Filmfest München 2007: Scheitern jenseits des Dschungels

Es fehlt ein wenig das, was Herzogs Werk so ausmacht: Das Hauptmotiv ist natürlich da, das Auflehnen eines Menschen gegen übermächtige Natur und/oder Umwelt. Aber das triumphale Scheitern, das fehlt. Zumindest auf den ersten Blick. Erst im Kontext mit „Little Dieter needs to fly“, dem anderen Dieter-Dengler-Film, zeigt sich, was „Rescue Dawn“ dann doch zu einem typischen Herzog-Film macht.


Dieter Dengler – ein Deutscher aus dem Schwarzwald, der unbedingt Pilot werden möchte – ist Protagonist beider Filme, in „Little Dieter“, einem Dokumentarfilm, noch selbst, in „Rescue Dawn“ dann, dem Spielfilm zur Vorgeschichte, gewohnt beeindruckend dargestellt von Christian Bale. Dengler wanderte nach dem zweiten Weltkrieg nach Amerika aus, wurde dort Kampfpilot und gleich bei seinem ersten Einsatz über Laos abgeschossen. Nach monatelanger Gefangenschaft im laotischen Dschungel gelang ihm die Flucht. „Little Dieter“ zeigt jetzt einen Menschen, dem es danach nie wieder gelungen ist, ein ganz normales Leben zu führen. Er horte seitdem Essensvorräte, lässt Herzog seinen Protagonisten erzählen, und er liebe das Geräusch sich öffnender und schließender Türen so sehr, dass er manchmal seine Haustür einfach mehrmals auf- und zusperrt. Dieter Dengler ist im Herzog’schen Sinne gescheitert: Ihm gelang die Flucht aus dem Lager, aber das richtige Menschsein ist ihm abhanden gekommen. Damit ergeht es Dengler wie den ganzen großen Herzog-Helden: Fitzcarraldo, Aguirre, Kaspar Hauser – der vordergründige Triumph vor den Menschen zum Preis der (Selbst-)Aufgabe vor der übermächtigen Umgebung.

„Rescue Dawn“ nun erzählt nicht die Geschichte des alten Dieter Dengler im Ruhestand, sondern jene des jungen (Bale), seine Zeit in Laos, Gefangenschaft und Flucht. Die Gefangenschaft kann Dengler nicht brechen, mit leuchtenden Augen erzählt er einem Mitgefangenen, warum er unbedingt Pilot werden wollte, in den gleichen Worten wie der echte Dieter Dengler im Dokumentarfilm: „And from that moment on, little Dieter needed to fly.“ Die folgende Flucht durch den Dschungel dann ist entbehrungsreich und gefährlich: Barfuß kämpft sich Dengler mit Gefährte (Steve Zahn) und Machete durch das Dickicht, sie haben kaum Proviant und noch weniger Kraft, sich wirklich gegen die Natur aufzulehnen, nur ihr Wille treibt sie vorwärts. Gerettet wird zum Schluss nur Dengler, sein Partner stirbt unterwegs, aber begleitet ihn dennoch weiter in Halluzinationen.

Das große Opfer, welches für die Rettung des eigenen Lebens zu erbringen war, wird in „Rescue Dawn“ nicht offensichtlich, und das macht den Film so untypisch für seinen Regisseur. Denglers Rettung erscheint als vollkommenes Happy End, und ohne Kenntnis des zugehörigen „Little Dieter“-Films wäre es das wohl auch. Der Verlust Denglers Freiheit und Unbeschwertheit hat in „Rescue Dawn“ kaum einen Platz, stattdessen steht hier der Triumph im Vordergrund. Am Ende des Films lässt sich Dengler auf seinem Flugzeugträger von der gesamten Besatzung als verlorener Sohn und Kriegsheld feiern, in einer restlos übertriebenen Zeremonie. Wie Fitzcarraldo, der schlussendlich doch die Oper in den Dschungel gebracht hat. Die Wunde sitzt tiefer.

Rescue Dawn
USA 2006
Regie: Werner Herzog
Buch: Werner Herzog
Kamera: Peter Zeitlinger; Schnitt: Joe Bini; Musik: Klaus Badelt
Mit: Christian Bale, Steve Zahn, Jeremy Davies, u.v.m.
Verleih: noch kein deutscher Verleih
Kinostart: noch kein deutscher Starttermin

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