Straße der Finsternis

Ein junges Paar küsst sich sanft in einem Weichzeichner-getränkten Szenario. Die Untertitel stimmen auf eine Liebesromanze ein: „This boy and this girl were never properley introduced to the world we live in. To tell their story …“ Zu schön, um wahr zu sein, ist der Beginn von Nicholas Rays bedrückendem Kinodebüt. Doch das unbeschwerte Zusammensein für Bowie (Farley Granger) und Keechie (Cathy O´Donnell) – verlorene Kinder in einer bedrohlich-fremden Welt – bleibt, was der Weichzeichner  im klassischen Hollywoodfilm meist kennzeichnet: Traum, Fantasie, Wunschvorstellung. „Im Schatten der Nacht“ lebt das jugendliche Verbrecherpaar in Nicholas Rays Film. Auf die zuckersüße Traumvorstellungen folgt die bittere Realität einer zum Tod geweihten Romanze. „Straße der Finsternis“ weiterlesen

Der (Selbst-)Bestrafer

Unter den tough guys des Neo-Noir ist Malone (Thomas Jane) der toughste, daran lässt schon die Einleitung von Russell Mulcahys „Give ’em Hell, Malone!“ keinen Zweifel. Da spritzen Blutfontänen meterhoch, werden böse Jungs dutzendweise und ohne Rücksicht auf die eigene Konstitution zerschlagen, zerstochen, zerschossen. Stechen, bevor der Gegner schlägt, und schießen, bevor er zusticht – so lautet die Maxime des Helden, der so gern ein Antiheld wäre, denn: „Once you’re dead, you stay that way.“ Die Form, an die Mulcahy hier Anschluss sucht, ist die des Film noir, doch der Auftakt erinnert eher an nerdige Splatter-Extravaganzen im Stile von Joe Carnahans „Smokin’ Aces“ oder Michael Davis‘ „Shoot’em Up“. Eine filmische Form also, die nicht unbedingt auf Augenhöhe mit den kreativen Tendenzen im gegenwärtigen Bewegungskino ist. Und auch wenn „Give ‘em Hell, Malone!“ es, nachdem er in den ersten zehn Minuten schon einmal das Splatternerdpublikum auf seine Seite gezogen hat, dann auch dabei belässt und in den restlichen gut 80 Minuten andere, ruhigere Pfade beschreitet, spiegelt sich darin doch der Grundzwiespalt eines nicht durchweg gelungenen Films.

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Vom Filmspiel zum Spiel-Film

Das von David Cage entwickelte Videospiel „Heavy Rain“ hat schon vor etwa einem Jahr Aufsehen erregt, als erste Details daraus auf Spiele-Messen bekannt wurden. Nachdem sein Studio mit „Fahrenheit“ bereits ein Videospiel zum Thema Serienmord veröffentlicht hatte, sollte „Heavy Rain“ das Motiv wieder aufgreifen. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ist die Komplexität der Handlungsentwicklung. Das Studio Quantic Dreams hat dabei eine weitestgehende Annäherung an die Spielfilmästhetik angepeilt – unter anderem auch dadurch, dass in „Heavy Rain“ etliche (Film)Genre-Elemente integriert wurden.

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Kurzrezensionen

Mit „Wie in einem Spiegel“ veröffentlicht Thomas Koebner zum dritten Mal eine Zusammenstellung seiner jüngsten »Schriften zum Film«. Wie bereits in den vorhergegangenen Bänden steht vor allem die Lust am Text zum Film im Vordergrund, die Lust am Flanieren durch den Film in all seinen Facetten: Koebners scharfsinnige Beobachtungen, Kommentare und Analysen reichen, in elegantes sprachliches Gewand gekleidet, von Genres, Regisseuren, Schauspielern und einzelnen Filmen über gängige Motive und Ästhetik hin zur Historie des Films. Der Autor lässt sich Zeit und Raum für ein genaueres, ein zweites Hinblicken. Dabei wird die eine oder andere »universelle Wahrheit« einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen und selbst längst schon als abgeschlossen empfundene Themenfelder werden um neue Facetten bereichert. Ein in jeder Hinsicht schönes Buch ist es also geworden, das mit seiner Fülle an Material zu langem, versunkenem Schmökern einlädt.

