Kinokrieg

Die Bilder wirken suggestiv. Geometrische Raster, mathematisch präzise, dem „Apparatprogramm“ verbunden, in gleich zweifacher Hinsicht: als ideologisches Konstrukt und in Form maschineller Aufzeichnung.

Der Autor bleibt Scherge, obskuren Machtprinzipien Untertan. Originär in ihrer Perspektive, generieren die Aufnahmen eine Sicht auf (Un)wohlvertrautes neu. Der sachliche Grundton zerbricht am kulturellen Kontext. emotionale Dichte entfaltet sich in zweiter Instanz, die Imagination trägt dem historischen Schrecken Rechnung. Die Ahnung überlistet das konkrete Detail.

„Mit der Kamera bewaffnet“, beleuchtet der Band unterschiedliche Kriegsschauplätze. In wechselnder Gestalt betritt er die verstreuten Bühnen menschlicher Tragik, wohlwissend der Tatsache, dass der jeweilige Blick ein individueller ist, subjektiver Ausschnitt eines fiktiven Ganzen, dessen abstrakte Anmut nicht global zu fassen ist.

die Rollenverteilung scheint zunächst ungewöhnlich. Kern der Auseinandersetzung bilden Positionen, die sich mit dem gängigen Stereotyp des Kriegsfotografen kaum vereinbaren lassen. Der intime Blick des Soldaten etwa, oder das kalte Auge der Luftaufklärung. Ehrgeizig verfolgen die Autoren diskursive Randnotizen. Indem sie scheinbar Beiläufiges beleuchten, bereichern sie die gegenwärtige Debatte mit neuen Perspektiven, liefern Stichpunkte für alternative Argumentationsweisen und erforschen die Grundlagen medienwissenschaftlicher Theoriebildung. Holzer etwa sieht das baudrillardsche Simulationsmodell bereits im Krimkrieg angelegt, dessen Verlauf die Schaustellerkultur in den Metropolen mit immensem Aufwand nachstellte. Angereichert mit allerhand Spekulation, probten die „Künstler“ etwaige Schlachtszenarien und schufen ein Potpourri der Möglichkeiten, dessen Halbwirklichkeit vom eigentlichen Kriegsgeschehen kaum mehr zu isolieren ist. Authenzität verkommt zur Floskel, ohne dass es technischer Entrückung bedarf.

Der aktuelle Bezug scheint allgegenwärtig, obwohl das Anliegen offensichtlich historischer Natur ist. Es geht um Aufklärung, Objektivierung, die Autoren sind bemüht, das soziale Gedächtnis zu verfeinern, den Blick auf vergangene Realitäten zu schärfen. Krieg ist Bild, Bild ist Krieg. Die Macht des Visuellen überlagert im kollektiven Erinnern den historischen Sachverstand.

Die Emanation des Referenten blendet aufdringlich. Bewusst oder unbewusst, ein Eindruck bleibt, jenseits ästhetischer Erwägungen. Die Unaufrichtigkeit im Hinterkopf, können wir doch nicht umhin, dem Bild ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit zu unterstellen. Wir wittern den Betrug, durchschauen den Eindruck als Fragment, als Passage aus einem Text, dessen Lektüre uns verschlossen bleibt (den zu zitieren wir dennoch nicht müde werden). In der Vorstellung gewinnen die Bruchstücke Kontur, verdichten sich zum eigenen Blick, zum individuellen Standpunkt.

„So I have heard, and do in part believe it”(2) erklärte Horatio im Hamlet, „so i’ve seen” könnte der gegenwärtige Befund lauten.

Holzer Anton (Hg.)
Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie
183 Seiten (gebunden)
Marburg: Jonas Verlag 2003
25,00 Euro

Daniel Peter

(1) erklärt Holzer und belegt das am Beispiel des ersten Weltkrieges, dessen Gestalt gerne auf die verlustreichen Grabenkämpfe an der Westfront reduziert wird, wohingegen das übrige Geschehen mangels bildlicher Bezeugung in den Hintergrund tritt.

(2) Shakespeare, William: Hamlet, 1. Akt, 1. Szene, Ditzingen, 1984
bzw. Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 1997

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