Der Allestotmacher

In einer berühmten Szene von Woody Allens „Der Stadtneurotiker“ kontert Allens Alter Ego Alvy Singer in einem Kino-Foyer das selbstgefällige Geschwätz eines Intellektuellen über die Thesen Marshal McLuhans, indem er den berühmten Medienwissenschaftler höchstpersönlich hinter einem Plakataufsteller hervorzieht und ihn dem Dampfplauderer entgegnen lässt, dieser habe seine Thesen nicht im Geringsten verstanden. „Wenn es nur einmal so sein könnte“, seufzt Singer in die Kamera, die Szene als Wunschtraum eines am Leben Verzweifelten enttarnend. Auf den durchschnittlichen Actionhelden angewendet, könnte McLuhans Rolle von Steven Seagal eingenommen werden: Anstatt seine körperliche Unversehrtheit und sein Leben beim Kampf für die gute Sache zu riskieren, walzt Seagal von Anzahl und Qualifikation seiner Gegner vollkommen unbeeindruckt durch seine Filme und richtet jeden, der sich ihm entgegenstellt, auf brutalste Art und Weise hin, ohne das leiseste Anzeichen einer menschlichen Empfindung wie Mitleid oder auch nur ein Minimum an körperlicher Anstrengung zu zeigen. Wenn es doch nur einmal so sein könnte im Actionhelden-Leben … „Der Allestotmacher“ weiterlesen

L.A., offene Stadt

„Just wrap your legs round these velvet rims / And strap your hands across my engines.” (Bruce Springsteen)

Das Automobil zählt zweifelsohne zu den bedeutendsten Fetischobjekten des Kinos. Seine Faszinationskraft lässt sich nicht bloß thematisch begründen: viel eher ist von einer strukturellen Anziehung zwischen ihm und dem kinematographischen Apparat auszugehen. Die Bewegung: der Filmstreifen, die Fahrbahnmarkierung. Der glattglänzende Lack der Oberfläche, das Grob-Motorische, Zerklüftete unter dem Lack, und schließlich: der destruktive Akt, die Verformung der Oberfläche, die Offenlegung letztlich des versteckten Maschinellen – alles erotische Momente, nachzuschlagen etwa bei Ballard/Cronenberg. Die Bewegung: das Grundfaszinosum des Kinos. Allein im Dunkel sitzen und gebannt werden – nicht von Erzählung, sondern von Bewegung. Der Traum vom Kino: von einem Leben ohne Stillstand, immer on the road und on the run. Die Objekte des Bildes, von der Photographie noch in Ewigkeit eingefroren, werden vom Filmprojektor  stetig vorangepeitscht. Wo sie selbst stillstehen mögen, wird die Welt um sie herum in Bewegung gesetzt. „Aber nicht mehr die Figuren reagieren auf die optisch-akustischen Situationen, sondern die Bewegung der Welt tritt an die Stelle der zurücktretenden Bewegung der Figur.“ (Gilles Deleuze) Weil es auf eine grundlegende Sehnsucht des modernen Menschen zu antworten weiß – die Sehnsucht, es möge immer irgendeine Richtung geben, in die es weiterzugehen gilt –, muss die Beziehung des Menschen zum Kino als eine amour fou betrachtet werden.

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Gefühle sind ein verdammter Luxus

Um panache geht es in diesem Film: jene Tugend kompromissloser Tapferkeit vor dem Feind, jener eiskalte und schnörkellose Professionalismus, der den harten Jungs irgendwann einmal – wohl mit dem Verlust des Gangsterethos – verloren gegangen ist. Man muss nicht zuerst schießen, man muss lediglich zuerst treffen, das wusste bereits William Munny in Clint Eastwoods epochalem Spätwestern „Unforgiven“. So wie dieser ist auch Jesse V. Johnsons „The Butcher“ ein Film der alten Männer, aber statt Zynismus und Bitterkeit herrschen hier Wärme und Wehmut vor. Die melancholische Färbung der Erzählung etabliert bereits in den ersten Sekunden des Films der große, tragische Mime Michael Ironside mit einem Monolog über die guten alten Zeiten und die harten Jungs, die heute einfach nicht mehr so sind, wie sie einmal waren. Ironside ist nur in diesem Film, um diese wenigen Sätze zu sprechen, und sie bestimmen den Tonfall für alles Folgende.

