Kurz vor viertel nach

Zuletzt hat es Pete Travis „Vantage Point“ (hierzulande unter dem Titel  „8 Blickwinkel“) wieder gezeigt: Film, das ist viel mehr als Literatur eine Kunst des Point of View. In dem Maße, wie eine Figur zum Erzähler wird, bestimmt sie nicht nur, was wir wissen, sondern wie wir dieses Wissen moralisch bewerten. Die Manipulation der Erzählzeit unterstützt den Effekt noch: Durch ein filmisches Zurückspulen wird es möglich, eine Begebenheit noch einmal von vorn und dieses mal anders zu zeigen. Diesen Effekt haben Filme wie Jim Jarmuschs „Mystery Train“ und die Werke des britischen Filmkünstlers Mike Figgis auf fruchtbare Weise genutzt. Greg Marcks’ „11:14“ steht in der Tradition jener Werke und versucht das Experiment zu einem Thriller auszubauen.

Die gefilmte Zeit umfasst nur die wenigen Minuten um die titelgebende 11:14 Uhr (nachts). Episodenhaft wird von einem Mann erzählt, der, weil er beim Autofahren telefoniert, einen Menschen überfährt. Die Polizeistreife, die am Unfallort vorbeikommt, hat bereits zwei Gefangene auf der Rückbank, die fliehen, als der Unfall aufgenommen wird. Die Flüchtigen, dass sind zwei Mitarbeiter eines Supermarktes, die einen Raub inszeniert haben, weil ein junger Mann die Abtreibung seiner Freundin bezahlen will. Diese Freundin verliert bei einem Sex-Unfall einen anderen Freund und flüchtet ebenfalls vom Unfallort, wobei sie auf ein paar Jugendliche trifft, die mit einem Lieferwagen eine rasante Spritztour durch die Nacht unternehmen. Mehr von Plot nachzuerzählen, hieße, dem Film seines zentralen Witzes zu berauben.

Im dem Maße wie „11:14“ die Geschichte(n), die er erzählt immer wieder neu perspektiviert, liefert er Informationen, die das bereits gesehene relativieren oder sogar in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Das passiert so oft, dass der Plot schließlich einer Looping-Fahrt mit der Achterbahn ähnelt. Das auf Hermeneutik geschulte Zuschauerbewusstsein wird dadurch nicht nur zu Höchstleistungen angespornt, sondern die oft allzu leicht vergebenen Sympathien an einzelne Figuren müssen durch die stete Neuanordnung der Dinge immer wieder revidiert werden, bis am Ende deutlich wird, dass es – wenn überhaupt – nur ein einziges Verbrechen gegeben hat und nur eine der Figuren wirklich „schuldig“ ist. Bis sich diese Erkenntnis einstellt, geht der Film allerdings über Leichen.

Besonders reizvoll an „11:14“ sind seine Darsteller. Marcks war geradezu gezwungen auf Schauspieler zurückzugreifen, denen noch kein Image anhaftet und ihre Darbietung ist dann auch durchaus dazu geeignet den Figuren immer wieder neue Charakterzüge zu verleihen. Dass sich in der Riege der Schauspieler auch Größen wie Patrick Swayze oder Hillary Swank finden (letztere dann doch durchaus typisch besetzt), macht die Sache nur noch reizvoller. Swayze hat ja bereits mehrfach bewiesen, dass er hinter der Maske seines Sonnyboy-Image durchaus ambivalente Figuren darzustellen in der Lage ist (etwa in „Donnie Darko“). Ein Film wie „11:14“ hat es dennoch nicht unbedingt leicht bei den Zuschauern, denn das Experimenthafte steht oft zu sehr im Vordergrund – zu sehr, um eine spielfilmgewohnte versunkene Rezeption zu ermöglichen. So ist „11:14“ vielen auch als „zu konstruiert“ aufgestoßen, andere haben das experimentelle zu sehr der Hollywood-Dramaturgie unterworfen gesehen.

11:14
(Elevenfourteen, USA/Kanada 2003)
Regie & Buch: Greg Marcks; Musik: Clint Mansell; Kamera: Shane Hurlbut; Schnitt: Dan Lebental, Richard Nord
Darsteller: Henry Thomas, Blake Heron, Barbara Hershey, Clark Gregg, Hilary Swank, Shawn Hatosy, Stark Sands, Colin Hanks, Ben Foster, Patrick Swayze, Rachael Leigh Cook u. a.
Länge: 86 Minuten
Verleih: e-m-s

Die Blu-ray von e-m-s

Der Film aus dem Jahre 2003 war bereits 2006 bei e-m-s als DVD erschienen und kommt nun vom selben Verleiher noch einmal auf Blu-ray heraus. Derzeit scheint e-m-s anzustreben, das neue Medium möglichst kostengünstig auf den Markt zu bringen – mit einem Preis von merklich unter 20 Euro gelingt dies auch. Leider gehen damit Abstriche an Ausstattung und Qualität einher: Das Bild des ausschließlich nachts spielenden Films ist oft körnig, die Kontraste zu niedrig. Richtiges Schwarz bekommt man nur selten zu Gesicht. Neben ein paar Trailern enthält die Blu-ray-Disc keine weiteren Extras, was angesichts der Speicherkapazität schon an Verschwendung grenzt. Gerade bei einem schon etwas älteren Film wäre hier mehr wünschenswert gewesen. Ob das Niedrigpreis-Argument nämlich angesichts solcher Defizite noch zählt, kann bezweifelt werden.

Zur Blu-ray im Einzelnen:

Bild: 1,85:1 (1080p/24p)
Ton: Deutsch (DTS HD 5.1), englisch (DTS HD 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 17,97 Euro

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