REZERVNI DELI

Zum dritten Mal wird im Wettbewerb das Phänomen der illegalen Migration behandelt. Nach IN THIS WORLD (M. Winterbottom), der die Flucht über die Kontinente zweier afghanischer Flüchtlinge strikt aus deren Perspektive beinahe schon dokumentierte, und LICHTER (H.-C. Schmid), der dem Thema aus deutsch-polnischer Perspektive vor allem auf ökonomischer Ebene begegnete, nun also REZERVNI DELI von Damjan Kozole, dem einzigen osteuropäischen Wettbewerbsteilnehmer dieser Berlinale, der sich vor allem auf die sogenannten „Schlepper“, in beiden vorherigen Filmen eher Randerscheinungen, konzentriert.

In Krsko ist das Leben eher trostlos, ein Atomkraftwerk, das einzige in Slowenien, und eine Rennbahn für MotoCross sind die einzigen Aushängeschilder der Stadt. Ludvik war einst, in den frühen Neunzigern, Landesmeister im MotoCross, heute fristet er als runtergekommener Truckfahrer sein Dasein. Seine Frau starb vor Jahren an Krebs, den er selber überlebte. Nachts schmuggelt er mit seinen Kollegen illegale Flüchtlinge an die italienische Grenze, die letzten Schritte müssen die Migranten selber tätigen. Rudi, der Neue im Team, ein jugendlicher Frischling unter den ansonsten dicken und bulligen Truckern, wurde ihm zum Einarbeiten zugeteilt, mit mehreren Spielchen testet er ihn, ob er denn auch „einer von ihnen“ sei. Dazu gehört dann unter anderem auch, dass er sich – wie zuvor seine Kollegen – über ein junges, mazedonisches Flüchtlingsmädchen herzumachen hat, die als Gegenleistung Penicillin für ihren schwerkranken Freund erhält. Schnell freundet er sich, zunächst sichtlich moralisch erschüttert über den Umgang mit den Flüchtlingen, über das trostlose Klima überhaupt, mit Ludvik an, nähert sich ihm und seiner trostlosen Existenz, verhärtet dabei emotional ebenso.

Die Flüchtlinge, eigentliche Leidtragende dieser Situation, finden bei Kozoles Film nur wenig Beachtung, wenn auch ihr Schicksal in den Händen der Schlepper eindringlich und sie klar als darob hilflose Opfer gezeichnet werden. Nein, er untersucht in seinem Beitrag vielmehr die zerrütteten Biographien der Schlepper, jener „Verbrecher“ also, wie die Regierenden der Festung Europa sie gerne verkürzend nennen, der Tatsache dabei offenbar nicht gewahr, dass sie doch erst mit ihrer rigiden Gesetzesgebung diesen „Berufszweig“ ermöglichen, um diese Schlepper geht es also, die die durch keine Instanz geschützten Flüchtlinge in ihrer Hilflosigkeit oft bis aufs Blut ausbeuten: eine Pizza für 50 Euro, eine Packung lebensrettendes Penicillin: Beischlaf mit 4 Männern. Mit eindringlichen und unheimlich trostlosen Bildern macht Kozole das, in denen er deren Lebensbedingungen zeigt, in einen sozio-historischen Rahmen einbettet, die „emotionale Vergletscherung“, wie Haneke das wohl nennen würde, in einer Biographie im Spiegel großer Umbruchzeiten und einer desolaten ökonomischen Situation begründet. Am Beispiel von Rudi, den der Film hauptsächlich begleitet, zeichnet er Schritt für Schritt den Abstieg von erstem, blanken Entsetzen über das unmenschliche Verhalten seiner Kollegen hin zur Verhärtung, die letzten Endes in tödliche Anteilnahmslosigkeit mündet. Etwa dann, wenn er, Rudi, die Flüchtlinge aus Zeitgründen nahe eines gefährlichen Bahngleises entlässt und sie am nächsten Tag auf Seite 1 der örtlichen Boulevardpresse als weiterer Fall für die Statistik wieder auftauchen.

Dabei ist der Blick auf diese Entwicklung kein verständnisheischender oder entschuldigender gar, wenn er auch die zu Beginn mit der Erniedrigung der jungen Mazedonierin etablierte Täterrolle der Schlepper zumindest am Beispiel von Ludvik in Frage stellt. Eindeutige Täter möchte der Film nicht nennen, dafür ist die Situation im Ganzen betrachtet zu desolat. Man könnte also vielleicht sagen, der Blick sei ein bedauernder, vielleicht sogar ein hoffnungsloser, der weder frei von Schuld reden noch anklagen möchte, sondern ein Problem beim Namen nennt, sich mit Ursachenforschung beschäftigt. Grund zur Hoffnung sieht Kozole in seiner Studie allerdings nirgends, zumindest gibt es dazu weder auf narrativer, noch ästethischer Ebene Anlaß. Von der EU als Heilsbringerin ist zwar einmal die Rede und dass Ludvik hofft, Zeit seines Lebens nicht Zeuge eines slowenischen Beitritts zum Staatenbund zu werden, würde ihm und seinen Kollegen ein solcher doch die Geldquelle nehmen. Das Problem an sich aber, die katastrophalen bis lebensbedrohlichen Bedingungen also, unter denen illegalisierte Flucht stattfindet, die katastrophalen Umstände, die aus Menschen zum Mitleid kaum mehr fähige Schlepper machen, wird damit indes auch nicht gelöst, daran lässt der Film keinen Zweifel. Das Elend wird nur verlagert, weg von hier, weg von Slowenien, hin zu anderen.

Ein überaus grimmiger Film also, in dem viel gestorben wird, viel provinzielles Elend zu sehen ist und noch größeres Flüchtlingselend. Ein etwas optimistischeres Bild zeigt der Film dann aber dennoch, am Ende, wenn man eine junge Frau sieht, die zwar just ihr auf der Flucht gestorbenes Baby begraben hat, sich aber anschließend umdreht und – einfach so – nach Italien läuft, hinein in die lichtüberflutete Landschaft, ins Tal hinab. Allein der Titel des Filmes vermag dieses in der Logik des Filmes irrational optimistisch anmutende Bild zu brechen: „Rezervni Deli“, das heißt „Ersatzteile“ auf slowenisch, so nennen Ludvik und seine Kollegen die Flüchtlinge. Weil sie in Italien von noch skrupelloseren Fluchthelfern als sie es schon sind als zu plündernde Organdepots mißbraucht werden. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Thomas Groh

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.