Lynch über Lynch

Es besteht eine eigenartige Diskrepanz zwischen dem, was David Lynch filmt und dem, was er über dieses Gefilmte sagt. Er verweigert nämlich nicht nur eine Deutung seiner Filme, sondern scheint die Fragenden auch bewusst in die Irre führen zu wollen mit Aussagen, die mindestens ebenso kryptisch sind, wie die Bilder zu denen sie gemacht werden. Interessanterweise ist aber genau das, was Lynch sagt, häufig das Einzige, was sich über seine Filme sagen lässt. Denn einen hermeneutischen Zugang, der zu einer schlüssigen Interpretation führen würde, findet man in keinem Film Lynchs. Allenfalls Signifikanzen – Bedeutungen für den einzelnen Betrachter -, die mehr gefühlt als gedacht werden, lassen sich Werken, wie Eraserhead (USA 1977), Blue Velvet (USA 1986) oder Lost Highway (USA 1997) entnehmen.

Merkwürdig ist nun, könnte man meinen, dass es so derart viele Bücher über Lynch gibt, die sich vornehmen, etwas über ihn und seine Filme zu sagen, jedoch alle auf diese Diskrepanz zwischen Bild und Bezeichnung hinweisen. Zu diesen Büchern hat sich nun ein Interviewband von Chris Rodley gesellt, der den Meister fast vollständig selbst zu Wort kommen lässt und ihm die Möglichkeit bietet, das Vakuum mit Aussagen zu füllen.
Die Fragen, die fast allen auf den Nägeln brennen, nämlich “Wie haben Sie dies oder jenes gemacht?”, oder, “Was bedeutet …”, scheut sich Rodley nicht zu stellen. So fallen dann allerdings die Antworten aus, wie in vielen Lynch-Interviews zuvor. Auf die Frage zum Beispiel, woraus das “Baby” in Eraserhead bestehe, antwortet Lynch: “Darüber will ich nicht reden.” Und als Rodley weiter fragt: “Haben Sie es gemacht?”, bekommt er zur Antwort: “Nein. Ich habe nichts gesagt. Ich sage überhaupt nichts.”

Mit solchen Frage-und-keine-Antwort-Spielchen lässt sich natürlich kein 350-seitiges Buch füllen. Dennoch lässt sich auch solchen Antworten einiges entnehmen. Die konsequente Verweigerung, das Gesehene zu Erklären, begründet sich nämlich auf dem Prinzip von Lynchs Arbeit. Er hat immer wieder betont, dass er mehr “mit dem Bauch als mit dem Kopf” filme, und dass seine Filme auch ebenso rezipiert werden wollen. So wichtig scheint ihm dies, dass er in Lost Highway gar beginnt, mit der Kopf-Logik derart zu spielen, dass jeder Zuschauer, der versucht Lynchs bislang letzten Film mit dem Kopf zu verstehen, hoffnungslos im Dunkeln tappt. Denn auch zu Lost Highway lassen sich eine Menge detaillierter Untersuchungen anstellen, die – an einem Ende angelangt – doch nur wieder inkohärente Einzelbeschreibungen ergeben.

Die Stärke des Interview-Buchs (und deshalb heißt es auch “Lynch über Lynch” und nicht “Lynch über seine Filme”) liegt vielmehr im Beschreiben des Produktionskontextes der mittlerweile acht Lang-, zwei Kurzfilme, drei Fernsehserien und des einen Musikfilms. Man erfährt Zahlreiches über die Vorbedingungen, die Produktion an sich, die Darsteller und wie Lynch auf seine Stoffe stößt. Angereichert wird das ganze mit dem Aufdecken von Bezügen, wenn Lynch zum Beispiel seine tiefe Verehrung für Kafka, Waters, Wilder oder Werner Herzog anspricht.

In dieser Hinsicht erfährt man auch fast mehr über Lynchs Filme, als in den direkten Fragen. Man erfährt, wie die Filme in seinen Bauch hineingekommen sind. So lassen sich die fragenden Stichelein Rodleys (der, obwohl er bestimmt von Lynchs Deutungs-Antipathie gewusst hat, immer mit großem Respekt vorgeht) vernachlässigen und die neun Interviews, die in dem Buch zusammengekommen sind, als wohl eine der wichtigsten Publikationen zu Lynch bezeichnen.

Dem Verlag der Autoren ist mit Lynch über Lynch ein Beitrag zur deutschsprachigen Lynch-Diskussion gelungen, der sich einwandfrei in das tadellose Gesamtprogramm des Verlags eingliedert und sicherlich nicht nur für Fans und Filmwissenschaftler interessant ist, sondern ebenso für alle, die ein Auge für diese “fremde und seltsame Welt” haben.

Chris Rodley (Hrsg.)
Lynch über Lynch
(aus dem Amerik. von Marion Kagerer)
Verlag der Autoren
21,00 Euro (Taschenbuch)

Stefan Höltgen

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