Eine fremde, seltsame Welt

Der im Jahr 2000 verstorbene New Yorker Paul Bartel war vieles zugleich: Drehbuchautor, Regisseur, Produzent, Komponist – zuallererst und am häufigsten jedoch war er Schauspieler. Dort, wo er zu sehen war, brachte er oft eine nur schwer zu benennende Komik in die Film ein; seine Figuren waren nicht selten angelegt zwischen Spießer, Vaterfigur und nonkonformistischem Egozentriker. Häufig war er nur eine Randfigur, wurde – wie etwa in Carpenters „Escape from L.A.“ – nur für einen kurzen Auftritt in einer Nebenrolle gecastet. Doch solche Figuren holten stets aus immer das Image Bartels in die Filme mit ein. Sein vielleicht wichtigster Film, weil er in ihm die meisten Funktionen übernommen hat (eigentlich alle oben aufgezählten), ist jedoch der 1982 entstandene „Eating Raoul“, der das Image Bartels wie kein zweiter festigte.

Bartel spielt darin den Weinliebhaber Paul, der zusammen mit seiner als Krankenschwester arbeitenden Ehefrau Mary (Mary Woronov) nur von dem einen Wunsch beseelt ist: genug Geld zusammen bekommen, um eine Anzahlung auf ein kleines Häuschen außerhalb New Yorks zu leisten, in welchem die beiden dann ein Delikatessen-Restaurant eröffnen wollen. Genau dieses Geld fehlt ihnen aber und als Paul wie schon so oft einen Arbeitsplatz verliert, weil er sich weigert die Kunden für blöd zu verkaufen, sieht es schlecht mit der Anzahlung für das Haus aus. Mary versucht einen Kredit bei beider Hausbank zu bekommen, doch der Kreditvermittler hat nur das Eine im Sinn als er sie sieht und versucht ihr Sex gegen einen Darlehen abzupressen. Da sowohl Mary als auch Paul sich wenig aus körperlicher Liebe machen, platzt das Geschäft zwar aber es tut sich ihnen eine Idee auf, wie sie an Geld kommen können: Sie eröffnen ein S/M-Studio, um darin die sich Mary sowieso ständig aufdrängenden Männer als Kunden zu empfangen, ihnen bevor es zur Sache geht eins mit der Bratpfanne überzuziehen, sie auszurauben und im Müllschlucker zu entsorgen. Das Geschäft floriert, bis der Schlosser Raoul (Robert Beltran) auf den Plan tritt und mitbekommt, worin der Job der beiden besteht. Anstatt sie jedoch zu erpressen, bietet Raoul an, noch mehr Geld aus den Morden zu ziehen, indem er die toten Körper der Sex-Kunden an eine Hundefutterfabrik und deren Autos an Gebrauchtwarenhändler verkauft. Die Aufträge für Paul und Mary werden immer umfangreicher und sie verlieren einander immer öfter aus den Augen. Dies ausnutzend beginnt Raoul das geordnete, frigide Leben des Ehepaars durcheinandezubringen und verführt Mary. Zusammen mit ihrem Mann sieht sie letztlich nur eine Möglichkeit, sich des Problems „Raoul“ zu entledigen …

Die Welt von Paul und Mary ist eine seltsame. Schon gleich zu Beginn des Films bricht das Böse in Form ungezügelter Sexualität über die Helden herein – auf der Etage, auf der auch ihre Wohnung liegt, wohnen Prostituierte, deren Freier sich regelmäßig in der Tür vertun, ständig werden überall Orgien gefeiert, Mary wird von einem überaus penetranten Patienten ihres Krankenhauses mit Anzüglichkeiten belästigt und so erscheint es schon beinahe als Notwehr, wenn Paul und Mary sich nur mittels Gewalt ihrer libidinös überreizten Zeitgenossen erwehren können. Indem der Film diesen Kontrast gleich zu beginn aufspannt, zieht er seine Zuschauer auf seine Seite, macht sie zu Komplizen der frigiden Gutmenschen Mary und Paul. Mit Raoul droht die Sexualität in die scheinbar vollkommene Zweisamkeit einzubrechen, derer sich beide nur dadurch zu erwehren wissen, dass sie sie dieses mal nicht „abspalten“, sondern sie sich schlicht und ergreifend „einverleiben“.

Das titelgebende Raoul-Essen steht dabei scheinbar als Höhepunkt und gleichzeitig Pointe am Ende des Films und zunächst verwundert es etwas, dass Bartel diesen Höhepunkt quasi schon an der Kinoeintrittskasse durch den Titel seines Films verrät. Der kannibalische Akt, der der einzige manifeste des Films ist, bildet jedoch gar keine Wende in der Handlung, sondern nur die konsequente Ausformulierung des Sexualdiskurses, welcher während des gesamten Plotverlaufs in der Kreuzug von „Ficken“ und „Essen“ schon angelegt zu sein scheint. Man könnte hier einmal mehr auf Kleists „Penthesilea“ verweisen, bei der ebenfalls im Taumel der sexuellen Raserei der Kannibalismus Einzug hält. Bartels Film ist jedoch nicht der Höhepunkt einer tragischen Liebesgeschichte, sondern eine Liebesgeschichte, die bewusst auf Höhepunkte verzichtet, weil sie Komödie sein will. Und die zehrt ihr Potenzial zuvorderst aus der Verzerrung und Überzeichnung der sozialen Wirklichkeit, wie sie sich Bartel zu Beginn der 1980er Jahre dargestellt haben mag. Der Nexus zwischen Sex und Tod, zwischen Lust und Gefahr ist am Anfang des AIDS-Zeitalters, zumal in jener Stadt, die bereits damals die meisten Infizierten verzeichnete, überaus nahe liegend. Bartels Film ist also einer, der über die Angst lachen lässt und gleichzeitig – und damit wäre der puritanistisch-prüde Anschein als Ironie entlarvt – die Hysterie und ihre Apologeten ins Groteske überzeichnet. Dass der Regisseur sein eigenes Spießer-Image dazu nutzt, dem Puritanismus ein Gesicht zu geben, kann nicht anders als ein genialer Schachzug gewertet werden.

Eating Raoul
(USA 1982)
Regie: Paul Bartel; Buch: Paul Bartel & Richard Blackburn; Musik: Arlon Ober; Kamera: Gary Thieltges; Schnitt: Alan Toomayan
Darsteller: Paul Bartel, Mary Woronov, Robert Beltran, Susan Saiger u. a.
Länge: 83 Minuten
Verleih: Kinowelt

Die DVD von Kinowelt

Es handelt sich bereits um die zweite deutsche Auflage von „Eating Raoul“. Im Gegensatz zur ersten weist die Kinowelt-Ausgabe jedoch zusätzlich zur deutschen eine Originaltonspur auf. Damit erschöpft sich die Ausstattung der Edition jedoch bereits.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch (DD Mono), Englisch (DD Stereo)
Extras: Trailer
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 17,99 Euro

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