Der in der Moderne tendenziell totgesagte Körper ersteht wieder auf, einer unaufhaltsam fortschreitenden Biotechnologie und plastischen Chirurgie zum Trotz: Mit der facettenreichen Faszination des menschlichen Körpers vor allem im Medium Film beschäftigen sich gleich drei aktuelle Publikationen. Die Herangehensweise erfolgt aus kultur- und geisteswissenschaftlicher, phänomenologischer ebenso wie aus bewusst historischer Perspektive und im Fall der Untersuchungen zur Männlichkeit im Film aus der kritisch-wissenschaftlichen Blickrichtung der erst spät etablierten men’s studies. Gemeinsam untersuchen die Publikationen im Sinne der poststrukturalistischen Körpertheorie Foucaults die (im Genrekino: wunscherfüllende) Konstruktion des „natürlichen Körpers“ im Film und anderen Medien, analysieren ihn als Produkt heterogener sozialer Diskurse und gesellschaftlicher Praktiken.
Unter dem aus Billy Wilders Some like it hot entliehenen Motto No Body is perfect untersucht der 19. Band der „Arnoldshainer Filmgespräche“ Körperbilder im aktuellen Kino. Den Auftakt des insgesamt vierzehn Beiträge umfassenden Bandes bildet Marcus Stigleggers Analyse „Zwischen Konstruktion und Transzendenz“ zur filmischen Anthropologie des Körpers. Ausgehend von der filmischen Konstruktion des Körpers, seiner dergestalteten idealisierten Simulation, innerhalb derer durch Montage der vollkommene Mensch erst erschaffen wird, stellt der Text nachfolgend weibliche wie männliche Starimagines vor, deren Leinwand-Körper Wunschträume der Zuschauer erfüllen. Die „äußerste Körpererfahrung“, der Körper im Krieg, ist im Medium Film allgegenwärtig; Stiglegger geht exemplarisch auf ausgewählte Werke von Alain Resnais bis Steven Spielberg, deren audiovisuellen Körpererfahrungen durchaus kontrovers umgesetzt sind, ein. Sexualität, physischer Schmerz und Gewalt zum Zweck der Erweiterung des eigenen Empfindens sind dagegen zentrale Themen körperlicher Akte, die der postmoderne Film zeigt. Film erstrebe in seiner Beschäftigung mit dem Körper eine neue Authentizität, eine „filmische Wahrhaftigkeit“, indem er sich dem Körpern annähert (oder sogar in ihn eindringt), sich seinem Rhythmus anpasst. Film gehe, so Stiglegger, noch darüber hinaus und strebe letztlich gar nach der Transzendenz des Körpers, deren Scheitern uns der Beitrag jedoch auch vor Augen führt.
Welche Aufgabe den Geisteswissenschaften in Zeiten des Zustroms zu den so genannten „harten Naturwissenschaften“ zukommt, reflektiert der Beitrag von Gert Mattenklott. Die „Kartierung des Genoms“ liefere mitnichten bereits den Schlüssel des Lebens: Das Geheimnis des Körpers sei mit fortschreitender Biotechnologie noch lange nicht enträtselt. So fragt der Text Mattenklotts in seinem Titel bereits programmatisch „Unser Wissen von Körpern – Bild oder Code?“ Dem Geniestreich der Physiologie sei nicht zugleich die Lösung der Grundfrage der Anthropologie nach dem Wesen des Menschen gelungen, der aus geisteswissenschaftlicher Warte von Prometheus bis Golem oder Frankenstein nachgegangen wurde. Der gemeinsame Gegenstand der Natur- wie Geisteswissenschaften laute übergreifend „Was ist der Mensch?“, den jede Wissenschaft für sich, einander ergänzend und nicht konkurrierend, in ihrer je eigenen Sprache, analysiere und so ihre kulturelle Funktion einnähme. Anhand vierer Filme verdeutlicht der Text, in welch hohem Maß sich das „neue Wissen“ an „alten Bildern“ messen wolle und in welchem Umfang die Bilderwelt „im Zurückweichen vor dem neuen Wissen auch selbst alte und neue Potentiale“ erschließe.
Bärbel Tischleder setzt sich mit der „Aufwertung des Körpers im aktuellen Hollywoodkino“ auseinander, da der (Kino-)Spielfilm ohne Körper nicht vorstellbar sei. Zentral stellt der Text die in der Filmtheorie wie im amerikanischen Mainstream-Kino vertretene Angst vor dem durch Technik und Biotechnologie beherrschten Zukunfts-Körper einer Aufwertung des „natürlichen“, des durchaus „fehlerhaften“ Körpers gegenüber, dessen humanitäre Gesinnung jeden körperlichen Makel vergessen lassen und gleichzeitig mit diesem verbunden zu sein scheinen. Der Gefahr der Desintegration von Körper und Ich wird der Körper gegenübergestellt, der als Garant individueller Integrität und Handlungsfähigkeit gegen gesellschaftliche Zwänge mobilisiert werden kann.
Spannend und abwechslungsreich fragen auch die weiteren Beiträge wie sich unsere Wahrnehmungen, unsere Phantasien und unser Wissen vom Körper über (Kino-)Bilder erschließen lassen; signifikante Körperbilder werden in diesem Tagungsband unter anderem auf sie konstituierende ästhetische, politische oder theologische Fragen hin analysiert. Weitere Beiträge von: Gesine Kleinschmit, Hartmut Böhme, Georg Seeßlen, Heike Kühn, Marli Feldvoss, Claudia Lenssen, Margrit Frölich, Karsten Visarius, James Slawney, Werner Schneider-Quindeau und Reinhard Middel.
