Schießen Sie auf den Zuschauer!

Der Schriftsteller Walter Kranz (Kurt Raab) hat seine große Zeit hinter sich: in den Sechzigerjahren noch gefeierter Autor der linken Revolution, jetzt ausgebrannt, ohne Ideen und pleite. Der Vorschuss fürs nächste noch nicht mal angefangene Buch ist schon verprasst, die keifende Ehefrau Luise (Helen Vita) fordert Disziplin, während der schwachsinnige Bruder (Volker Spengler) tote Fliegen sammelt. Als Kranz seine reiche Geliebte und Gönnerin, die masochistisch-nymphoman veranlagte Irmgard von Witzleben (Katharina Buchhammer), erschießt, sind die Geldsorgen fürs erste gestillt und auch die Schreibblockade scheint überwunden: Doch das wie im Rausch geschriebene und für genial befundene Gedicht „Der Albatros“ entpuppt sich als bereits von Stefan George verfasst (es handelt sich um die Übertragung eines Gedichts von Baudelaire). Das lässt für Kranz nur einen Schluss zu: Er ist George. Und so lässt er sich dann von einem spontan eingekauften Bewundererkreis aus Jünglingen feiern und bewundern, versucht sich an der Homosexualität und behandelt alle ihn umgebenden Menschen wie Untertanen, während er immer tiefer in die Pleite rutscht …

satansbraten.jpg1976 befand sich Fassbinder in einer Krise: Sein Engagement als Intendant des Frankfurter Theaters am Turm war kurz vorher gescheitert und der Zorn auf den deutschen Kulturbetrieb und eine eingeschlafene linke Bewegung schlugen sich Bahn in dieser bitterbösen, wüsten und hysterischen Komödie. „Satansbraten“ wurde zu einem handfesten Skandal und selbst die vermeintlichen Verbündeten Fassbinders fühlten sich nun von „ihrem“ Regisseur bloßgestellt. Tatsächlich mutet „Satansbraten“ auch heute noch wie ein Rundumschlag an, der den Zuschauer direkt auf den Solar Plexus trifft und ihm schier den Atem raubt. Die Schauspieler bellen und singen ihre Dialogzeilen, tanzen wie entfesselt durch die Settings und von einer wahnsinnigen Szene zur nächsten. Auch wenn man das sich darbietende Schauspiel als Zuschauer zunächst noch gar nicht durchschaut: Man fühlt sich körperlich attackiert von diesem Film, von der hohen Frequenz, mit der Fassbinder seine Pointen, Angriffe, Beleidigungen und Tabubrüche auf den Zuschauer abschießt. Man steht so sehr unter Dauerbeschuss, dass einem vielleicht sogar entgeht, dass Fassbinder sich mit „Satansbraten“ durchaus selbst aufs Korn und ins Fadenkreuz nimmt.

Kranz, der ehemalige Linke, der – in kleinbürgerlichen Verhältnissen eingepfercht – jegliche Moral abwirft und sich zum geistigen Führer aufschwingt, dabei mehr und mehr faschistoiden Ideen nachhängt und seine eigene Identität völlig preisgibt, ist Repräsentant einer bankrotten Kultur, die heute das eine predigt, aber morgen das andere praktiziert. Kranz verfolgt mit seiner Schriftstellerei keinen anderen Zweck mehr, als den, Geld zu verdienen. Da ist es ihm letztlich ganz egal, was er zu Papier bringt: In seiner kreativen Verzweiflung ist sein großer Plan, ein Interview mit einer Prostituierten zu publizieren. Dass Kranz dann ausgerechnet George als Seelenverwandten entdeckt, muss als bittere Ironie verstanden werden, vertrat dieser doch die Auffassung des l’art pour l’art, die besagt, dass wahre Dichtung allem Gesellschaftlichen entsagen müsse und nur um ihrer selbst Willen existieren dürfe. So ergeht sich auch Kranz bald in weltfremden bis mystischen Kopfgeburten, lässt sich von seinen Jüngern als Halbgott verehren und schwelgt in Herrenmenschen-Fantasien – Fantasien, die seine Verehrer allzu bereitwillig aufsaugen, nur um ihm den Rücken zuzukehren, als sie merken, dass er doch nur ein „Sterblicher“ ist. Die Selbstverleugnung Kranz’ geht schließlich so weit, dass er sich in einer öffentlichen Toilette einem Homosexuellen andient, weil er glaubt, nur als Homosexueller die Rolle Georges wirklich ausfüllen zu können.

Neben der unübersehbaren Kritik an Publikum und Kulturbetrieb scheint Fassbinder nicht zuletzt seinen eigenen Status kritisch zu hinterfragen: Ist er noch der autonome Künstler oder nicht auch längst zum bloßen Lieferanten verkommen, der wieder und wieder den pervertierten Geschmack eines nach Sensationen geifernden Publikums bedient? Die Antwort auf diese Frage muss ebenso offen bleiben wie einige weitere, die sich nach dem grotesken Ende geradezu aufdrängen. „Satansbraten“ ist alles andere als ein leichter Film, der bei der Betrachtung mehr abstößt als anzieht. Fassbinders „Provokation“ ist jedoch niemals als Entschuldigung für platten Stammtischhumor und blanken Zynismus zu verstehen, sondern stellt den Zuschauer vor die Herausforderung, sich diesem Werk trotz aller zu erleidenden Schmerzen zu stellen, furchtlos in den Spiegel zu blicken und die eigene Position zu hinterfragen.

Satansbraten
(Deutschland 1976)
Regie: Rainer Werner Fassbinder, Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Kamera: Michael Ballhaus, Jürgen Jürges, Musik: Peer Raben, Schnitt: Thea Eymèsz
Darsteller: Kurt Raab, Helen Vita, Margit Carstensen, Volker Spengler, Ulli Lommel, Brigitte Mira, Marquard Bohm, Ingrid Caven
Länge: ca. 112 Minuten
Verleih: Kinowelt

Zur DVD von Arthaus

Nachdem die DVD des Films vergriffen war, veröffentlichen Kinowelt den Film noch einmal unter ihrem Arthaus-Label mit verändertem Design. Bild und Ton sind exzellent, neben Trailern und Biografien enthält die DVD darüber hinaus den ersten Film Fassbinders, den Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ von 1966. Der Audiokommentar der Erstauflage hat es leider nicht auf die neue DVD geschafft.

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 1.0 Mono)
Extras: Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ (ca. 10 Minuten), Trailer, Biografien
Länge: ca. 112 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 19,99

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