Semiologische Lückenfüller?

Mit dier Wiederaufführung der Fernsehserie Twin Peaks auf Kabel1 sind zwei Merchandising-Bücher neu aufgelegt worden, die sich als interessante Ergänzung zum Twin Peaks-Universum zu verstehen. Die seinerzeit häufig als postmodernistisch apostrophierte Serie aus der Feder von David Lynch und Marc Frost hat wohl wie kaum ein zweites Fernsehereignis der 90er Jahre auf die Zuschauer gewirkt. Anfangs wohl als Kolportage auf Krimi- und Soap-Serien konzipiert, entwickelte Twin Peaks schnell einen eigenen Charakter als Erzählung und ästhetisches Sujet. Zur offenkundigen Doppelcodierung als „Serie über Serien“ kam spätestens ab der zweiten Staffel ein neuen Konzept, das sich am treffendsten als „semiologischer Gap-Text“ bezeichnen ließe, hinzu. Immer mehr Elemente und Figuren hielten Einzug in die Erzählung, die ihr narrativ ohnehin brüchiges Konzept vollends aufbrachen und auf nichts als die eigene Zeichenhaftigkeit verwiesen.


Aus dieser Warte heraus kann und sollte auch das, was „nach“ der Serie kam, betrachtet werden. Da waren zunächst die beiden – jetzt von vgs vorliegenden – Bücher: Das Tagebuch der Laura Palmer (das vor allem im Sequel/Prequel „Twin Peaks – Fire walk with me“ bedeutsam wurde) und die Tonbandaufzeichnungen des Ermittlers Dale Cooper. Gefolgt von der in den USA bis heute erscheinenden Fan-Zeitschrift „Wrapped in Plastic“, zwei offiziellen Soundtrack-Alben (eines zur Serie und eines zum Film), zwei aus dem Film „ausgekoppelten“ Jazz-Alben der dort auftretenden Sängerin „Julee Cruise“ und schließlich besagter Film „Fire walk with me“, von dem sich die Welt Aufklärung über die letzten Mysterien der Serie versprach, was Regisseur David Lynch freilich zu keiner Zeit erfüllen wollte.

Im Tagebuch der Laura Palmer erfährt der Leser nun nicht nur, was den Teenager kurz vor seinem Tod an Gedanken durch den Kopf gegangen ist, mit welche Figuren Laura zu tun hatte und in welche Verbrechen sie involviert war. Das Buch geht viel weiter zurück: Die Seiten sind seit dem 22. Juli 1984 gefüllt – dem 12. Geburtstag Lauras. Wir erfahren Verkitschtes und Banales, dann immer Skurrieleres und schließlich Bizarres von Laura und ihrem sexuellen Erwachen, ihrem Drogenkonsum und dem Missbrauch durch „Bob“ – respektive ihren Vater. Der Text liest sich dabei stehts – und trotz der Lücken von manchmal mehreren Wochen – kohärent … wenn da nicht die herausgerissenen Seiten wären. Mit dem lapidaren editorischen Vermerk „Seite herausgerissen (so vorgefunden)“ stürzt uns der Text abermals in eine recht grauenhafte Bedeutungsschlucht. Ahnt man doch, um was es sich da genau drehen könnte, was Bob/Leeland da aus dem Tagebuch entfernt hat. Die Gesprächigkeit des Tagebuchtextes wird damit brutal unterbrochen und macht dem „Konzept Twin Peaks“ platz, indem es keine finalen Erklärungen geben kann, in dem sich die Kriminalgeschichte zwar durch Indizienbeweise aufschlüsseln lässt, ihre psychologischen Untiefen jedoch immer opak bleiben. Ahnung ist das einzige, das weiterhilft. Wer sich vom Tagebuch Lauras Erklärungen zur Serie oder zum Film verspricht, wird auf die angenehmst mögliche Art enttäuscht.

Dale Coopers (transkribierte) Tonbandaufzeichnungen folgen dem selben Prinzip, reichen jedoch noch weiter in die Vergangenheit zurück: 1967 soll Cooper das Tonbandgerät geschenkt bekommen haben, auf dem er fortan mal banale, mal erschütternde Nachrichten hinterlassen hat. Copper war seinerzeit nur ein Jahr älter als die 12-jährige Laura. Und so versteht sich auch das Tonbandgerät „Diane“ als Pendant zum Tagebuch eines Heranwachsenden. Die Aufzeichnungen enden unmiitelbar vor dem Tod Lauras, was verdeutlicht, dass wir es auch hier weniger mit einem Fahndungsprotokoll als mit einem „echten“ biografischen Element zu tun haben. Keine Frage: Cooper soll durch die Aufzeichnungen plastischer werden. Die neben Laura in ihrem Denken, Fühlen und Verhalten undurchdringlichste Hauptfigur des Twin Peaks-Universums wird durch die Offenlegung der Tonbandaufzeichnungen aber kein deut durchsichtiger – im Gegenteil: Dasjenige, was an Cooper so schrullig wirkte und dasjenige, was den maximalen Kontrast dazu bot – seine PSI-Fähigkeiten – werden durch jeden Eintrag noch zusätzlich unterstützt.

Womit bekommen wir es also schließlich zu tun, wenn wir ergänzend zur Serie die beiden Bände zur Hand nehmen? Sicherlich nicht mit der „Verbuchung“ der Serie oder des Films. Auch geht es den Autoren nicht darum, Fragen zu beantworten. Das passiert zwar bei beiden Texten en passent, jedoch mehr zur Authentisierung und um die Publikationen auch im Detail in der Serien-/Film-Erzählung zu situieren. Vielmehr scheint es sich bei „FBI-Agent Dale B. Cooper: Mein Leben, Meine Aufzeichnungen“ und „Das geheime Tagebuch der Laura Palmer“ um Konglomerate weiterer Zeichen zu handeln, die bedeutungsvoll scheinen, ohne es in Wirklichkeit zu sein. Diese simulierte Bedeutsamkeit ist es schließlich, die die Welt von Twin Peaks ihren fraktalen Charakter verliehen hat und die die Erzählung selbst als nicht beendbar markiert. Aus ihr leitet sich die Faszination von Twin Peaks ab.

Mark Frost
FBI-Agent Dale B. Cooper: Mein Leben, meine Aufzeichnungen.
Aus dem Amerikanischen von Stefan Weidle
Köln: vgs, 2003
221 Seiten, Hardcover, 12,00 Euro

Jennifer Lynch
Das geheime Tagebuch der Laura Palmer
Aus dem Amerikanischen von Stefan Weidle
Köln: vgs, 2003
235 Seiten, Hardcover, 12,00 Euro

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