Sex, Horror und Religion


Bei der Kunstfilmbiennale, die am 19. Oktober bereits zum vierten Mal in Köln startete, geht es um die Berührungen zwischen Film und bildender Kunst. Die Art dieser Berührungen kann allerdings sehr unterschiedlich sein: Es werden Filme von Performancekünstlern gezeigt, die sich zum Teil an ein Museumspublikum richten, aber auch filmische Produktionen, die den Lebensweg berühmter Künstlerpersönlichkeiten nachzeichnen oder über den Kunstbetrieb nachsinnen. Ein Blick in das diesjährige Programm macht deutlich, wie viele unterschiedliche Aspekte in das Festival einfließen. Ich werde hier über die spannendsten und diskussionswürdigsten Beiträge berichten.

Laurel Nakadate
Love Hotel And Other Stories
USA 2005, 20’10“, englisch, Farbe, DVD
Internationaler Wettbewerb: Die letzten Paradiese

Dass die Künstler für ihre Performances und Installationen Objekte nehmen, die ihrem Alltagsleben entstammen und vielleicht auch in einem gewissen Moment ganz zufällig zur Hand waren, ist nicht neu. Die amerikanische Künstlerin Laurel Nakadate geht aber etwas weiter, wenn sie in ihre künstlerischen Aktionen vor der Kamera Männer involviert, die sie auf der Straße angesprochen bzw. „angebaggert“ haben. Sie alle sind schon mittleren Alters (oder sogar darüber hinaus) und zeichnen sich weder durch besonders imposante äußere Erscheinung noch durch gesellschaftlichen oder materiellen Erfolg aus. Ihre intellektuellen Fähigkeiten bleiben uns verborgen. Aber auch die jugendlich wirkende Künstlerin selbst wird in ihrer Nähe bloß zu einem leeren Zeichen, das für das Objekt der Begierde steht, dieses Versprechen aber genauso wenig einlöst, wie ihre Verehrer die Rolle der verhängnisvollen Verführer annehmen können. Es ist einfach nichts da, was sie vereint, außer vielleicht den stereotypen Träumen von Liebe und Sex, die Nakadate in den aneinander gereihten Episoden geschickt dekonstruiert. Indem sie erotische Spielereien ohne dazugehörige emotionale Spannung inszeniert, bringt sie Entfremdung zum Vorschein, die sich hinter sexuellen Ritualen verbirgt und wirft gleichzeitig erneut die schmerzhafte Frage nach dem Verhältnis zwischen Erotik und Menschlichkeit auf. Denn eine harmonische (Liebes)Beziehung besteht bekanntlich aus einer inneren Verbundenheit und der sexuellen Anziehung. Aber in welchem Verhältnis diese beiden Komponenten tatsächlich zueinander stehen und ob es nicht doch fast immer eine gewisse Anstrengung erfordert, sie in Einklang zu bringen, bleibt offen. Wenn Nakadate zusammen mit einem ihrer Verehrer zu einem Britney-Spears-Song auf dem Boden krabbelt und ihn mit katzenhaften Gesten anzuheizen versucht oder wenn sie in einer schäbigen Küche ergeben im Käfig kauert, während ein älterer Mann, Pfeife rauchend, hin und her geht, thematisiert sie die Differenz zwischen Wunschvorstellungen und Realität, die zur Grunderfahrung einer sozialisierten Sexualität gehört.

Dominique Gonzalez-Foerster / Ange Leccia
Malus
F 2004, 22′, Navajo, Farbe, englische UT, BetaSP
Internationaler Wettbewerb: Die letzten Paradiese

Der Film beginnt wie eine Enthüllungsreportage: Das Team unternimmt eine Autofahrt in das Gebiet Los Alamos im Westen der USA mit dem Ziel, die angeblich immer noch bestehenden wissenschaftlichen Labore zur Entwicklung biologischer Waffen zu filmen. Doch die von der Off-Stimme in einer indianischen Sprache vorgetragenen Überlegungen werden mit der Zeit immer irrationaler. Das Team glaubt die Anzeichen für das Unheil, das diesen Ort heimgesucht hat, am Aussehen der Bäume und an den Verformungen der Wolken abzulesen. Die hastig im Vorbeifahren gefilmten menschenleeren Straßen einer im Grunde genommen gewöhnlichen amerikanischen Kleinstadt werden zum Symbol des Schreckens und des nahen Untergangs. Die Unruhe steigert sich, ohne dass irgendwelche Beweise für eine tatsächliche Gefahr vorgebracht werden, was die Kunstgriffe aus „The Blair Witch“ in Erinnerung ruft. Die Autofahrt verwandelt sich in eine Reise ans Ende der Welt und der Zivilisation. Der Tag wird zur Nacht, aber das Auto macht keinen Stopp: In völliger Dunkelheit, begleitet nur durch das verwischte Leuchten der Instrumente und die Musik aus dem Radio, wird die anschließende Strecke passiert, die dann zur einer beeindruckend-bedrohlichen Canyonlandschaft führt. Und wieder werden die Zeichen am Himmel gelesen, bis ein apokalyptisches Naturschauspiel die Erde erschüttert… Die technisch manipulierten Bilder, die trotzdem eine erstaunliche Authentizität besitzen, unterstreichen den alptraumhaften Charakter des Dargestellten und machen Apokalypse zu einer greifbaren (Film)Erfahrung.

Valérie Mréjen
Dieu
F 2004, 11’30“, französisch, Farbe/colour, deutsche UT, Beta SP
Internationaler Wettbewerb: Identitätsfindung

Junge Israelis erzählen (meist in geschlossenen Räumen oder vor einer Wand) anekdotische Geschichten aus ihrem Leben, die mit religiösem Brauchtum zu tun haben. Befremdlich für einen in die jüdische Tradition nicht eingeweihten Zuschauer ist vor allem die Bedeutung, die von den Interviewten den äußeren Aspekten der Religion zugemessen wird: Die eigene Frömmigkeit wird vor allem daran gemessen, wie eng man sich an die streng reglementierten Regeln hält (bzw. nicht hält). Wenn das Ritual nicht mehr aufrechterhalten werden kann, stirbt auch der Glaube. So kann Gott, der es nicht mal schafft, einen Jungen, der trotz des Verbots am Schabbat das Licht angeschaltet hat, mit dem niederstürzenden Donner zu bestrafen, von nun an nur belächelt werden. Auf diese Weise bringt der Film auch die Zerbrechlichkeit der Religion zum Ausdruck, die in erster Linie durch die strenge Befolgung ihrer Bräuche unter schwersten Bedingungen überdauert hat, von den modernen Ansprüchen aber erneut auf eine harte Probe gestellt wird.

Andererseits kann die Rezeption des Films gerade in nichtjüdischen Kreisen sehr problematisch sein, da dabei vor allem der vermeintlich skurrile Aspekt einer Religion in den Vordergrund tritt, die ohnehin schon mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hat. Ist es wirklich so absurd, wenn ein junger Mann erzählt, dass er bis zum Teenageralter keinen Schinken probiert hat? Kann es tatsächlich seine „Befangenheit und Unfreiheit“ illustrieren, wie es dem Festivalkatalog zu entnehmen ist? Ich glaube, dass es in diesem Film doch um etwas anderes geht, als um die Kritik an jüdischer Religion, und zwar: ganz allgemein um die Krise der Tradition und um die Revolte gegen die Lebensentwürfe der älteren Generation (was freilich nicht ausschließt, dass man nach einer Weile auf der Suche nach einem geistigen Halt auf genau diese Entwürfe zurückgreifen wird).

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