Toll trieben es die Nachkriegsdeutschen

Mitten auf der Straße in München: Zwei pubertierende Jungen, der eine als klassische „Brillenschlange“ erkennbar, der andere mit neurotischem Mundwinkelzucken ebenfalls als sexuell unerfahren gekennzeichnet, überreden ein durchtriebenes Luder auf der Straße dazu, ihnen endlich die Jungfräulichkeit zu nehmen. Weil der Brillenträger jedoch eine äußerst neugierige urbayrische Vermieterin hat, müssen sie das Mädel im Karton eines Fernsehapparates in dessen Zimmer schmuggeln, was die entsprechenden Kapriolen nach sich zieht („Der Fernseher hat geniest!“ „Ja, das ist ja auch ein Farbfernseher!“). Dieselbe Vermieterin begegnet einem andernorts (und in beinahe allen Hartwig-Sexfilmen) als schelmische Putzfrau wieder, die ein junges Mädchen vor den Übergriffen des immergeilen italienischen Gastarbeiters beschützen will und mit ihr schließlich einen Plan zur Abkühlung des Schürzenjägers entwickelt. Am Ende steht der enttäuschte Italiener allein nackt da und wird von der herbeigerufenen Feuerwehr „abgespritzt“.

sexfilm.jpgDiese beiden willkürlich herausgepickten Szenen illustrieren perfekt den Charakter der deutschen Sexkomödie der Siebzigerjahre, die im Fahrwasser der Oswalt-Kolle-Filme vom findigen Geschäftsmann Wolf C. Hartwig in rauen Mengen ausgestoßen wurden, nachdem er mit dem „Schulmädchen-Report“ einen der größten Kinoerfolge der deutschen Filmgeschichte gelandet hatte. Zwischen Voyeurismus und Aufklärung, Prüderie und Frivolität, freier Liebe und deutscher Spießigkeit entstand so ein Genre, dass die Gelüste des „dirty old man“ ebenso befriedigte wie die Neugier der Heranwachsenden und die Orientierungslosigkeit der Elterngeneration: also beinahe die gesamte Bevölkerung. So beschämt man sich auch heute bemüht, dieses Kapitel des deutschen Films unter den Teppich des Vergessens zu kehren, sein Einfluss dürfte kaum zu überschätzen sein. Hartwigs knallhart recherchierte Reportagen (sic!) trafen perfekt den Nerv der Zeit. Das Erfolgsrezept der von ihm initiierten Filmwelle war dabei so einfach wie bestechend: Der pseudowissenschaftliche und -aufklärerische Gestus der Filme, der sich im belehrenden Voice-Over, oft auch einem diegetisch anwesenden Reporter und schließlich dem in immer neuen Kombinationen wiederkehrenden Beititel „Report“ widerspiegelte, gaukelte Ernsthaftigkeit und hehre Ziele vor, wo es doch letztlich um reine Triebabfuhr ging. Was eigentlich der Form und dem Inhalt nach prüdeste und verklemmteste Anti-Aufklärung war, prägte den Begriff, den sich der Bundesbürger in den Siebzigern von Sex machte, ganz erheblich. Kein Wunder, dass er bei solchen Lehrmeistern auch heute noch gern als verklemmt und verkrampft apostrophiert wird.

Aber welches Bild suggerieren uns diese Filme eigentlich? Der Sex in den Hartwigschen „Reports“ ist trotz seiner behaupteten Alltäglichkeit immer Ausnahme, Exzess und wird vor allem konsequent den anderen zugeschrieben: Es ist bezeichnend, dass gerade der italienische Gastarbeiter – und der Ausländer generell – als besonders zügelloses und sexhungriges Triebwesen dargestellt wird. Und weil man sich der genommenen Freiheit immer noch ein bisschen schämt, findet der Geschlechtsverkehr in aller Heimlichkeit statt: in Lastenaufzügen, geheimen Massagesalons, Hinterzimmern oder in der freien „Wildbahn“ (dieser Aspekt des Heimlichen entbirgt sich sowohl implizit schon in den Titeln – das Wort „Report“ suggeriert, dass etwas investigativ an die Oberfläche geholt werden muss – als auch explizit, man denke an den „Schlüsselloch-Report“ oder an Formulierungen wie „Das geheime Sexleben …“). Zu Hause muss man immer damit rechnen erwischt zu werden: von der Vermieterin, dem Voyeur, den eigenen Kindern. Sex ist Machtspiel: Nicht selten ist die Frau die treibende Kraft, die ihre Reize zielgerichtet einsetzt (aber nicht, weil sie dies will, sondern weil sie von ihrem Trieb geradezu „übermannt“ wird), der Mann zuerst hilfloses Opfer, dann aber schließlich doch wieder die alleinige moralische und richtende Instanz, die die Frau auf den rechten Weg zurückbringt. In ihrem Frauenbild sind Hartwigs Filme unverkennbar Nachkriegsdeutschland. Besonders augenfällig wird das in dem 1971 entstandenen „Der neue heiße Sex-Report: Was Männer nicht für möglich halten“, der schon im Titel die sexuelle Zügellosigkeit der Frau gegenüber der Ratlosigkeit der Männer betont (in allen Filmen wird diese Konstellation durchgespielt). Hier wird das Leben der so genannten „grünen Witwen“ beschrieben: Gattinnen, die ihr Leben in tristen Wohnblocks fernab der Stadt fristen, während ihre Männer (meist zwanzig Jahre älter) der Arbeit nachgehen. Frustration und Langeweile machen sich breit und begünstigen ein außereheliches Sexleben. Die Frau stürzt sich in amouröse Abenteuer und muss am Ende zur Strafe Schicksalsschläge und Demütigungen erleiden. Sex ist weiblich, der Mann tut allerhöchstens pflichtschuldig seine Arbeit. In „Erotik im Beruf: Was der Personalchef gern verschweigt“ wird ein einzelner männlicher Arbeiter von den zahlreichen ihm unterstellten weiblichen Arbeitskräften in seinen Zigarettenpausen regelrecht vergewaltigt. Die Frau, das unbekannte Wesen.