Thomas Koebner. Wie in einem Spiegel – Schriften zum Film, Dritte Folge. St. Augustin: Gardez!, 2003, 560 Seiten Hardcover, 29,95 Euro
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Ein gutes Jahr für die Murnau-Forschung: Neben einer kompletten Berlinale-Retrospektive der überlieferten Filmografie mit teils neugezogenen Kopien und einer vielbeachteten Ausstellung im Filmmuseum Berlin erfreut sich auch ein großformatiger, umfangreicher Sammelband zu Leben und Werk Friedrich Wilhelm Murnaus der Veröffentlichung. Die Publikation ist für den Connaisseur wie den Filmhistoriker im gleichen Maße interessant: In einer umfangreichen Auseinandersetzung beschäftigt sich Thomas Koebner differenziert mit Murnaus Werk. Dem folgt, zweigeteilt, ein Kapitel zur Biografie des Regisseurs. Kernstück stellt eine umfangreiche Dokumentation der Filmografie dar, die zeitgenössische Quellen der Rezeption – diese sind besonders im Fall der verschollenen Filme sehr interessant – mit heutigen Neubetrachtungen des überlieferten Werks namhafter Regisseure und Filmpublizisten in Bezug setzt. Eine hinsichtlich der Auswahl so gelungene wie qualitativ gut aufbereitete Zusammenstellung zahlreicher Quellmaterialien aus den Produktionen und Murnaus Biografie ermöglichen einen Blick auf den Produktionshintergrund der Filme und ihre Entstehungsgeschichte.

Hans Helmut Prinzler (Hg.) Friedrich Wilhelm Murnau. Ein Melancholiker des Films. Berlin: Bertz, 2003, 304 Seiten Hardcover, 25,00 Euro
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»Dein Sexfilm – Das unbekannte Wesen«, könnte man Annette Mierschs akademische Auseinandersetzung mit dem deutschen Sexreport-Film paraphrasieren. Gerne wurden damals seitens der Produktionen, leicht durchschaubar natürlich, Aufklärungsabsichten in den Vordergrund gespielt, um die Darstellung nackter Haut und expliziter Situationen zu rechtfertigen. Heute dienen Schulmädchen-Report und andere Filme des Genres nun wirklich dazu, über das damals vorherrschende Dispositiv der Sexualität etwas in Erfahrung zu bringen: Miersch liest das Phänomen mit Foucault und untersucht die Inszenierung sozio-sexueller Realität. Das Ergebnis überrascht denjenigen natürlich kaum, der die Filme beispielsweise in ihrer zweiten großen Welle, als Profilierungsoption privater Fernsehsender, in den frühen Neunzigerjahren miterleben konnte: Doch das Verdienst der Monografie liegt woanders, nämlich in der Mühe, den Korpus genau zu erfassen, mit wissenschaftlicher Akribie statistisch auszuwerten und ihn wieder ins Gedächtnis zurückzuholen. Eine, gemessen am wellenförmigen Erfolg der Filme, aber auch angesichts deren Strategien zur Authentifizierung ihrer Erzählung, bemerkenswerte Vernachlässigung der Filmwissenschaft bislang. Eine für Bertz obligatorisch reiche wie gelungene Illustration rundet den überaus positiven Eindruck ab.

Annette Miersch. Schulmädchen-Report. Der deutsche Sexfilm der 70er Jahre. Berlin: Bertz, 2003, 254 Seiten, 25,00 Euro
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Die Auseinandersetzung um »Identität und Film« gehörte in den letzten Jahren, vor allem mit dem Geschlechterdiskurs im Fokus, mit zu den populärsten. Auch die Aufsatzsammlung »wo/man – Kino und Identität« kapriziert sich entsprechend, es mag am Zeitgeist liegen, auf die Frage nach dem Geschlecht. Erfreulicherweise versammelt sich in dieser Herausgeberschaft eine ganze Reihe teils namhafter Autoren von unterschiedlichsten Hintergründen von Filmpublizistik und akademischen Betrieb. Dies garantiert eine Vielfalt von Herangehensweisen und Schwerpunkten. Der Erkenntnisgewinn gestaltet sich als von Text zu Text höchst unterschiedlich: Auseinandersetzungen mit Filmen, die selbst schon, narrativ bedingt, die Beschäftigung mit Geschlechtsidentitäten zum eigenen Primat erheben, gerieten gegenstandsbedingt recht vorhersehbar und können den an sich schon sehr aussagekräftigen Bildern der Filme nicht viel Spannendes zur Seite stellen. Auch psychoanalytische Ansätze wirken gelegentlich bemüht und wenig aussagekräftig. Stärker an den Filmen selbst orientierte Aufsätze – Koebners und Seeßlens Beiträge sind hier zu nennen, wenn auch letzter etwas kryptisch geraten ist – eröffnen eher schon Perspektiven. Um Impulse zu setzen bleibt der Band dann aber doch vielleicht eine Spur zu kalkuliert auf der sicheren Seite. Eine, trotz gewisser Übersättigungserscheinungen, noch immer spannende Debatte zu protokollieren, ihren aktuellen Stand der Dinge, auch für den Filmfreund außerhalb dieser Debatten, zusammenzufassen, gelingt ihm indes durchaus.

