IT’S ALL ABOUT LOVE

Was für ein Kontrast! Thomas Vinterberg hat seinen ersten Film nach DOGME 1:FESTEN nun wirklich auf jeder denkbaren Ebene gegen die Richtlinien des berühmt-berüchtigten Filmregelwerks gestaltet: Die Handlung wurde in die nahe Zukunft, ins Jahr 2021, verlegt, die Bilder des Filmes sind durchkomponiert, es gibt Set Designs, Studiobauten und einen eigens eingespielten Score. Kurzum, mit jeder Einstellung scheint sich IT’S ALL ABOUT LOVE von den formalästhetischen Dogma-Grundsätzen distanzieren zu wollen. Im Falle von Thomas Vinterberg, der das Dogma-Konzept einst mit Lars von Trier ins Leben gerufen und mit am vehementesten proklamiert hatte, kann das nur im Zusammenhang, vor allem aber als Statement gelesen werden.

Ein weiteres Indiz einer ganz bewussten Distanzierung: bei IT’S ALL ABOUT LOVE handelt sich um einen Genre-Film, einen Paranoia-Thriller, um genau zu sein, angesiedelt irgendwo zwischen Hitchcock, an den der Film aufgrund seiner nostalgischen Interieurs oft erinnert, Lynch und Polanski. Zumindest gilt dies für die erste Hälfte des Filmes, in der die Geschichte von John, der seine Noch-Ehefrau, die weltberühmte Eiskunstläuferin Elena, in New York kurz zum Vollzug der Scheidung besuchen kommt, noch voll zu überzeugen weiß. Aus dem geplanten Kurzaufenthalt wird jedoch ebenso plötzlich wie unverhofft ein längerer, denn Elena kann John nicht am Flughafen treffen, sie müsste ja eh nur kurz die Scheidungspapiere unterschreiben, dann könnte John auch sofort weiterfliegen. Nein, anstelle ihrer Person warten zwei Männer auf John, eher verschwiegen statt kooperativ. Sie könne nicht persönlich kommen, sagen sie, er solle doch bitte mitkommen, Elena habe heute Arbent eine Premiere, wünsche ihn dort dringend zu sehen. Ehe er sich also versieht steckt John auch schon mittendrin in der Paranoia, findet sich selbst in einem nahezu undurchdringbaren Komplex wieder, bestehend aus einer mysteriösen wie allmächtig anmutenden Großfamilie, einem uralten, labyrinthähnlichen Hotel, das mittels seines Ambientes eher wie eine Enklave außerhalb des Zeitflusses wirkt, und so seltsam-flüchtigen wie geisterhaften Mädchenerscheinungen in den dunkelsten Ecken des Hotels. Als auch Elena von dieser Paranoia ergriffen wird, sie vor all dem Trubel fliehen, sich und ihr Leben in Sicherheit bringen will, beginnt eine surreale Reise durch eine Welt, die im Begriff ist, mit jedem Tag mehr aus den Fugen zu geraten: Menschen sterben auf den Straßen, bleiben dort unbeachtet liegen, in New York beginnt es mitten im Sommer zu schneien, überhaupt kühlt der ganze Globus gefährlich ab und in Uganda versagt die Schwerkraft, die Menschen schweben davon. Eine Welt, die, wie wir hören, von der Liebe verlassen wurde.

„It’s like in a dream“, hört man im Abspann eine Frau singen, dieser Satz ist bezeichnend für den Film. Nicht nur die Ästhetik des Filmes – ausgeblichene Creme-Farben, getaucht in weiches Licht, Set-Designs, die ständig zwischen Nostalgie und postmodernem Popzitat pendeln, an Märchen erinnernde Bildmotive – scheint einen Traum Film werden zu lassen, auch die Geschichte und die Art, mit der sie vorgetragen wird, legen dies nahe. Nicht wenige der Paranoia-Mysteries der ersten Hälfte des Filmes werden nur halb oder gar nicht aufgelöst, einige Wendungen der Story erscheinen sprunghaft und weder psychologisch noch narrativ, sowohl im Vorfeld wie auch im Nachhinein, legitimiert. Vieles scheint darauf hinzudeuten, dass nicht etwa die Protagonisten, auf welcher Seite des paranoiden Systems sie auch stehen mögen, die Handlung vorantreiben, sondern dass allein die Geschichte selbst es ist, die sich fort- und weiterdenkt, mit dem Geschehen und den Protagonisten spielt. Wer nun aber träumt – ein Mensch aus dem Film, der Regisseur, der Kinobesucher – wird nicht ausformuliert, es wird auch nicht angedeutet. Es wird lediglich nahe gelegt, dass unter Umständen ein Traum stattfindet.

Nun hat David Lynch mit MULHOLLAND DRIVE ein eindrucksvolles Experiment durchgeführt, wie man die Logik des Traumes, wie man die Verschiebungen subjektiver Wacheindrücke in neurotische (Alp-)Traumwelten filmisch nachzeichnen könnte. Bei Vinterberg indes scheint eher die Devise zu herrschen, dass ein als Traum interpretierbarer Film dem Regisseur einen Freibrief zur Willkür, zur Beliebigkeit von Form und Handlung ausstellt. So sackt der Film nach der ästhetisch wie narrativ äußerst eindrucksvollen ersten Hälfte mit einem Male rapide ab, verlässt die Pfade des Paranoia-Thrillers mittels einer eher unspektakulären wie banalen Lösung nahezu vollkommen, drosselt das Tempo zum Beinahe-Stillstand und vergeistigt sich in einen ebenso kitschigen wie unfreiwillig komischen Liebesfilm, dessen seltenen, lichten Momente mit etwas weniger Lust am überbordend Theatralischen vielleicht sogar recht ansehnlich geworden wären.

Nach dem Kino bleibt ein äußerst unbefriedigender Film in Erinnerung, der seine zahlreichen Möglichkeiten auf narrativer und ästhetischer Ebene zugunsten zweifelhafter Ambitionen verschwenderisch verschenkt. Künstlerische Wiederholungen, so Vinterberg, die wolle er um jeden Preis vermeiden, neue Wege wolle er gehen, sich selbst weiterentwickeln und mit dem Alten brechen. In der Logik seiner Filmographie entspricht dies genau jener willkürlichen Phantastik, wie sie IT’S ALL ABOUT LOVE darstellt. Das ist sehr schade, ist Vinterberg doch unter dem Druck eines rigiden Regelkorsetts, wie wir alle wissen, zu Höchstleistungen fähig. Auf der offiziellen Website von Dogma’95 findet sich als letzter Newseintrag schlicht: „The Dogmesecretariat is closing, June 2002“ .

Thomas Groh

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