So sehr sich die Hartwigschen Sexfilmchen also auch als sachliche Auseinandersetzung mit Bildungsauftrag tarnen und ein vordergründig progressives Rollenbild vorschützen (Hartwig erzählt in einem Interview stolz, dass seine Filme immer so geschickt konstruiert waren, dass nie ein Film beanstandet wurde), so sehr bedienen sie letztlich eine Männerfantasie, in der die Frau zwar die ruchlose und hungrige Verführerin ist, aber sofort in die ihr gesellschaftlich zugedachte Rolle zurückfällt, wenn sie erst den richtigen Partner gefunden hat. Und wenn sie sich dieser Rolle verweigert und ihr Heil in Promiskuität oder Prostitution sucht, so ist dies nicht einer reflektierten Willensentscheidung zuzuschreiben, sondern liegt letztlich nur daran, dass es ihr gelungen ist, das Bedürfnis nach dem einen, richtigen Mann zu verdrängen und der Fleischeslust hoffnungslos erlegen ist.

Dieses Prinzip wird im „Frühreifen-Report“, dem wohl perfidesten Film der Reihe, auf die Spitze getrieben: Dieser Film, der die sexuelle Aufklärung und Erziehung der Jugend im Sinn hat und sich an die betroffenen Eltern wendet, erzählt in der Rahmenhandlung von einem jungen Mädchen, das ein Verhältnis mit dem Freund ihrer Eltern anfängt. Sie endet zunächst damit, dass die Mutter das Liebesspiel zwischen den beiden erschrocken entdeckt. „Wie soll sie richtig handeln?“ – diese Frage schwebt während der folgenden Episoden im Raum, bevor sie dann am Ende mit einer Fortsetzung der Rahmenhandlung beantwortet wird: Die Mutter behält das Geheimnis für sich, anstatt die Tochter zu bestrafen oder den Freund anzuzeigen, erkennt sie, dass ihre Tochter „zur Frau heranreift“ und klärt sie lieber auf, als zu intervenieren. Dem Glück der deutschen Familie steht nichts mehr im Wege.

So skandalös sich das alles liest, so harmlos-naiv sind die Filme aber tatsächlich. Wie verkrampft der angeblich lockere Umgang mit dem Thema ist, lässt sich auch an der Sprache ablesen, mit der die „natürlichste Sache der Welt“ bedacht wird: saftiges bayrisch (die Filme wurden allesamt in München realisiert), Diminutive, Verniedlichungen, Vulgärsprache. Überhaupt haben Hartwigs Filme mit ihrem lauten, polternden Humor viel mit den deutschen Lustspielen und Komödien gemein, die man aus dieser Zeit kennt. Ein Grund, weshalb es aus heutiger Perspektive schwer fällt, den Filmen ähnlich entschieden gegenüberzutreten wie es die Protagonisten des Neuen Deutschen Films damals taten (nachzuhören und zu -sehen in der der Kinowelt-Box beiliegenden Dokumentation „Von Sex bis Simmel“). Diese Konkurrenzsituation entspricht in kleinerem Rahmen der Lage im US-amerikanischen Filmgeschäft der Siebziger, nur dass die Rollen dort genau anders herum verteilt waren. Während die Intellektuellen des New Hollywood Sex offen thematisierten, flüchtete sich der deutsche Autorenfilm in aseptische Kopfwelten, damit ein wichtiges kommerzielles Schlachtfeld dem so genannten Altherrenkino überlassend. Ein Fehler, wie die Filmemacher heute bereitwillig eingestehen. Gerade diese historische Bedeutung macht die „Reports“ heute so interessant und lohnt eine Auseinandersetzung mit ihnen.

Zu den DVDs von Kinowelt

Die Kinowelt-Box „Angezogen, ausgezogen, ungezogen: Die 70er Jahre Sexfilm-Box“ beinhaltet folgende Titel: „Schlüsselloch-Report“, „Wenn die prallen Möpse hüpfen“, „Liebe zwischen Tür und Angel: Vertreterinnen-Report“, „Jürgen Rolands St. Pauli Report“, „Der neue heiße Report: Was Männer nicht für möglich halten“, „Schüler-Report: Junge, Junge! Was die Mädchen alles von uns wollen“, „Mädchen, die nach München kommen: Das geheime Sexleben der Olympiastadt“, „Erotik im Beruf: Was jeder Personalchef gern verschweigt“, „Liebe in 3 Dimensionen“ (alle FSK 16, die letzteren drei wegen der noch bestehenden Indizierung leicht gekürzt), den „Frühreifen-Report“ (FSK 18) sowie die auf Bonus-DVD mitgelieferte und hochspannende arte-Dokumentation „Von Sex bis Simmel“.

Zur Ausstattung der Box:

Bild: 1,66:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Dokumentation „Von Sex bis Simmel“, DVD-ROM-Teil, Trailer, Booklet
FSK: Ab 18
Länge: 803 Minuten
Preis: 59,89 Euro

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