Bremer Symposium für den Film (Hg.) wo/man – Kino und Identität. Berlin: Bertz, 2003, 188 Seiten, 14,90 Euro
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Lange – seit der Kinopremiere von Mullholand Drive (USA 2001) – angekündigt war die nun endlich erschienene überarbeitete und erweiterte vierte Auflage von Georg Seeßlens Lynch-Monografie. Angesichts dieser recht langen Wartezeit enttäuscht das Ergebnis etwas: Es wurde lediglich ein Kapitel zu Lynchs letztem Spielfilm angefügt, das an mancher Stelle zwar, analog zum Gegenstand, etwas chiffriert daherkommt, sich aber im Wesentlichen flüssig an den bereits bestehenden Korpus anschmiegt. Ansonsten wurde der Band in altbekannter Form belassen, wie der Blick ins Literaturverzeichnis schnell beweist: Jüngere Publikationen, darunter einige durchaus interessante, ironischerweise sogar aus dem Hause Schüren, finden keine Erwähnung. Ganz bodenständig stellt sich somit die Frage nach der Dringlichkeit des Erwerbs: Steht die vierte Auflage noch im Bücherschrank erübrigt sich diese eigentlich. Wer sich erst noch an Lynch herantastet, ist indes gut beraten, Seeßlens überarbeitete Auflage griffbereit zu halten.

Georg Seeßlen. David Lynch und seine Filme. Marburg: Schüren, 2003, 256 Seiten Paperback, 19,80 Euro
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Genau genommen geht es in Burkhard Röwekamps reich bebilderter Dissertation zum Film noir nicht an sich um einen Filmkorpus, viel eher schon um das »noir« und dessen Differenzqualitäten im Sprachgebrauch der Rede über den Film. Gerne und oft verwendet, erweist sich diese Zuschreibung doch als unscharf und ungenügend definiert. Nicht zuletzt ein Blick in die internationalen Debatten und Diskurse um den Film noir, die Röwekamp versiert zusammenfasst und zueinander in Bezug setzt, verdeutlicht das. Seine eindrucksvolle, scharfsinnige Auseinandersetzung fügt dieser jahrzehntelangen Debatte nun ein höchst bedeutsames Mosaiksteinchen hinzu: Das Wort »noir«, so seine These, ist im filmrelevanten Sprachgebrauch notwendig eher als Bezug auf eine méthode noire zu verstehen. Diese stellt ein in Genese und Wirkung komplexes Bündel an ästhetischen, narrativen und strukturellen Strategien zur Subjektivierung klassischer Erzählverfahren dar, die sich bis in die heutigen Tage ausformulieren. Vor diesem Hintergrund wird etwa Lynchs Film Lost Highway (USA 1997) als möglicher, konsequenter Endpunkt dieser Evolution transparent und lesbar. Eine spannende und inspirierende Lektüre von höchster Relevanz für die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, deren sprachliche Souveränität lediglich durch ein paar so vermeidbare wie deshalb ärgerliche Versäumnisse des Lektorats getrübt werden.

Burkhard Röwekamp. Vom film noir zur méthode noire. Die Evolution filmischer Schwarzmalerei. Marburg: Schüren, 238 Seiten Paperback, 19,80 Euro
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Die Konnotation des Films als Äquivalent zum Traum blickt auf eine lange Tradition zurück. Dieser nähert man sich im vierten Band der Reihe »Film und Theologie« in einer langen Kamerafahrt aus der Totale ins Detail: Ausgehend von einer überblicksartigen Position der Kulturgeschichte des Traums gelangt man, über Freuds Theorien der Traumdeutung und einer Verhältnisbestimmung Psychoanalyse/Filmtheorie, zu den Positionen der klassischen Filmtheorie zum Gegenstand. Dieses Wissensfundament kommt im folgenden einer dezidierten Betrachtung des Traums im Film und dieses wechselseitigen Verhältnisses in den Filmen von Buñuel, Lynch, Bergman und einiger anderer zugute. Im Gesamten macht die Publikation einen soliden Eindruck, wenngleich die Lektüre einiger weniger Beiträge nur wenig Interessantes zutage fördert. Das im kirchlichen Sinne pädagogische Ansinnen spielt sich nur selten in den Vordergrund; der Band ist somit auch jenseits dessen von Interesse. Und mag man zur psychoanalytischen Filmtheorie, die hier häufig bemüht wird, auch stehen, wie man will, so fasst die Herausgeberschaft den Stand interner Diskussionen dieser Schule für den Außenstehenden doch gelungen zusammen.

