Lichtspiele

Anne Hoormann: Lichtspiele. Zur Medienreflexion der Avantgarden in der Weimarer Republik, München: Fink 2003

Licht ist ein ganz besonderes Phänomen. Von jeher wurde ihm neben seiner physischen eine metaphysische Qualität zugeschrieben, eine konkret lebensweltliche und eine symbolische Bedeutung. Neben naturwissenschaftlichen Erklärungen gab es okkulte, und diese Amalgamierung erhielt mit den physikalischen Entdeckungen seit dem 19. Jahrhundert eine neue Dimension: Die chemischen Prozesse der Fotografie kreierten eine neue, bald alltagsrelevante Kunstform, die physikalischen der Elektrizität hatten eine kulturrevolutionäre Wirkung. Einsteins an der Beugung der Lichtstrahlung nachgewiesene These vom gekrümmten Raum beeinflusste das naturwissenschaftliche Denken mit Konsequenzen für die Philosophie – und nicht nur dafür. Die Wahrnehmungs- und in ihrer Folge die Kunsttheorie nach der Jahrhundertwende meinten hier Begründungen aufnehmen zu können für ihre spezifischen Raum- und Wahrnehmungsprobleme, wie überhaupt die Kunstlandschaft dieser Zeit buchstäblich in neuem Licht erstrahlte. Licht wurde zum allgegenwärtigen Medium, das nicht nur den Alltag ganz anders als gewohnt erhellte, sondern ein neues Kunstmedium kreierte – den Film. Als Licht-Spiel fand er Eingang in die Medienlandschaft und wurde insbesondere in Deutschland, nämlich im deutschen expressionistischen Film, auf seiner materialen Basis sogleich in ein abgründiges metaphysisches Spiel von Licht und Schatten überführt.

Anne Hoormann setzt bei diesem breiten Spektrum physikalischer und okkulter, kultureller und medialer Praktiken und Reflexionen mit und über Licht an, um dann das Licht als Element und Thema der Avantgardekunst zu analysieren. Expressionismus und Futurismus, Dada und Bauhaus belebten Malerei, Fotogramm, Musik und natürlich Theater mit Lichtexperimenten und schufen so per Licht einen synästhetischen Effekt zwischen den Künsten. Dieser einsichtig belegten Erkenntnis folgt die zweite zentrale These des Buches, nach der über die Lichtkunst die Visualisierung und Medialisierung der Alltagskultur bezweckt und erreicht wurde. Neben der Architektur und der Gebrauchskunst erscheinen so die Lichtinstallationen der Experimentalkunst als drittes großes Gebiet, in der die Avantgarden ihr programmatisches Ziel umsetzen konnten, Kunst und Massenkultur zusammenzuführen. Diese Idee ist deutlich von der Selbstpräsentation der Metropolen inspiriert. Elektrisch erhellte Straßen und Plätze, Leuchtreklamen, Lichteffekte in Massenspektakeln trainierten neue Wahrnehmungstechniken nicht weniger als der bekannte Geschwindigkeitsrausch in der Moderne. Wenn Anne Hoormann daher konstatiert, dass die sozialen Vorstellungen des Bauhauses – und anderer Avantgarden -, Massenkultur mit Kunst zu sublimieren, letztlich nicht aufging, so vielleicht auch deshalb, weil die Alltagskultur viel zu breit entwickelt war, um sich von den ambitionierten Projekten kleiner Künstlergruppen steuern zu lassen. Die Eigendynamik der kulturellen Entwicklung reichte aus, um Licht-Spiele in der Werbung wie überhaupt im Architekturraum Stadt zu etablieren. Die Warenästhetik sollte heute den Ruch der bösartigen Verführbarkeit verloren haben wie auch die Illumination von Massenveranstaltungen, die in Deutschland bis auf weiteres zuerst die negative Konnotation der „Ästhetisierung der Politik“ assoziieren lässt. Aber nicht erst Fackelzüge und Albert Speers Lichtdom stehen dafür, dass Licht Aufklärung und, im Kontrast mit dem Dunkel, Dämonisierung symbolisieren kann. Nicht zuletzt bestand darin die ästhetische Raffinesse des expressionistischen Films, die filmgeschichtlich traditionsstiftend wirkte.

Anne Hoormann hat eine Fülle von Material aus der gut erforschten künstlerischen Moderne unter medientheoretischen Aspekten neu systematisiert. Ihr Ausgangspunkt ist die heutige, allgegenwärtige visuelle Massenkultur und ihre spezifisch technische Kreation von Bildkunst. Diese Arbeit leistet dabei eine ausgezeichnete Recherche und Präsentation der kunst- und kulturhistorischen Quellen, die in ihrer theoretischen und methodischen Aufbereitung beispielhaft ist.

Anne Hoormann
Lichtspiele. Zur Medienreflexion der Avantgarden in der Weimarer Republik
München: Fink 2003
369 Seiten, 50 Abb. (broschiert)
36,90 Euro

Dr. Sigrid Lange

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