Hiss, hiss, der Schlangenmann

Dass der Horrorfilm bei aller Zeigefreude im Grunde seines Herzens ein prüdes Genre ist, ist nicht erst bekannt, seit diverse Maskenmänner mit langen Dolchen Jagd auf allzu freizügige Teenager machen. Können triefende Wunden, abgeschnittene Gliedmaßen und ausgeräumte Bauchhöhlen sonst kaum detailliert genug ins Bild gerückt werden, werden charakteristische Körperteile oft mittels ungemein einfallsreicher Methoden verschleiert, verdeckt oder – die Radikallösung – auch dann nicht entblößt, wenn es die Situation eigentlich zwingend erfordert. Besonders beliebt ist sicherlich das Verbergen der Geschlechtsteile hinter am Set befindlichen Gegenständen (einst trefflich vorgeführt in „Austin Powers“). Im Falle von „Ssssnake Kobra“ musste Regisseur Bernard Kowalski besonderen Einfallsreichtum aufbringen, weil sich offensichtlich keine geeignete Kameraposition finden ließ, um die Genitalien seiner Hauptdarsteller Dirk Benedict und Heather Menzies zu verdecken. Was könnte in einem solchen Fall einfacher sein, als die verhüllenden Blätter eines Baumes auf das Kameraobjektiv zu malen? Eine Szene, die einen in ihrer geradezu rührenden Prüderie geradewegs in die Fünfzigerjahre katapultiert und damit in eine Zeit, in der Filme wie „Ssssnake Kobra“ Hochkonjunktur hatten.

51wktuhinwl_ss500_.jpgDr. Carl Stoner (Peckinpah-Veteran Strother Martin in seiner einzigen Hauptrolle) ist ein Schlangenexperte, für den es aufgrund seiner eigenbrötlerischen Art und exzentrischen Ansichten nie zu einer akademischen Laufbahn gereicht hat. So verdient er sich sein Geld durch zaghafte Zuschüsse sowie bei seinen öffentlichen Schlangenfütterungen und versichert sich zudem der unentgeltlichen Hilfe wissbegieriger Studenten. So wird ihm der junge David Blake (Dirk Benedict) empfohlen, dem er sogleich beginnt Schlangengift zu injizieren; um ihn zu immunisieren, wie er behauptet. Doch stattdessen geht eine merkwürdige Veränderung mit David vor. Gleichzeitig taucht auch die Polizei bei Dr. Stoner auf, weil jede Spur von seiner letzten studentischen Hilfskraft fehlt. Ob der Mitleid erregende Schlangenmensch in der Freakshow des lokalen Zirkus etwas damit zu tun hat?

„Ssssnake Kobra“ ist ein klassischer Mad-Scientist-Film wie sie vor allem in den Fünfzigern im Zuge neuer geheimnisvoll und bedrohlich anmutender wissenschaftlicher Errungenschaften wie Pilze aus dem Boden schossen. Meist in der Science Fiction verortet, machen sie einen Wissenschaftler zum Protagonisten, der zugunsten seiner grotesken Experimente jegliche Moral und Demut hinter sich lässt. Der natürliche Forscherdrang weicht mehr und mehr dem Wahnsinn. Unschuldige fallen ihm zum Opfer, bis er am Ende von seiner eigenen Erfindung „bestraft“ wird, um so eindrücklich zu demonstrieren, was passiert, wenn man sich an Gottes Werk vergreift – da wäre dann der Bogen zum eingangs erwähnten Puritanismus geschlagen. Der Mad Scientist ist aber natürlich eine tragische Figur: Sein Intellekt und seine unstillbare Neugier machen ihn zum Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft, die für ihn durchaus zum Greifen nah ist. Es ist die Übersteigerung seiner positiven Eigenschaften, die die Menschheit in die Katastrophe und ihn in den Tod stürzt. So stirbt mit dem Mad Scientist immer auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und macht der erneuten Erkenntnis Platz, dass der Mensch unvollkommen ist.

sssssss_snake_boy1.jpgDementsprechend ist auch Dr. Stoner ein durchaus liebenswürdiger älterer Herr, der in seiner Liebe zu Schlangen und seiner Arbeit mit ihnen völlig aufgeht. Anstatt sich innerhalb des akademischen Betriebes als selbstgerechter Zampano zu gerieren wie sein ehemaliger Freund Dr. Daniels, arbeitet er daran, seinen Traum zu verwirklichen. Doch es ist dieser Traum, der mehr und mehr zum Problem wird. Weil Stoner von den Menschen, die ihn zum Außenseiter stempelten, enttäuscht ist, will er eine neue, bessere Rasse züchten, eine Kreuzung aus dem unvollkommenen Mensch und der Schlange, die für ihn der perfekte Organismus ist. Mit diesem Wunsch zieht er aber den unschuldigen und unwissenden Blake ins Verderben (bereits im Prolog wird angedeutet, dass es einen zweiten Unglücklichen gibt, besagten Schlangenmensch aus dem Zirkus) und wird so selbst zum Monster.

„Ssssnake Kobra“ ist ein hübscher kleiner B-Horrorfilm, der von dem souveränen und rührenden Spiel Strother Martins, den überzeugenden Make-up-Effekten und den spektakulären Schlangenszenen (alle Schauspieler arbeiten sichtbar ungeschützt mit Kobras und Pythons) ebenso profitiert wie von der abstrusen, aber todernst vorgetragenen Story und den hoffnungslos antiquiert wirkenden visuellen Effekten, die am Ende zum Einsatz kommen. „Ssssnake Kobra“ ist ein wunderbar harmloser und vergnüglicher Film, nicht mehr als eine Fußnote in der Filmgeschichte zwar, aber eben eine, von der man sich gern vom eigentlichen Text ablenken lässt.

Ssssnake Kobra
(Sssssss, USA 1973)
Regie: Bernard L. Kowalski, Drehbuch: Hal Dresner, Daniel C. Striepeke, Kamera: Gerald Perry Finneman, Musik: Patrick Williams, Schnitt: Robert Watts
Darsteller: Strother Martin, Dirk Benedict, Heather Menzies, Richard B. Shull, Reb Brown
Länge: ca. 94 Minuten
Verleih: Koch Media

Zur DVD von Koch Media

Koch Media spendiert diesem kleinen vergessenen Film eine wunderschöne DVD, die im hübsch gestalteten Pappschuber mit vierseitigem Booklet daherkommt. Bild- und Tonqualität sind sehr gut, neben dem Trailer ist außerdem die 16-minütige Super-8-Fassung des Films zu finden. Eine tolle Veröffentlichung, die man durchaus als Pflichtanschaffung für Freunde des abseitigen Films bezeichnen kann.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,85:1
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)
Extras: Trailer, Bildergalerie, Super-8-Fassung
Länge: ca. 94 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 19,89 Euro

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