West Virginia, Mountain Mama. Country Road, take me home!

orsicht ist geboten, nennt ein Filmverleih auf dem Informationsangebot seiner Website die filmischen Vorbilder des neuesten Pferdes im Stall bereitwillig beim Namen: „Inspiriert von Texas Chain Saw Massacre und The Hills Have Eyes", kann man's bei der Constantin im Eintrag zum selbst mitproduzierten Wrong Turn nachlesen. Nun, man könnte noch ohne weiteres Evil Dead (USA 1981) ergänzen, ähnelt die obligatorische „verlassene Waldhütte“ doch frappant jener aus Raimis Debüt, und wenn’s ganz allgemein ums Morden im Wald nach sattsam bekanntem Prinzip geht, dann ist auch in der Regel der Freitagskiller Mr. Voorhees nicht allzu weit entfernt. An dessen Redneck-Kostüm erinnern dann auch folgerichtig die Kleidungsstücke der Kannibalenfamilie aus Wrong Turn. Der nicht minder unvermeidbare Wald ist zudem augenscheinlich so unglaublich weltenfüllend, da braucht's schon gelegentlich eingestreute Shining-ähnliche Aufnahmen aus dem Hubschrauber, um diesen Umstand dem Zuschauer stets aufs Neue zu vergegenwärtigen, und John Boormans Klassiker Deliverance wird dann schließlich im Film selbst auch erwähnt: „Kennt ihr denn nicht… ?“ – Ja, doch, wir kennen ihn, genau wie alle anderen. Selbstbedienungsladen Filmgeschichte also?

Es scheint so, denn Wrong Turn lässt, zumindest im ersten Drittel, keine Gelegenheit aus, um immer wieder auf die Vorbilder zu verweisen: Eine Gruppe legerer Twens reist übers Wochenende zum Campen in die unendlichen Wälder von West Virginia, ein alleinreisender, eher yuppiehafter Ebenso-Twen stößt, im wahrsten Sinne des Wortes, dazu: Ein kleiner Moment willfähriger Unachtsamkeit auf dem Schotterweg, der, von der eigentlichen Route abgehend, eine Abkürzung in Aussicht stellte, jedoch bloß – daher auch der Titel – in die Katastrophe führt, zieht die Totalschadenkollision mit dem dort abgestellten, aufgrund eines achtlos (absichtlich?) über den Weg gespannten Stacheldrahts nunmehr nicht mehr funktionablen Vans zuvorgenannter Camper nach sich.

Man spaltet sich darob in zwei Gruppen: Die einen verweilen bei dem Blechhaufen, die anderen zieht’s, auf der Suche nach zivilisatorischen Errungenschaften wie etwa einem Telefon, in die Wälder. Erstere, ein frisch verliebtes Pärchen, haben dann auch sogleich den Joint in der Hand, das Drogenexperiment mündet in etwas zu wollüstig betriebenem heavy petting. Folgerichtig beschert das strenge Regelkorsett des gewählten Subgenres den beiden einen schnellen Tod. Der Rest des Grüppchens ahnt noch nichts von deren wie auch dem eigenen Schicksal, zieht witzelnd durch die Wälder, erschrickt sich hie und da und findet schließlich eine abgelegene, menschenverlassene Hütte, darum ein Autofriedhof, darinnen bizarr verfremdete Einrichtungsgegenstände. Ein Generator verrichtet monoton ratternd seine Arbeit, im speckigen Kühlschrank dann, man hat’s ja nun wirklich geahnt, die grausige Entdeckung: eingelegte Leichenteile! Für die Flucht ist’s, natürlich, schon zu spät, just in diesem Moment nahen die Bewohner, unterm Arm die frische Beute in Form der nunmehr nur noch rudimentär identifizierbaren Freunde. Man sucht das Versteck, bleibt unbemerkt, beobachtet aber mit Grausen durch Schlüssellöcher und von anderen sicheren Positionen aus das Ausweiden und Zerlegen der arglos zurückgelassenen Lieben durch die in der Tat recht seltsam anzusehende, nun ja, Trolle in Holzfällerhemden, das Presseheft nennt sie „Mountain Men“.

Die Flucht zurück in die Wälder gelingt, nicht ganz ohne Zwischenfälle freilich, nachdem sich die Trolle zum Verdauungsschlaf abgelegt haben. Diese wittern natürlich, in einem achtlosen Moment der Flucht geweckt, zusätzliche Beute, greifen zum archaisch-vormodernem Waffenarsenal und blasen zur lustigen Jagd durch den nahen Hain. Dies ist wörtlich zu nehmen: Es geht vom Unterholz hinauf auf hölzerne Aussichtsposten, von dort aus dann in die Wipfel der umliegenden Bäume, dann wieder runter ins Gestrüpp. Im Verlauf wird sich auf Seiten der Gejagten beweint, sich gegenseitig unter Rückgriff auf sattsam bekannte Phrasen Mut zugesprochen, das eine oder andere biografische Element unter Tränen zum Besten gegeben und, natürlich, fröhlich vor die Hunde, respektive Trolle, gegangen. Versuche, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, können nur scheitern, zu Hilfe eilende, verwirrte Ranger werden kaltblütig – für den Zuschauer im Saal durchaus belustigend anzusehen – von den nur guttural miteinander kommunizierenden Häschern kurzerhand zum Abendmahl deklariert. Am Ende gibt’s den obligatorischen Rachefeldzug der wenigen Überlebenden, sowie, man fühlt sich der Tradition auch hier verpflichtet, den nicht minder obligatorischen Ausblick auf ein Sequel.

