: ,diese Schlangen müssen die causa jener Empfindung sein, welche ich, der Schlafende habe,’ – so urteilt der Geist des Schlafenden. Die so erschlossene nächste Vergangenheit wird durch die erregte Phantasie ihm zur Gegenwart.“
Auch sonst liegt die Verbindung zu Nietzsche nahe: Borowczyk gelingt es mit seinem meisterlichen Film die Gegensätze appolinische Vernunft auf der einen und dionysischen Rausch auf der anderen formal wie inhaltlich zu einem ästhetisch wie erzählerisch anregenden und inspirierenden Ganzen zu verknüpfen, dem man erst neugierig, dann fasziniert und schließlich erregt gegenübersteht. Ganz so, als würde man dem Akt der Schöpfung neuen Lebens beiwohnen.
La Bête
(Frankreich 1975)
Regie: Walerian Borwoczyk; Drehbuch: Walerian Borowczyk; Musik: Domenico Scarlatti; Kamera: Bernard Daillencourt, Marcel Grignon; Schnitt: Walerian Borowczyk
Darsteller: Sirpa Lane, Lisbeth Hummel, Elisabeth Kaza, Pierre Benedetti, Guy Tréjan, Marcel Dalio u. a.
Länge: ca. 94 Minuten
Verleih: Bildstörung
Die DVD von Bildstörung
Bildstörung hat sich mit bisher nur einer Handvoll Veröffentlichungen bereits einen immens guten Ruf erarbeitet: mit liebevollen Editionen seltener Filme, die dem Käufer viel fürs Geld bieten und selbst in kleinsten Details den Filmliebhaber erkennen lassen. Die herrliche DVD von „La Bête“ macht da keine Ausnahme. Neben zahlreichen interessanten und gehaltvollen Extras begeistert vor allem das umfangreiche Booklet, das Texte unterschiedlichster Herkunft vereint und in Jörg Hackfurths kurzem Essay über die bewegte Zensurgeschichte die der Film in Deutschland hinter sich gebracht hat seinen Höhepunkt findet. Das alles wäre nur halb so viel wert, stimmte die technische Ausstattung nicht: Doch auch hier weiß die DVD rundum zu überzeugen. Mit Sicherheit eine der wichtigsten und schönsten DVD-Erscheinungen des Jahres. Interessenten können den Film außerdem in einer limitierten Sonderedition erwerben, die eine Bonus-DVD enthält, auf der sich die rekonstruierte Langfassung des Films findet.
Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:
- Bild: 1:1,66 (Anamorph 16:9)
- Sprachen/Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono), Französisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
- Untertitel: Deutsch
- Extras: Kurzfilm „L’Escargot de Vénus“, Kurzdoku „Borowczyks Wahn“, Interview mit Walerian Borowczyk, Interview mit Noel Véry, Deleted Scenes, Behind the Scenes, Bildergalerie, 52-seitiges Booklet
- FSK: ab 18 Jahren
- Preis: 21,95 Eu