butcher1Jesse V. Johnson, der in den letzten Jahren bereits mit einigen ungewöhnlichen Arbeiten aus der Masse der Low-Budget-Actionregisseure herausstach, erzählt in seinem bisher ambitioniertesten Werk die Geschichte des alternden Mobsters Merle „Butcher“ Hench (Eric Roberts), einem ehemaligen Preisboxer, der nach seiner Karriere zum Handlanger in einer mafiösen Organisation geworden ist, dort aber nie über den Status als kleiner Gauner hinausgekommen ist und nun „einen Drink einem Kampf vorzieht“, wie es im einführenden Off-Kommentar des Prologs über ihn heißt. Merle sieht dem Herbst seines Lebens und seiner kriminellen Karriere entgegen, als er zur Kenntnis nehmen muss, dass ihm im Grunde niemand wirklich Achtung entgegenbringt. Sein Boss Murdoch (Robert Davi) rät ihm zum vorzeitigen Ruhestand, weil er einen jungen Gangster, der ihm wiederholt Schwierigkeiten bereitet hat, mit warnenden Worten davonkommen lässt, statt ihn dem Jobprofil entsprechend kaltblütig hinzurichten, und sein Rivale Eddie lockt ihn gar in eine Falle, um ihn zunächst zu ermorden und ihm dann den Raub von knapp 5 Millionen Dollar Mafiageld in die Schuhe zu schieben. Doch Merle mag nicht zu den ehrgeizigsten oder brutalsten Jungs im Syndikat zu gehören – ein kühl kalkulierender Professional ist er in jedem Fall. Somit stellt sich Merle gegen den als Vaterfigur fungierenden Murdoch und macht sich mit der Kellnerin Jackie (Irina Björklund) auf den Weg in ein neues Leben – oder doch zumindest auf einen letzten großen Rachefeldzug zur Wiedererringung seiner lang verlorenen Würde.

Die Art und Weise, wie Regisseur Johnson und Hauptdarsteller Roberts diesen Merle Hench zeichnen, als nicht aus Neigung oder Selbstzweck brutalen, aber im Angesicht seiner Gegner absolut kaltblütigen Profi und dennoch gutmütigen, duldsamen und von einem langen Leben auf der falschen Seite des Gesetzes gezeichneten Mann, ist schlichtweg eindrucksvoll. Dabei ist es vor allem Eric Roberts, der „The Butcher“ geradezu beherrscht: Während um ihn herum, und wesentlich durch sein Zutun, der Film insbesondere in der zweiten Hälfte der beinahe zweistündigen Laufzeit immer mehr explodiert in einen blutigen Alptraum, scheint sein Merle in jeder Sekunde in sich zu ruhen – wie eine Art Zen-Meister des Tötens. „Vielleicht lebe ich nicht lang, Eddie – aber immerhin länger als du.“ All den großen alten Männern in diesem Film – Roberts, Ironside, Davi –, die sich nach ihren unvergesslichen Kinorollen in den großen Filmen der 1980er und 90er Jahre nun schon dekadenlang durch den Sumpf achtklassiger DTV-Genreproduktionen schlagen, scheint bewusst zu sein, dass es hier um so viel mehr geht als nur einen weiteren hyperblutigen Gangsterfilm. Es ist eine vielleicht letzte Chance, in einem großen Film zu spielen (und wenn das auch niemand merken wird; diese Rollen scheinen viel zu intim, um sie mit allzu vielen Menschen zu teilen); es ist ein Geschenk, eine Wiederaneignung der zwischen Trashfilm und Massenmanufaktur abhanden gekommenen Selbstachtung. Gleichzeitig ist es ein Abschied, eine in einen exquisiten Jazzsoundtrack voller letzter Klänge hineingeschmiegte Hinterlassenschaft an die Nachwelt, die fortan bleiben und immer wieder von einem ausgesuchten, sehr glücklichen Publikum entdeckt werden wird.

butcher3„Ich habe nie einen Mann um etwas gebeten. Jetzt wird einfach gestorben.“ Weltabgewandter, jenseitiger als „The Butcher“ kann ein Film kaum sein, und das unaufgeregte, aber niemals ungerührte Spiel von Eric Roberts, für den dies hier ein Alterswerk in der Dimension von Tarantinos „Jackie Brown“ darstellt, behält Johnsons gewagtes Konzept in jedem Moment vor dem Umkippen in Kitsch oder schlichten Gewaltfetisch. Tatsächlich ist „The Butcher“ das erste Meisterwerk eines hochtalentierten, kühnen DTV-Filmemachers und einer der schönsten, sentimentalsten Filme des Kino(video)jahres. „Gefühle sind ein verdammter Luxus“, so heißt es einmal darin, und Merle Hench lächelt nur wissend und ein bisschen traurig. Die getragene Erzählweise, die sanfte Elegik. die hyperbetonten Gewalteruptionen, die erlesene Besetzung noch der kleinsten Nebenrollen – das alles macht „The Butcher“, dem kaum nennenswerten Budget zum Trotz und Widerspruch, zu einem wahrhaft luxuriösen Film. Und warum eigentlich sollte man sich mit weniger zufrieden geben?