Man kann sich Wrong Turn wohl nur dialektisch nähern. Auf der einen Seite steht sich der Film, zumindest im ersten Drittel, durch die allzu offensichtlichen Anleihen unglaublich selbst im Wege. Nicht, dass der Horrorfilm sonderlich für Innovation bekannt wäre, nein, ganz im Gegenteil tragen die bewusste Serialisierung in Verbindung mit einem lustvollen Spiel mit bekannten Motiven und den Sehgewohnheiten der Zuschauer maßgeblich zur Konstituierung des kulturellen Rahmensystems bei. Dies setzt jedoch, soll das ganze auch gelingen, Fingerspitzengefühl auf Seiten der Macher voraus, infolgedessen einen bewusst pointierten Einsatz von Zitationen, subtil bis mehr oder weniger offensichtlich ironisch. Wrong Turn aber gibt sich, in Wahl seiner Handlungsorte, -elemente und Motive, als sträflich „eigentlich“ aus, kaut lediglich längst Bekanntes wieder, ohne aber im Spiel mit dem bestehenden Referenzsystem Qualität zu entwickeln. Man reiht, so kann man das ruhig beim Namen nennen, plump Geklautes aneinander, versäumt es indes aber, Nervenkitzel aus dem Spannungsverhältnis von Genre-Souveränität seitens des Zuschauers und Momenten grundlegender surprise entstehen zu lassen. Als Hommage an liebgewonnene Klassiker funktioniert Wrong Turn auch wenig bis kaum, dafür ist der Film viel zu versessen darauf, von sich selbst zu erzählen. Der Film bleibt deshalb in seiner Exposition, man kann es wohl nicht anders sagen, ungemein nervig bis langweilig

Was eigentlich sehr schade ist, weiß der Film auf der anderen Seite nämlich durchaus zu unterhalten, ist die Alibihandlung denn erst mal abgehakt, um sich endlich dem eigentlichen Spektakel zuzuwenden. So ist das Gefecht zwischen unserem bemitleidenswertem Grüppchen junger Wochenendausflügler und den Waldtrollen ohne Zweifel gelungen und, jenseits bloß somatischer Schocks, wie sie etwa Resident Evil (USA/DEU, 2002) einst recht lauwarm servierte, spannend inszeniert. Man weiß eigentlich nie, was als nächstes geschieht, wer als nächstes, oft genug genüsslich von der Kamera eingefangen, ins Gras beißt und, noch wichtiger, auf welche Art dies vonstatten geht. Dass man bei der Inszenierung dieses unerbitterlichen Kampfes auch den schwarzen Humor nicht vergessen hat, tut dem Ganzen zusätzlich gut und erhöht das schalkig-sardonische Vergnügen diesseits der Leinwand zusehends. Die Tatsache, dass man solcherlei angenehm schwarzhumorig-zynischen Schlitzereien auf hiesigen Leinwänden in dieser expliziten Form nur äußerst selten zu Gesicht bekommt, erhöht das Wohlwollen entsprechend. Darauf hingewiesen sei allerdings auch, dass Wrong Turn keineswegs das Schlachtfest darstellt, das man sich ob dieser lobenden Worte nun vielleicht erhoffen mag – auf einer nach oben hin wohl nur durch Braindead (NZ 1992) begrenzten Goremeßlatte rangiert Wrong Turn eher im guten Mittelfeld. Da hätte man, für meine Verhältnisse, ruhig noch etwas engagierter ans blutige Handwerk gehen können, zumal dessen manifesten Resultate – der Obhut unter Produzent und Make-Up-Effekt-Spezialist Stan Winston, der schon unter anderem die Alienkönigin, das Predator-Monster und die bisherigen Terminatoren zum Leben erweckt hatte, und eines unverhältnismäßig hohen Budgets zufolge – überaus zu überzeugen wissen. Unter Berücksichtigung der Beteiligung zweier deutscher Produktionsgesellschaften – neben der Constantin ist noch die badenwürtembergische MC-One mit an Bord – wollen wir uns aber zufrieden geben und uns auf Werke freuen, denen mit diesem Film vielleicht ja sogar der Weg geebnet wurde.

Ab 28. August in den deutschen Kinos, zuvor auch im Rahmen des Fantasy Filmfests in mehreren Städten zu sehen.

Wrong Turn
USA/Deutschland 2003
Regie: Rob Schmidt
Drehbuch: Alan B. McElroy
Kamera: John S. Bartley
Schnitt: Michael Ross
Darsteller: Desmond Harrington, Eliza Dushku, Emmanuelle Chriqui,
Jeremy Sisto, Lindy Booth, Julian Richings, u.a.

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