Soul Sucker

Was macht Sekten für selbst diejenigen, die es aus Warnungen besser wissen sollten (und oft auch wissen) anziehen? Mit durchsichtigen Heilsversprechungen, wie sie in den 1970er Jahren etwa durch die Moon-Sekte gegeben wurden, ließe sich heute sicherlich kaum noch ein Jugendlicher anziehen. Ebenso werden sicherlich charismatische Anführerfiguren wie Charles Manson einer eher nihilistischen Jugend nicht mehr als Vorbilder dienen können. … Glaubt man. Dass man sich der Suggestivkraft einer solchen Gruppe und ihrer Dynamik nur schwer zu entziehen vermag, zeigt Alison Murrays Film „Mouth to Mouth“.


mouth_to_mouth.jpgEr zeigt uns zu Beginn die deprimierte Jugendliche Sherry, die von einem freundlichen jungen Mann eine Faltblatt der Gruppe „Spark“ in die Hand gedrückt bekommt. Dort wird ihr versproche, die ihr eigene Intelligenz, unabhängig von Autoritäten wie Schule oder Eltern zu entfalten. Sherry geht zu einer Veranstaltung der Gruppe, wo sie auch den „Anführer“ Harry kennen lernt. Der bietet ihr an, die Gruppe nach Spanien zu einem Techno-Festival und dann nach Portugal auf ein der Gruppe gehörendes Farmgelände zu begleiten. Indes versucht Sherrys Mutter ihre Tochter zu finden, erfährt bei einem Telefonat, welches Ziel sie hat und reist ihr hinterher. In Portugal angekommen, wird Sherry von ihrer Mutter auf der Farm bereits empfangen. Schon bald gefällt es ihr dort so gut, dass auch sie sich der „Spark“-Gruppe anschließt. Doch Harry setzt seine Leute zusehends unter psychologischen Druck und beutet sie physisch aus. Durch ein ausgeklügeltes Verfahren von Denunziation und Selbstbestrafung scheint niemand der Gruppe zu entkommen oder es auch nur zu wollen. Dann gibt es einen Todesfall und Sherrys Kritik an Harry führt zum Bruch.

„Mouth to Mouth“ verbreitet schon beim ersten Zusammentreffen Sherrys mit den „Spark“-Leuten ein unangenehmes Gefühl im Zuschauer: Das Versprechen, von den Drogen und den Zwängen des Alltags loszukommen ist gebunden an den Verlust aller Privatheit. Der Gruppengedanke steht im Vordergrund. Und obwohl die unorthodoxe Lebensweise schnell Verdacht im Zuschauer erregt, tut der Film doch alles, „Spark“ als echte Alternative darzustellen. Diese Strategie reicht von der Charakterisierung der Figuren über deren visueller Präsentation bis hin zur Verwendung weicher Farben und Kontraste. Alles soll relaxed und angenehm daher kommen. Doch nach und nach ändert der Film diese Darstellungsweise. Das gleißende Licht der mediterranen Sonne macht die Bilder hart, gröberkörniges Filmmaterial erweckt Assoziationen zum Dokumentarischen. Der Film wird unpersönlicher, härter und wir stellen fest, dass wir uns trotz unserer anfänglichen Bedenken der Gruppe vorbehaltlos angeschlossen haben und nun mit den Konsequenzen konfrontiert werden.

Alison Murrays Film ist damit gleichzeitig eine Studie über die perfiden psychologischen Mechanismen von Sekten (dass Harry über dezidierte psychologische Kenntnisse verfügt, erfahren wir schnell) wie ein Experiment mit dem Zuschauer, dass diesem klar macht: Es ist eben nicht einfach eine Frage kühler Rationalität, ob man Herr über sich selbst bleibt oder nicht. Erscheint die Wirklichkeit nur ein bisschen freundlicher, verschwinden die Drangsale des Alltags und wird dann noch die Vernunft selbst angesprochen („Spark“ legt enormen Wert auf die Rationalität des Einzelnen, wie das Akronym offenbart: „Street people Armend with radical knowledge“), werden alle Zweifel schnell verwischt. Die Dynamik der Gruppe mit ihren gescheiterten aber ganz normalen jungen Menschen ist auf beklemmende Weise inszeniert. Dass dabei das Wort „Sekte“ zu keiner Zeit fällt, gehört genauso zum Kalkül des Drehbuches wie, dass nie etwas wirklich schlimmes passiert – bis zum Todesfall in der Peripetie. „Mouth to Mouth“ führt seinen Zuschauer auf allen Ebenen in „Versuchung“ und ist damit gleichzeitig eine hervorragende Studie wie ein Lehrstück.

Mouth to Mouth
(UK/D 2005)
Regie & Buch: Alison Murray; Musik: Rowan Oliver; Kamera: Barry Stone; Schnitt: Christian Lonk
Darsteller: Ellen Page, Natasha Wightman, Eric Thal, August Diehl, Diana Greenwood u.a.
Länge: 101 Minuten
Verleih: n.n.

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