Charles Martig/Leo Karrer (Hgg.) Traumwelten – Der filmische Blick nach Innen. Marburg: Schüren, 236 Seiten Paperback, 14,80 Euro
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Im Wilhelm Fink Verlag ist eine längst fällige Auseinandersetzung mit den Filmen Michael Hanekes erschienen. Die Dissertation Jörg Metelmanns stellt sich der für Haneke spezifischen Fragestellung nach der moralischen Diskursivität der Medien. Dem Thema des Bandes, der »Kino-Gewalt« nähert sich Metelmann aus vier analytischen Blickrichtungen: der Brecht’schen Theorie der Verfremdung, alteritätsphilosophisch, als ästhetischem Schnittpunkt zwischen Moderne und Postmoderne sowie mit Deleuze in der Gegenüberstellung Haneke/Antonioni. Die Untersuchung zeichnet sich durch ihre analytische Schärfe aus und vermittelt Ansätze zur Interpretation des Werksganzen des Österreichischen Regisseurs. Im Anhang findet sich ein Interview mit Haneke über dessen Film Die Klavierspielerin.

Jörg Metelmann. Zur Kritik der Kinogewalt. Die Filme von Michael Haneke. München: Fink, 2003. 298 Seiten Paperback, 38,90 Euro
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Rolf Giesen, unermüdlicher Lexikograf des Films, hat in seiner Eigenschaft als Fachmann für Zeichentrick und Animation jetzt ein Lexikon des Trick- und Animationsfilms veröffentlicht. Auf fast 480 Seiten führt er einzelne Filme und Serien, deren Produzenten und Zeichner sowie Techniken der Animation alphabetisch auf. Das in seinem Umfang bislang einzigartige Buch versteht sich in erster Linie als Nachschlagwerk und konzentriert sich daher vor allem auf die Vermittlung von Produktionsdaten und Inhaltsangaben. Einzelne Filme werden mit kurzen zitierten oder eigenen Kritiken ergänzt. Positiv fallen die Illustration, die grafische Gliederung und der Apparat auf, die den Zweck des Lexikons sehr unterstützen.

Rolf Giesen. Lexikon des Trick- und Animationsfilms. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003. 478 Seiten Paperback, 22,90 Euro
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Der Stuttgarter Reclam-Verlag eröffnet mit einem Band über Western und einem Band über Science Fiction seine Reihe »Filmgenres« unter wechselnder Herausgeberschaft. Nach kurzen, einleitenden Essays zu den Genres versammeln beide Bände Filmkritiken unterschiedlichster Autoren und fügen diese nach der Chronologie der Filme zusammen. Das Verfahren, das Reclam bereits bei seiner vierbändigen »Filmklassiker«-Ausgabe zur Anwendung brachte, leistet zweierlei: ein zeitgenössischer Blick auf die »Klassiker« des Genres und Einzelbetrachtungen, die das reine Instrumentalisieren des Einzelfilms für die Geschichte oder Theorie des Genres vermeiden. Durch diese Vorgehensweise wird jedoch leider auch kanonischem Denken Vorschub geleistet und übergreifende Aspekte der Genregeschichte können nicht verfolgt werden. Beide Bände verfügen über Literaturhinweise, ein Glossar und ein Autorenverzeichnis.

Thomas Koebner (Hg.) Filmgenres: Science Fiction. Stuttgart: Reclam, 2003, 544 Seiten Taschenbuch, 10,80 Euro.
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Bernd Kiefer, Norbert Grob, Marcus Stiglegger (Hgg.) Filmgenres: Western. Stuttgart: Reclam, 2003. 375 Seiten Taschenbuch, 8,80 Euro
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Ipcress

Ipcress – Streng Geheim, Großbritannien 1965, Sidney J. Furie

Im England der 1960er Jahre stellen die Top-Wissenschaftler des Landes eine heiß umkämpfte Ressource dar. Nicht nur, dass sie abgeworben werden, sie werden auch entführt und einer perfiden Gehirnwäsche unterzogen, die dem wissenschaftlichen Standort zunehmend zusetzt. Der lakonische und höchst zwielichtige Agent Harry Palmer (Michael Caine) wird auf den Fall angesetzt und sieht sich binnen kürzester Zeit in einem kaum mehr durchschaubaren Knoten aus Intrigen und Fallen verstrickt, der ihm zur existenziellen Erfahrung wird. „Ipcress“ weiterlesen