Margrit Frölich/Reinhard Middel/Karsten Visarius (Hgg.)
No Body is Perfect. Körperbilder im Kino
(Arnoldshainer Filmgespräche 19)
Marburg: Schüren 2002
198 S., Pb., zahlr. Abb., EUR 14,80
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Die Autoren des Tagungsbandes Körperproduktionen untersuchen insbesondere die mediale und strukturelle Verfasstheit des Körpers und seiner Bilder, wobei in Bezug auf das Korrelat Körper – Medium – Geschlecht eine bewusst historische Perspektive eingenommen wird. Während im ersten Teil der physische Körper als Funktion unterschiedlicher soziohistorischer Kontexte theoretisiert wird und im zweiten Abschnitt die Generierung des Körpers in vornehmlich textuellen Diskursen thematisiert wird, ist im dritten Abschnitt die Konstruktion von Geschlecht innerhalb visueller Medien zentral. Den Ausgangspunkt der Analysen bildet die These, dass der „natürliche“ Körper einen Effekt der Diskursivierung darstelle. Basierend auf der bioethischen Debatte, spiegeln alle Beiträge in strukturellen Untersuchungen den Prozess der „Sinnstiftung“ wider. Dabei liegen Judith Butlers „doing gender“ und Donna Haraways Begriff des „generativen Körpers“ den Fragestellungen nach Geschlechtskonstruktion bzw. -dekonstruktion zu Grunde. Die digitale Revolution, die den vermeintlich zukünftigen Körper zelebriert und abbildet, zeigt uns Körperbilder, „die alte Phantasmen und Vorstellungsmuster spiegeln“. So werden traditionelle Kodierungen stereotyper Geschlechterrollen auch in digitalen Welten fortgeführt und digitale Körper wie der Lara Crofts sogar „re-biologisiert“ in der Verkörperung durch die Schauspielerin, die „echte“ Frau, Angelina Jolie. Und doch gibt jedes weitere Bild der sexuell aufgeladenen neuen/alten „Superwoman“ ihren Konstruktions-Charakter preis. Insgesamt bestimme die digitale Revolution Wiedererkennung und nicht – wie man meinen könnte – Neuproduktion. Das am Computer generierte Körper-Bild bedürfe einer historischen Codierung der Realitätszugehörigkeit, um seinerseits als „authentisch“ wahrgenommen zu werden.
Die Körperproduktionen werden in einer diachronen und medienübergreifenden Perspektive von den vierzehn Autoren auf ihre Kontingenz hin analysiert und als Möglichkeit eines Potenzials von Veränderung begriffen.
Alexandra Karentzos/Birgit Käufer/Katharina Sykora (Hgg.)
Körperproduktionen. Zur Artifizialität der Geschlechter.
Marburg: Jonas, 2002
208 S.; Hardcover, zahlr. Abb. s/w und Farbe
EUR 25,00
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Geschlechtsspezifische Körperlichkeit in Form von Untersuchungen zum Thema „Männlichkeit im Film“ stellt der Sammelband Männer Machos Memmen vor. Der Band versammelt Texte im Umfeld der Disziplinen der men’s studies, die im Gegensatz zur feministischen Filmtheorie auch intrageschlechtliche Machtkonstellationen analysieren. Im Unterschied zu den Veröffentlichungen feministisch ausgerichteter Studien, gibt es kaum Publikationen, die sich mit Männlichkeitsbildern im Film auseinandersetzen. Diese Lücke möchten die dreizehn Autoren des Bandes schließen. Filmsoziologische Konzepte zur Analyse von Männlichkeit stellen Christian Hißnauer und Thoms Klein in ihrem Beitrag vor. Michael Gruteser bringt dem Leser komische Männerpaare des Films und damit die Existenz heterogener „Männlichkeiten“ näher – neben Stan Laurel und Oliver Hardy, begegnen wir Jerry Lewis und Dean Martin wie auch Ernie und Bert. Der uneingeschränkt erotischen Darstellung des männlichen Körpers im Film widmet sich der Beitrag von Thomas Klein – die „soziale Macht des Schönen“ aber auch die Bedingungen ihres Scheiterns werden analytisch anhand verschiedener Richard Gere-Filme vorgeführt. Die Autorin Stefanie Weinsheimer gewährleistet, dass der Leser keinen reinen „Männer-Band“ in Händen hält – ihre Untersuchung widmet sich der kontrovers diskutierten weiblichen Bonnie und Clyde-Verfilmung Baise moi und analysiert diesen Film als „Wegmarke in der Desorientierung der Geschlechter“. Dem vielseitigen Inhalt steht leider eine qualitativ minderwertige Verarbeitung des Buches gegenüber, da man schon nach wenigem Blättern einzelne Seiten entnehmen kann …
Mit weiteren Beiträgen von Walter Erhart, Andreas Blum, Norbert Grob, Thomas Morsch, Marc Oberländer, Andreas Rauscher, Marcus Stiglegger.
Christian Hißnauer/Thomas Klein (Hgg.)
Männer Machos Memmen. Männlichkeit im Film
Mainz: Bender Verlag 2002
294 Seiten, Pb.
15,90 EUR