… sondern zwischen oben und unten

Geschichten von der Grenze erzählt Hans-Christian Schmid in seinem neuen, episodisch angelegten Film. Lichter heißt der und ausnahmsweise ist der englische Verleihtitel, oder zumindest der Titel, mit dem das internationale Publikum der Berlinale den Film präsentiert bekommt, passender: Distant Lights. Und um Lichter in der Ferne, diesseits wie jenseits der Oder, geht es auch.

Die Grenze also, Frankfurt/Oder auf der einen, das polnische Slubice auf der anderen Seite. Binnen zweier Tage spielen sich hier persönliche Schicksale ab, auf engstem Raume, stets mit diesem verbunden, dem auf beiden Seiten brachliegenden Grenzgebiet, dort, wo die jeweiligen Ökonomien die Menschen in Geldkreisläufe und Nationalitäten trennen, wo eigentlich keiner so recht investieren will, wo umso mehr Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben die Illegalität in Kauf nehmen. Wirtschaftliches, infolgedessen auch soziales Brachland.

Triste Gegend, arme Menschen, hüben wie drüben marginalisierte Lebensumstände – in der Ferne, am Horizont, schimmert das Licht von Berlin, der Metropole. Dort ist das gute Leben, der Wohlstand. Dort, gerade mal eine Autofahrt von einer Stunde entfernt, nimmt kaum einer Notiz von der ökonomischen Ödnis an der Oder. Da ist zum Beispiel der junge Russe Kolja (Ivan Svedhoff), der zusammen mit anderen von einer miesen Schlepperbande abgezockt, auf der diesseitigen Seite Polens mit dem Hinweis, die nächste Ortschaft sei Berlin, aus dem LKW geworfen wird. Oder Philip (August Diehl), ein junger Architekt aus Berlin, dessen auf dem Schreibtisch konzipiertes und geborenes "Baby", ein Riesenauftrag, nun jenseits der Grenze in Polen gebaut werden soll, dessen polnische Ex-Freundin (Julia Krynke) plötzlich wieder in sein Leben tritt, als vom Vorgesetzten angeheuerte Dolmetscherin für die polnischen Geschäftspartner, die zudem – für ein klein wenig Zusatzgeld – am Abend hinter verschlossenen Türen noch andere Dienste erfüllen soll, um einen guten Ausgang des Geschäfts zu garantieren. Dann gibt es da noch – neben vielen anderen, die man noch aufzählen könnte – Antoni (Zbigniew Zamachowski), einen eher erfolglosen Taxifahrer aus Slubice, dessen Tochter in wenigen Tagen Erstkommunion feiern soll, allein es fehlt das Geld fürs Kleid.

Alle Geschichten, sie werden parallel erzählt, manchmal kreuzen sie sich sogar am Rande, gehen ineinander über, eint ein Element: sie drehen sich ums Ökonomische, daran lässt der Film von Anfang an keinen Zweifel. Keine der Figuren, die sich nicht verkaufen müsste, die nicht rigide durchs Geld determiniert wäre, mal mehr, mal weniger – eine tragende Rolle spielt es immer. Viel Platz für Solidarität scheint es hier, an der Grenze, nicht zu geben. Das bisschen Freundlichkeit, das wenige an Vertrauen, das hier gezeigt wird, wird nicht selten mit Betrug gedankt. Doch "böse" ist nahezu keine der Figuren, dafür sorgt das zumindest dahingehend sorgfältig aufgebaute Drehbuch, das die persönlichen, stellenweise existenziellen Nöte der Protagonisten en detail schildert und darlegt. Dabei schafft Schmid mit seinem Autoren eine gelungene Illustration dieser ökonomischen Umstände, in denen Menschen zum Äußersten getrieben werden und selbst noch ihre wohlwollenden Gönner zu hintergehen gezwungen sind, und präsentiert damit eine, auf dem deutschen Parkett der Filmwelt, angenehme Ausnahmeerscheinung.

Eine Schwäche allein ist Schmids unbedingte Liebe zum Geschichtenerzählen. Diese genießt in Lichter, wie auch in seinen anderen Filmen, oberste Priorität. Geschichtenerzählen kann er ja auch unwidersprochen, das hat er in der Vergangenheit – in 23 (Deutschland, 1998) oder Crazy (Deutschland, 2000) etwa – bewiesen, man hätte sich im vorliegenden Fall nur vielleicht etwas weniger Hang dazu gewünscht. Es wirkt stellenweise eben doch etwas zurechtkonstruiert, gewollt, eben ganz genau so, als wollte jemand vor allem eine Geschichte, eine Begebenheit, erzählen, was die einzelnen Aspekte der ökonomischen Sphäre rund ums Grenzgebiet, sehr zum Nachteil der hochgesteckten Ziele, ein bisschen im allzu Individuellen versickern lässt. Etwas mehr Schilderung der Umstände, vor allem aber eine Erweiterung um eine politische Dimension – diese Sphäre wird lediglich etwas angedeutet, diffus beleuchtet, vor allem aber, leider, von außen hineingeredet – hätte dem Film gut gestanden. In der Konkurrenz des Wettbewerbs der Berlinale 2003, in dessen Rahmen Lichter Deutschlandpremiere feierte, machten dies Rezervni Deli (Slovenien, 2003) und In This World (Großbritannien, 2002), beide thematisch ähnlich angesiedelt, vor.

So bleibt ein unterm Strich zwar überzeugender, stellenweise niederschmetternder Film, der das Schicksal unter marginalisierten Umständen lebender Menschen zwar eindringlich beschreibt und, eben, zu erzählen weiß, letzten Endes aber doch nicht ambitioniert genug ist, um wirklich Kontroversen auslösen zu können. Dafür lässt er sich dann doch zu sehr auf den kleinsten gemeinsamen Nenner nicht näher bestimmbaren Gutmenschentums ein, dem sich jeder verbunden fühlen darf, ohne in die Gefahr zu kommen, sich konkret positionieren zu müssen. Eine Kontroverse jedoch, gerade auch im deutschen Film, der allzu oft in seiner Tendenz zum Versöhnlichen mit dem Publikum und beim nicht zu Ende Gedachten verharrt, wäre bitter nötig gewesen. So wartet man eben weiter, auf den großen, politischen Film aus deutschen Landen, der beim Namen nennt, Positionierungen abverlangt und Debatten, Kontroversen anregt. Zur Zeitüberbrückung bis dahin, vielleicht auch als Wegbereiter, ist Lichter aber allemal zu gebrauchen.

Lichter
Regie: Hans-Christian Schmid
Drehbuch: Michael Gutmann, Hans-Christian Schmid
Kamera: Bogumil Godfrejow
Schnitt: Bernd Schlegel, Hansjörg Weißbric
Darsteller: Zbigniew Zamachowski, Maria Simon, Devid Striesow,
August Diehl, Sebastian Urzendowsky, Anna Janowskaja,
Sergej Frolov, Ivan Shvedoff, u.a.

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