The Statement

The Statement, USA 2003, Norman Jewison

Wenn Slavoj Zizek die nationalen Besonderheiten deutscher, französischer und amerikanischer Toiletten beschreibt, hat die Sache weniger mit der Entsorgung menschlicher Exkremente zu tun, als mit Ironie. Jede Bauform spiegelt besondere Aspekte der jeweiligen Mentalität wieder, die, so scheint es, auf sozio-psychologischer Ebene ihren Anfang nehmen. Dabei stellen die deutschen „feuillées“ die hygienische Ordnung und das medizinische Interesse am eigenen Körper dar; die französische den impulsiven und radikalen Charakter seiner Erbauer und die amerikanische einen Hybrid aus den beiden anderen, der vorwiegend dem Pragmatismus dieses Volkes geschuldet ist. Was Zizek damit zeigt, ist schlicht und ergreifend die Tatsache, dass, wann immer man es mit dem nationalen Charakter zu tun hat, Klischees im Spiel sind.

In den 120 Minuten von Norman Jewisons „The Statement“ werden wir nun ungewollt Zeugen einer ganzen Reihe solcher nationaler „Besonderheiten“, wenn Michael Caine als flüchtiger Vichy-Kollaborateur Pierre Brossard in einem raffinierten Katz-und-Maus-Spiel, der Polizei und einem jüdischen Killerkommando im Frankreich der 90er Jahre zu entkommen versucht. Pierre Brossard, der als junger Miliz-Offizier des Vichy-Regimes im Jahre 1944 an der Ermordung von sieben Juden beteiligt war, führt, als heute 70-jähriger, ein „normales“ Leben unter dem Deckmantel der katholischen Kirche. Als er eines Tages nur knapp einem Mordanschlag durch einen Killer entgeht, der das Statement einer angeblich jüdischen Untergrundorganisation bei sich führt, ist dies der Auftakt einer Verfolgungsjagd durch die verschiedenen Klöster und Untergründe in ganz Frankreich.

Bald heftet sich auch die Justiz in Gestalt der Richterin Annemarie Livi (Tilda Swinton) und Oberst Roux (Jeremy Northam) an seine Fersen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn als die Kirche offiziell in Erklärungsnot gerät, distanziert sie sich von Brossard und der Flüchtige wäre somit auf sich allein gestellt, gäbe es da nicht die merkwürdige Geheimorganisation „Chevaliers de St. Martin“, die ihm immer wieder Zuflucht gewärt. Dabei kämpft der Protagonist den Kampf mit dem eigenen Gewissen aus, den er in seiner Suche nach Absolution vergeblich zu gewinnen hofft. Parallel agiert ein „alter Mann“, der im Hintergrund seine Fäden zieht und der über Brossards Vergangenheit genauestens bescheid weiß. Die Verschwörung ist somit perfekt. Jeder der Beteiligten Gruppierungen hat ein Interesse am Leben oder Tod von Brossard und als die Situation schließlich in einen Politskandal umzukippen droht Spitzt sich die Lage für den zum Glauben gekommenen Kriegsverbrecher dramatisch zu.

Der Film erinnert sehr an die 60er-Jahre-Serie „Kimble auf der Flucht“, nur mit dem feinen Unterschied, dass – Oh Schreck! – Brossard wirklich ein Verbrecher ist. Oder sollte er zu guter letzt doch nur ein Opfer der Umstände sein? Jedenfalls will Jewison uns genau das weiß machen. Brossard ist eigentlich ein netter Kerl, der keiner Fliege etwas zu leide tun kann, wäre da nicht dieser routinierte Umgang mit dem Revolver und diese kaltblütige Art, seine Kontrahenten aus dem Weg zu räumen. Brossard wirkt wie ein Routinier, der ständig in solche Situationen verwickelt ist. Ein frommer Vichy-Scherge, der sein Handwerk auch nach vierzig Jahren nicht verlernt hat.

Es ist zwar ein löblicher Schachzug des Regisseurs, einen Akteur für die Rolle einzusetzen, dem es gelingt den Zuschauer in seiner Haltung gegenüber einem Mörder zu polarisieren, doch bleibt dies auch weitestgehend der einzige Impuls in dieser Richtung. Die Richterin Livi hingegen kommt wie die Standard-Ausfühung einer Mittvierziger-Karriere-Französin daher: Pagen-Schnitt, immenser Zigaretten-Konsum, Impulsivität im Umgang mit den Kollegen; kein Klischee ist zu schade, um nicht irgendwie in dieser Figur verwurstet zu werden.

Auch die Rolle der Kirche, die im 3. Reich nachweislich keine unwichtige war, wird nur angekratzt und lediglich in ihrer Funktion als Seelentröster und allzeit verschwiegenes Asyl inszeniert. Dabei wäre gerade hier eine Gelegenheit gewesen, das vom omnipräsenten Spektakel der päpstlichen Medeinbeerdigung überschattete Kapitel der „Mittäterschaft“ katholischer Geistlicher unter dem Nazi-Regime kritisch zu beleuchten.

Der Film ist stattdessen viel zu sehr damit beschäftigt, seine amerikanischen Schauspieler (Caine ausgenommen) wie echte Franzosen wirken zu lassen, die in den Gefilden deutsch-französischer Vergangenheitsbewältigung herumeiern. Er wirkt dabei so Klischeebeladen, dass er die kritischen Impulse des Themas vernachlässigt, sich nicht aus der Haltung einer „political correctness“ heraus wagt und um nicht pietätlos zu erscheinen, jeglichen Anflug von Ironie im Keim ersticken lässt. Das Drama der sieben ermordeten Juden wirkt in diesem ganzen Spektakel leider eher als Randerscheinung und Motivlieferant, woran auch die Widmung im Abspann nicht wirklich etwas zu ändern vermag.

„The Statement“ ist auf seine Art zwar ein spannender Film, der versucht ein für’s amerikanische Kino neues Terrain zu erschließen; er schafft es aber nicht, die kontroverse Haltung zur Frage untergetauchter Kriegsverbrecher über ein gekünsteltes Moralisieren hinauszutreiben. Ein Politthriller der völlig unpolitisch bleibt und dies mit ominösen Verschwörungstheorien nach amerikanischem Muster zu kompensieren versucht. Wenn man stattdessen auf eine Verfolgungsjagd aus ist, sollte man sich lieber noch mal Dr. Kimble ansehen, hier geht es nämlich ganz nebenbei noch um „echte“ Helden und „echte“ Gefühle, ohne dabei die Toilette ständig neu zu erfinden.

The Statement
(USA 2003)
Regie: Norman Jewison; Drehbuch: Ronald Harwood; Buch: Brian Moore.
Darsteller: Michael Caine, Tilda Swinton, Jeremy Northam.
Verleih: Universum Film
Länge: 120 Minuten

Florian Reinacher

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