The Butcher – The New Scarface
(The Butcher, USA 2007)
Regie & Drehbuch: Jesse V. Johnson; Musik: Marcello Di Francisci; Kamera: Robert Hayes; Schnitt: Ken Blackwell
Darsteller: Eric Roberts, Robert Davi, Irina Björklund, Michael Ironside, Keith David, Bokeem Woodbine, Geoffrey Lewis
Länge: ca. 109 Minuten
Verleih: Mr. Banker/Sunfilm

Zur DVD von Mr. Banker

Hier ist Vorsicht geboten, da neben der ungekürzten Fassung mit JK-Freigabe auch eine um knapp 9 Minuten gekürzte Fassung mit FSK-Siegel KJ existiert. Die ungekürzte DVD des Labels Mr. Banker ist aber tadellos und bietet den Film in guter Bild- und Tonqualität im englischen Originalton mit optionalen deutschen Untertiteln sowie in einer (gerade noch) akzeptablen deutschen Synchronfassung. Ein wenig Bonusmaterial gibt es auch noch.

Bild: 1,85:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Stereo 2.0), Englisch (Dolby Stereo 2.0)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Teaser, Behind the Scenes, Bildergalerie
FSK: JK

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Full Metal Yakuza

Die Tagline „Takashi Miike meets Robocop“ zu Takashi Miikes Full Metal Yakuza aus dem Jahr 1997 ist erstaunlich treffsicher. Der Film spielt souverän mit den Formeln des Cyborggenres nebst einiger anderer, die wegen ihres Exploitationwertes heranzitiert werden. In bewusstem Verzicht auf Sinn und Verstand wird in Full Metal Yakuza versucht, mit offensichtlich eher bescheidenen Mitteln in jeder Szene das Sensationelle herauszukitzeln. Keisuke Hagane, eine unbedeutende Putzkraft, ist ein großer Bewunderer von Tosa, einem Yakuza-Boss. Der mit farbigen Drachentätowierungen übersäte Rücken und sein Schwert werden zu Symbolen für Macht und Potenz, an der sich Haganes eigenes Versagertum umso deutlicher abzeichnet. Sieben Jahre nachdem Tosa eine Gruppe rivalisierender Yakuza eigenhändig mit dem Schwert erledigt hat und dafür im Gefängnis gelandet ist, ist Hagane der unfähigste Yakuza in der gesamten Organisation. Er kann nicht nur seine Aufgaben als Geldeintreiber und Killer erfüllen, sondern hat auch ständig Schulden bei seiner Freundin Naomi, die er überdies sexuell nicht befriedigen kann. Als Höhepunkt seiner Demütigung wird er von vier Jugendlichen beraubt und zusammengeschlagen. Mit Tosa, den er nach sieben Jahren aus dem Gefängnis abholt, gerät er in einen Hinterhalt des konkurrierenden Yomo und wird erschossen. Danach wechselt das Genre. Ein Mad Scientist bastelt ihm einen neuen Körper, der zum größten Teil aus Metall, aber auch aus dem Yakuza-Rücken von Tosa besteht, und trainiert ihn zu einem Superhelden-Cyborg-Kämpfer, einem Power Ranger nicht ganz unähnlich. Der Racheplot kann anlaufen. Endlich ermächtigt, aber mit einem monströsen Körper ausgestattet, zieht Hagane seine blutigen Kreise durch die rivalisierenden Yakuza-Banden. Er zieht an den Strand und wohnt dort in einer provisorischen Zelthütte, wo ihn Tosas ehemalige Freundin Yokoi um Liebe anbettelt, bis sie seinen Full Metal Yakuza-Körper erblickt. Ihr Racheversuch gegen Yomo endet kläglich. Der Ton des Films, der nach der Gefangennahme Yokois die idyllischen Strandszenen in Parallelmontage mit einem Ketten-Bondage-S/M-Set-Piece konterkariert, ändert sich merklich. Yokoi wird gefoltert und vergewaltigt, bis sie sich auf blutige Weise selbst umbringt. Hagane, der mit ihrer Gefangennahme erpresst werden soll, muss dies alles über ein Cyberauge miterblicken und startet seinen finalen und äußerst blutigen Rachefeldzug gegen Yomo und seine Yakuza.
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Blues Harp

Der Output des japanischen Regisseurs Takashi Miike ist beeindruckend. Seit 1991 hat er es auf mittlerweile 59 Filme gebracht. Das macht rund fünf Filme pro Jahr (an der Spitze liegt 2002 mit sieben). Und zu diesen zählen international gefeierte Werke, wie Visitor Q (2001), Dead or Alive (2001), Audition (2000) oder Ichi the Killer (2001). Bei einer derartig hohen Anzahl von Filmen macht es schon fast Sinn von „Jahrgängen“ zu sprechen. Diesbezüglich war 1998 ein ruhiger Jahrgang für Miike: „Nur“ vier Filme hat er gedreht und einer davon ist der für seine Verhältnisse außergewöhnliche ruhige Blues Harp. „Blues Harp“ weiterlesen