Den Krieg gibt es nicht

Dass es in einem Konflikt und damit erst recht im Krieg bedeutsam ist, welche Perspektive man auf das Geschehen einnimmt, hat zuletzt Brian de Palmas pseudo-dokumentarischer Irak-Kriegsfilm „Redacted“ gezeigt. Dort steht ein Kriegsverbrechen im Zentrum des Geschehens, ein Verbrechen, das zwar unzweifelhaft stattgefunden hat, aber aus ganz verschiedenen Blickwinkeln ganz unterschiedlich wahrgenommen wurde – vor allem angesichts der Schuldfrage. Einen ähnlichen Fall nimmt sich Ari Folmans Film „Walz with Bashir“ vor, der vom Krieg zwischen Israel und dem Libanon im Jahre 1982 erzählt. Besonders an dieser Erzählung ist einerseits, dass sie im Gewand eines Zeichentrickfilms daherkommt. Andererseits konstruiert sie die Ereignisse – oder eben die verschiedenen Wahrnehmungen davon und Erinnerungen daran – aus Gedächtnisfragmenten.

Der, der sich erinnern will, ist Ari. Außer einem immer wiederkehrenden Traumbild, in welchem er mit Kameraden nackt aus dem Meer heraus auf eine von Leuchtgranaten erhellte Stadt zugeht, ist ihm nichts von diesem Krieg im Gedächtnis geblieben. Also sucht er die damaligen Schicksalsgenossen auf und befragt sie nach ihren eigenen Erlebnissen und nach dem, was sie noch von ihm wissen. Zwischen die Episoden, in denen Ari diese seelisch auch heute noch vom Krieg gezeichneten Männer aufsucht, sind Gespräche mit Psychologen und Zeitzeugen (etwa aus dem Medien) geschaltet, die die subjektiven Perspektiven interpretieren oder um möglichst „objektive“ Erinnerungen erweitern sollen. Am Ende entblättert sich ein furchtbaren Trauma als der Grund für den Gedächtnisverlustes Aris. Ein Trauma, dessen Wurzeln tief in die israelische Kultur hineinreichen und die das Schweigen und das Vergessen eines Massakers an hilflosen Zivilisten beinahe zur Pflicht haben werden lassen.

„Walz with Bashir“ ist laut Aussage der Filmemacher der erste Zeichentrick-Dokumentarfilm überhaupt. Er ist jedoch keine reine Dokumentation – ein solches Projekt würde auch die Verwendung von Zeichentrick zumindest fraglich erscheinen lassen. Vielmehr verwebt der Film dokumentarische Interview-Szenen mit „Erinnerungsfilmen“ voller surrealer, manchmal komischer, manchmal tieftrauriger Sentenzen. Der Blick zurück in die frühen 1980er-Jahre ist dabei stets auch ein Blick auf die Kultur der Zeit, ein Wiederaufleben der Musik und des seltsamen Lebensgefühls zwischen Frontexistenz und Sorglosigkeit in den Heimatstädten der Soldaten.

Der besondre Clou von „Walz with Bashir“ ist dabei der Zeichentrick-Stil, der in nüchternen Momenten der Berichterstattung wie eine Roto-Animation wirkt, die Konturiertheit der Bilder weit zurückfährt, Gesichter beinahe zu Flächen reduziert und damit die Gegenwart weitaus „blasser zeichnet“ als die Erinnerungssequenzen. Diese bekommen mehr Farbe, mehr Dynamik und vor allem Stilistiken wie Zeitlupen, Zeitraffer und aufwändige „Kamerafahrten“ präsentiert. Der Eindruck entsteht, dass es für die sich Erinnernden trotz des Krieges eine schöne Zeit gewesen sein muss. Schön vor allem aber auch deshalb, weil es dieses „schwarze Loch“ gibt, das bis zum Ende des Films ausgespart bleibt: Die Massaker von Sabra und Schatila verübt von den Phalangisten an der palästinensischen Zivilbevölkerung und untätig beobachtet von den israelischen Soldaten. Ein interviewter Psychologe stellt die nicht ganz unrichtige Analogie zum Holocaust auf, in dem sich ein Volk ebenfalls durch seine Passivität mit einer unhinterfragbaren Schuld beladen hat.

Indem „Walz with Bashir“ sich als Erinnerungsfilm präsentiert, verhindert er das objektive Bild „eines Krieges“ zu zeichnen und entwirft vielmehr eine pluriperspektivische Sichtweise auf die historischen Ereignisse. „Filme sind doch eine Art Psychotherapie, oder?“, fragt eine Therapeutin Ari gleich zu Beginn und man ahnt, dass damit das Thema bereits vorgegeben ist. Sich Bilder von dem zu machen, was geschehen ist, aber um jeden Preis zu verhindern, dass diese Bilder als „die“ Wahrheit aufgefasst werden können – das ist das Vorhaben von „Walz with Bashir“. Dieses Vorhaben treibt er so konsequent voran, dass einem ganz am Ende, als sich die von Ari immer wieder geträumten Bilder in Realfilm auflösen und das Grauen als verschwommene Fernsehberichterstattung präsentieren, der Atem stockt. In diesem Moment verstummt der bis dahin kontinuierlich die Bilder begleitende Off-Kommentar der sich erinnernden. Denn die Bilder des Massakers teilen sich alle, die sie gesehen haben, ohne sie interpretieren zu müssen und ohne dass sie eine alternative Perspektive zulassen würden.

Walz with Bashir
(Israel/D/F 2008)
Regie & Buch: Ari Folmann; Musik: Max Richter; Schnitt: Feller Nili
Darsteller: Ron Ben-Yishai, Ronny Dayag, Ari Folman, Dror Harazi u. a.
Länge: 90 Minuten
Verleih: Pandora

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