Unsere moderne Postmoderne

Gern wird sie tot gesagt, die Postmoderne – und das schon, seit sie Anfang der 1980er Jahre als Theoriemodell für Ästhetik, Ethik und Epistemologie aufgetreten ist. Der seit dem konstante Output an Literatur zu allen möglichen Phänomenen der Kultur und der Wissenschaft zeigt hingegen, dass Postmodernismus im Denken so präsent ist, wie zu Beginn. Der Schüren-Verlag wartet nun mit dem Sammelband »Die Postmoderne im Kino« auf.


Der Reader stellt 22 Texte zum Film und zu den Medien zusammen. Zu den Autoren hat Herausgeber Jürgen Felix altbekannte Namen dieser Theoriegeschichte versammelt: Umberto Ecos bereits Mitte der 1970er Jahre veröffentlichter Essay über Casablanca als Anthologie filmgeschichtlicher Wegmarken insistiert auf den historisch reflektierenden Moment der Postmoderne (den Eco ja besonders in seinem eigenen Romanwerk hervorhebt). Jean Baudrillards „Geschichte: Ein Retro-Szenario“, in dem das Kino als historische Simulationsmaschine „enttarnt“ wird, die Historie behauptet, welche jedoch längst zum Simulacrum geworden ist. Fredric Jameson, einer der einflussreichsten Autoren des Postmoderne-Kanons, überträgt in seinem Text „Diva und der französische Sozialismus“ die kulturpolitischen Analysen seines Hauptwerkes „Postmodernism, or the cultural logic of the late capitalism“ auf den Film. Barbara Creed ist mit ihrem Essay „From here to modernity“ vertreten und diskutiert wie auch E. Ann Kaplan mit „Feminismus und Postmoderne“ die gendertheoretischen Aspekte der Theorie für das Kino.

Der Großteil der Texte versteht sich als Auseinandersetzung mit einzelnen Filmen oder Regisseuren. So sind zwei Texte zu David Lynch und seinen Filmen vertreten: Klaus Kreimeier mit einem Beitrag über Wild at Heart und dessen transgressiver Ästhetik und Georg Seeßlen mit „Ein postmodernes Welt-Bild aus den USA“, ein Sublimat aus Seeßlens eigener Lynch-Monografie. Zu Peter Greenaway diskutiert Reinhold Görling The Draughtma’s Contract und steuert ein Interview mit Greenaway sowie eine Filmkritik zu dessen 1996 erschienenem The Pillow Book bei. Dem (neuen) deutschem Film widmen sich Thomas Elsaesser mit „American Graffiti – Neue Deutsche Filmemacher zwischen Avantgarde und Postmoderne“ und Marsha Kinder mit einer Gegenüberstellung dreier Filme von Wenders, Fassbinder und Sanders-Brahms als Relektüren us-amerikanischen Genrekinos. Daneben finden sich exemplarische Überlegungen zu Autoren wie Francis Ford Coppola (Peter W. Jansen), einzelnen Filmen, wie Blade Runner (Guiliana Bruon), Barton Fink (Reinhard Middel) und Matrix (Petra Maria Meyer) sowie zur postmodernistischen Genretheorie des Actionfilms (Rainer Rother sowie Isabella Reicher und Drehli Robnik) und des Dokumentarfilms (Peter Krieg und Jürgen Felix). Eine Re-Lektüre der Filme mit Dean Martin als 50er-Jahre-Recycling-Ikone von Steven Shapiro und ein aus Die Zeit entnommener Essay über Helden und Schurken im postmodernen Kino runden die Anthologie ab.

„Postmoderne im Kino“ gibt sich trotz der zahlreichen theoretischen Arbeiten keineswegs akademisch. Der Korpus der in den Band aufgenommenen Texte erfüllt sowohl wissenschaftliche als auch populärwissenschaftliche Ansprüche. Essays, wie die von Georg Seeßlen, Norbert Grob oder Steven Shaviro verfolgen bewusst das Ziel, sich im Spiel mit der Sprache der Kunst und der Theorie zu nähern. Dieses Hybrid meistert der Band, hat jedoch editorisch einige Schwächen: Zunächst fällt die für den Schüren-Verlag untypische fehlende Bebilderung auf. Viel gravierender ist jedoch der ebenso fehlende Apparat mit Stichwortverzeichnis und nochmaliger Aufführung von Quellen und Autoren. Diese hätten den Band und die darin enthaltenen Texte vereinheitlichend abgerundet – so entsteht in der Tat mehr der Eindruck einer „gebundenen Textsammlung“.

Das Projekt des Bandes ist nicht allein der Versammlung zentraler Texte der postmodernen Filmtheorie verpflichtet, sondern versteht sich auch als Genealogie, die die Auswirkungen und Erweiterungen der Theorie bis ins Kino der Gegenwart nachzuzeichnen versucht, um so ihre Kontinuität und Relevanz zu unterstreichen. Hierbei sticht vor allem die Heterogenität der Zugänge ins Auge: Medien-, Film, Kultur-, Gender-, Autorentheorie, Ökonomie und polititologische Überlegungen treffen zusammen. Diese Vielfältigkeit ist selbsts dem Projekt Postmoderne verpflichtet, die damit, wie Shaviro andeutet, „keine theoretische Option oder eine Frage des Stils [ist], sie ist schlicht die Luft, die wir atmen.“ (267) Sicherlicht: Etwas pathetisch ist diese Formulierung schon, aber sie umreißt recht deutlich, dass das Denkmodell des Postmodernismus nicht ohne weiteres abhakbar ist.

Jürgen Felix (Hrsg.)
Die Postmoderne im Kino. Ein Reader
Marburg: Schüren, 2002
320 Seiten, Paperback
19,80 Euro

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