Katastrophenfilme

Manfred Hobsch: Das große Lexikon der Katastrophenfilme., Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag 2003

Nicht nur die Größe der Leinwand macht das Kino „bigger than life“, auch die darauf gestrahlten Spektakel lassen die Koordinaten des Alltags oft weit hinter sich. Besonders Katastrophen in allen Facetten und Erscheinungsformen gehören zu den sensationellen Dauerbrennern der Filmgeschichte: Die Darstellung sorgt für aufsehenerregende und gut vermarktbare Schauwerte, die das Publikum im sicheren Saal erstaunen und erschaudern lassen, die mit der Katastrophe einhergehende Schilderung persönlicher Schicksale sorgt für emotionale Rührung, das in der Regel siegreiche Überwinden für Triumphgefühle. Und natürlich lassen sich rückblickend auch ganz vortrefflich gesellschaftliche Diskurse anhand der Filme ablesen. Ob nun in den 50ern die Angst vor den Kommunisten den Ufos die Genese im Kinosaal bescherte, ob in den 90ern unbändige Naturgewalten die Metropolen bedrohten oder ob Godzilla über Jahrzehnte hinweg, ähnlich den Atombomben auf Hiroshima oder Nagasaki, jede nennenswerte Siedlung Japans platt walzte: Immer ist die filmische Erzählung von der Katastrophe auch die sozialer Befindlichkeiten und Selbstverständnisse.

In seinem „Lexikon der Katastrophenfilme“ versucht sich nun Manfred Hobsch an einer Katalogisierung des Topos. Ein schwieriges Unterfangen natürlich, da die Katastrophe im Film an sich noch keine Grundlage für ein fest umrissenes Genre bildet, sondern sich, dem Kriegsfilm nicht unähnlich, eher als bestimmende Kulisse eines davor sich abspielenden Horror-, Action- oder Science-Fiction-Film geriert. In einem dem lexikalischen Segment des umfangreichen Bandes vorangestellten knappen Aufsatz arbeitet Hobsch dennoch, vornehmlich unter Rekurs auf zahlreiche Quellen, einige Motive und Regularien des Katastrophenfilms heraus, die den folgenden Korpus grob definieren und an den Rändern dennoch ausreichend Spielraum gewähren. Dennoch verwundert es zumindest ein wenig, dass sich unter den aufgelisteten Filmen dann auch etwa Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum (UK 1968) findet, was im Text etwas bemüht gerechtfertigt wird: „… der intelligente Bordcomputer ihres Raumschiffs, HAL, macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die Mission endet mit einer Katastrophe.“ Dass man auf der anderen Seite dann aber etwa The Texas Chain Saw Massacre (USA 1974), der mit ähnlicher Begründung erwähnt werden könnte, oder M. Night Shymalans Signs (USA 2002), der unter dem Aspekt des Invasionsfilms nun ganz gewiss einen Eintrag verdient hätte, übergeht, erscheint nicht sonderlich plausibel. Allerdings lassen sich solche Unschärfen am Rande in einem Lexikon, dessen Gegenstand an sich schon nicht klar zu umreißen ist, wohl wirklich kaum vermeiden.

Ansonsten weiß die Zusammenstellung zu überzeugen: Aufgelistet werden einige Hundert Titel mit den wichtigsten Credits und einer für lexikalische Verhältnisse überaus ausführlichen Inhaltsangabe, jeweils noch mit einem oder mehreren wertenden Zitaten meist zeitgenössischer Filmkritik aus so unterschiedlichen Quellen wie etwa dem Lexikon des internationalen Films oder aber auch TV Movie und Konsorten. Vor allem diese Zitate sind von großem Interesse, entsprechen sie doch, im Idealfalle, einem kleinen Überblick über die Rezeptionsgeschichte und bereichern das ansonsten sehr auf die Vermittlung bloß empirischer Fakten konzentrierte Buch. Erfreulich obendrein, dass man auch tiefer in den Kellern der Filmgeschichte geforscht hat und hierzulande gerne von der Zensur weggesperrte oder schlicht weitestgehend in Vergessenheit geratene Filme, wie etwa einige Schlüsselfilme des italienischen Splatterfilms, mit einreiht. Ausgesuchtes Bildmaterial, dem man vielleicht nur hier und da ein wenig mehr Platz und ein etwas qualitativ geeigneteres Papier als Grundlage gewünscht hätte, sorgt obendrein für eine erfreuliche Abwechslung in der Gestaltung der großen Masse an Text.

Gewiss, ein so leidenschaftlicher Band wie das aus gleichem Verlagshause stammende Italowestern-Lexikon, mit seiner bald schon unüberschaubaren Fülle an akribisch zusammengetragenen Hintergrundinformationen, historischen Fakten und Filmvorstellungen, ist das Katastrophenfilm-Lexikon nicht geworden. Eine weitgehend solide und überzeugende Zusammenstellung von Filmen anhand eines bestimmenden Topos mit genügend Informationen, um auch jenseits der bloßen Auflistung bestehen zu können, die man gerne zu Recherchezwecken aber auch zum entspannten Schmökern und Filme-Entdecken zur Hand nimmt, ist Manfred Hobsch allemal gelungen.

Manfred Hobsch
Das große Lexikon der Katastrophenfilme
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003
770 Seiten, zahlreiche Abbildungen
24,90 Euro

Thomas Groh

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