Sass

Der Film erzählt seine Geschichte aus der Rückblende: die Gebrüder Franz (Ben Becker) und Erich (Jürgen Vogel) Sass sehen sich im Berlin der Goldenen Zwanziger vor Gericht einer Anklage wegen mehrfachen Einbruchs gegenüber. Sie tragen’s eher mit Fassung, und erzählen ihren Teil der Geschichte, der sich, wie wir durch die nun folgenden Rückblenden erfahren, nicht notgedrungen mit dem reellen Ablauf der Geschehnisse deckt. Der Beginn der Safeknackerkarriere ist reichlich unspektakulär: Als kleine Automechaniker im Arbeiterviertel Moabit holen sie sich nächtens das soeben ans Finanzamt abgedrückte Geld wieder, wobei sie nur äußerst knapp dem Zugriff der Exekutive entkommen. Doch sie haben Blut geleckt, unzufrieden mit ihren desolaten Lebensumständen wittern sie das große Glück und starten eine ausgelassen-fröhliche Bruchserie, verzehren sich als Emporkömmlinge nach dem Glamour, der Dekadenz des wilden Berlins jener Zeit. Vom Proletariat wie auch vom Boulevard quasi als Pop-Ikonen gefeiert, interessiert sich auch bald die Unterwelt für die beiden Neuen im Gewerbe. Dass solch schneller Ruhm nur selten unsanktioniert bleibt, weiß man aus zahlreichen anderen Genrefilmen – bald schon sehen sich die beiden „Umverteiler“ auf der Suche nach dem besseren Leben binnen kürzester Zeit nicht nur mit den Inspektoren der Polizei, die den beiden zwar heiß auf den Fersen sind, sie aber bislang keiner Tat überführen konnten, konfrontiert, sondern darüber hinaus auch noch mit dem „Establishment“ des organisierten Verbrechens.

Gefilmt hauptsächlich in Prag, fällt SASS vor allem durch seine visuellen Reize des „alten Berlins“ auf. Hier atmet der Film historische Authentizität und milieuverhaftetes Flair, sei es im traditionellen Arbeiterkiez oder auch auf dem Boulevard, in den Kaffeehäusern und den Kabaretts mit Separés. Diese Atmosphäre, im Aufbau fortgesetzt in den Dékors und der stilechten Kleidung, unterstützt von zahlreichen, so gelungenen wie dezenten, computergenerierten Effekten, trägt den Film noch bis zuletzt als stärkste aller Säulen. Es entsteht jedoch der Eindruck, man hätte sich vor allem aber allein auf das Visuelle gestützt, denn jenseits seiner Optik weiß SASS, leider, nur wenig zu überzeugen.

Die Geschichte, sie verspricht Glam, hemmungsloses Begehren und wildes Leben jenseits gesellschaftlicher Normen im nicht selten anarchisch-wildem Berlin jener Zeit, der Film scheint sich dessen aber nur selten bewusst zu werden oder sich dazu schlicht und ergreifend nicht durchringen zu können. Überraschend bieder gibt sich der Film über weite Strecken, anstatt hedonistischer Sünde und smartem Renegatentum herrscht eher Brüderlichkeitsschmalz und Sozialromantik. Man bekennt sich nicht wirklich zum Stoff, seinen Qualitäten, versucht lieber – eine Untugend im deutschen Film – es allen irgendwie recht zu machen, die Familien im Kinosaal, vor dem heimischen Fernseher zu versammeln, keine Kontroversen entstehen zu lassen. Zugegeben, hier und da springt mal eine nackte Frauenbrust ins Bild, wird sich mal ein wenig zur Lust am unrechtmäßig angeeigneten Mammon bekannt, nur muten diese Einsprengsel wie kleine Lichtblitze an, kleine Momente, in denen man sich bewusst wird, was für ein Film aus diesem Stoff, er beruht zum Teil auf wahren Begebenheiten, hätte werden können, unterstreichen somit eher noch die recht brave Trägheit des Films.

Hinzu kommt, dass auch die Dramaturgie nur wenig zu fesseln weiß. Erst passiert dieses, danach dann eben jenes, schließlich etwas anderes, ein Spannungsbogen indes ist nicht zu verzeichnen. Eher zerfasert sich der Film auf merkwürdige Art und Weise, konzentriert sich auf jenes, dann auf dieses, versteht es aber leider nicht, aus seinen Teilen – etwas Familienzwist, etwas Klassenbewusstsein, eine Liebesgeschichte aus alten Tagen, ein wenig Brüderlichkeit und Ganovenstreit – eine wirklich befriedigende Einheit zu konstruieren. So bleibt man eigenartig auf sich selbst zurückgeworfen, schaut eben nur zu, fiebert aber nur wenig mit. Vielleicht mag dies auch am auffällig gebremsten Spiel von Ben Becker und Jürgen Vogel liegen, die ansonsten doch beide eher für gehobene Schauspielkunst stehen, in diesem Fall aber schon beinahe zurückgehalten wirken und lange nicht ihr volles Potential ausspielen können. Das ist vor allem deswegen sehr schade, weil dieses Gespann, gerade auch in Verbindung mit diesem Stoff, wesentlich mehr in Aussicht gestellt hat als eine bloße Präsentation nicht genutzter Gelegenheiten. Da retten, wie gesagt, noch nicht mal mehr die tollen Stadtaufnahmen der Altstadt Prags, die gelungenen, detailreichen Interieurs und das ohne Zweifel vorhandene technische Know-How den Film. Schade.

Sass
Regie: Carlo Rola
Drehbuch: Holger Karsten Schmidt, Uwe Wilhelm
Kamera: Martin Langer
Schnitt: Friederike von Normann
Darsteller: Jürgen Vogel, Ben Becker, Henry Hübchen, Frank Sieckel,
Karin Baal, Otto Sander, Traugott Buhre, u.v.a

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