PTU

Reichlich humorvoll beginnt der Film, mit einem Gerangel um einen Tisch im Imbiß nämlich, um den sich ein jugendlicher Einzelgast, eine Gang von Punks und der dicke, nicht gerade sonderlich kompetente Polizeioffizier Lo streiten. Da sich unter den drei Parteien zudem drei Handies mit den gleichen Klingeltönen befinden ist das Chaos, sehr zu Freuden des Zuschauers, erst mal perfekt. Und dennoch: trotz allem lakonischen Witz liegen bereits in dieser ersten Konstellation alle Implikationen des weiteren, bitteren Geschehens begründet, welches PTU geschickt zu entfalten versteht.

Keine fünf Minuten später, der Film ruht sich dankenswerterweise nie sonderlich lange aus, ist man dann auch schon mittendrin: der Anführer der Punks, Ponytail, Sohn eines hohen Tiers bei den Triaden, ist tot, im Restaurant erstochen, Lo prügelt sich ein paar Gassen weiter mit dem Rest der Punks, die ihm den Wagen zerkratzt haben, vom Tod ihres Anführers aber noch nichts ahnen. Am Ende dieses Intermezzos liegt Lo brutal zusammengeschlagen und besinnungslos in der Gosse. Eine Gruppe der PTU, eine militärisch uniformierte und organisierte Polizei-Spezialeinheit, liest ihn dort nur wenig später auf. Wieder auf den Beinen bemerkt Lo das Fehlen der Dienstwaffe, ein Faux-Pas, der ihn um die für den nächsten Monat erwartete Beförderung bangen lässt. Eine Diskussion unter den PTUs bricht vom Zaun, die eine Fraktion will den Verlust, vorschriftsgemäß, umgehend melden, die andere indes Lo bei der Suche im nächtlichen Hongkong unterstützen. Man einigt sich zähneknirschend auf eine Frist bis vier Uhr morgens, stürzt sich in die Suche, ins „Hongkong von unten“, nicht nur, wie sich wenig später herausstellt, um Los Haut zu retten, sondern auch, um das Schlimmste – einen Rachefeldzug für Ponytails Tod, die Waffe dazu haben die Punks ja nun – zu verhindern. Dabei werden, neben Rückgratlosigkeit und Korrumpierbarkeit, gleichklingelnde Handies, soviel sei gesagt, eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

Immer wieder höchst eindrucksvoll, mit welcher Eleganz Johnnie To in seinen besten Momenten, dann nämlich, wenn man ihn fernab kommerzieller Auftragarbeiten arbeiten lässt, eine verstrickte, nein, besser: eine sich zunehmend verstrickende Geschichte erzählt, ohne dabei den roten Faden zu verlieren oder den Zuschauer mangels erzähl-technischer Finesse mit überbordender Komplexität vor den Kopf zu stoßen. Eine wahre Freude ist es, wenn sich die grimmige Geschichte entblättert, sich die Protagonisten, jeder auf unterschiedlichen Wegen durch das nächtliche Hongkong, immer tiefer in die Dynamiken der Unterwelt verirren, dabei doch, Lo allen voran, nichts weiter als ihren eigenen Hintern aus der prekären Situation retten wollen, und mit jedem Schritt doch nur tiefer im Morast versinken. Bis sich dann, am Ende, alle Fäden vereinen, einen gordischen Knoten bilden und sich, mit einem einzigen Hieb, dem unausweichlichen, wie immer, wunderbar melancholisch schönen Shoot-Out, durchtrennt, wieder auflösen. Bitter ist diese Geschichte, bitter und grimmig, denn eine Dichotomie von „Gut“ und „Böse“ gibt es hier kaum noch, auf hehre Ideale beruft sich eigentlich keiner der Protagonisten. Nachts sind alle Katzen grau in den Straßen von Hongkong.

Von betörender, wenn auch ganz eigener Eleganz auch die Optik des Filmes, ganz so wie man es von To gewohnt ist. Statt der glatt polierten Ästhetik der Oberflächen, wie man sie aus dem nicht minder eleganten RUNNING OUT OF TIME kennt, oder der opulenten „Oper“ aus FULLTIME KILLER, konzentriert sich To in PTU auf in mattem Licht in Szene gesetzte Bilder des Verfalls und der Zerstörung. Trostlose Keller mit einzeln herabhängenden Glühbirnen, runtergekommene Nebengassen, verrottende Bürokomplexe, in denen Junkies hausen, sind die für einen To-Film vergleichsweise ungewöhnlichen Schauplätze, auf die sich das Geschehen konzentriert, und mit seinen hässlichen Wunden, dem zerrissenen, vollgeblutetem Hemd, dem dicken Verband im geschwollenen Gesicht reiht sich auch Offizier Lo in diese, in ihrer Schäbigkeit häufig an raue Italo-Western erinnernde Ästhetik ein. Wie auch überhaupt die düstere Geschichte um die zwielichtigen Polizeibeamten häufig, im positiven Sinne, an bessere Momente der italienischen Western-Interpretation erinnert.

Mit seinem bislang wohl ambitioniertesten Projekt – wie der Regisseur in der der Vorstellung folgenden Fragestunde wissen ließ, habe er während seiner Arbeiten an PTU nicht weniger als sieben andere Filme gedreht, darunter auch rein aus kommerziellen Gründen entstandene (Auftrags-)Ware – hat sich Johnny To einmal mehr als einer der interessantesten Regisseure im Genre bewiesen. Ekkehard Knörer schreibt bei jump-cut.de: “Warum läuft er im Forum, warum, zum Teufel, soll das nicht gut genug sein für einen Wettbewerb […]?“ Dem kann man nur zustimmen! PTU ist ein beeindruckendes Highlight der diesjährigen Berlinale und das nicht allein deswegen, weil der Film dort – selbst noch vor Hongkong – als Weltpremiere zu sehen gewesen ist. Im nächsten Jahr, es ist davon auszugehen, dass workaholic Johnny To auch dann wieder einen neuen Film aus Hongkong im Koffer dabei haben wird, gibt es nur eine mögliche Sektion, wenn sich die Kommission nicht blamieren will. Ohne wenn und aber!

Thomas Groh

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