Erst eine Kugel, die in seiner Medulla Oblongada stecken bleibt, kann den Polizisten Anthony Stowe (Jean-Claude Van Damme) stoppen – schon zuvor hatte sein Vorgesetzter ihm prophezeit, dass er seine neun Leben bald aufgebraucht habe. Anthony Stowe ist nämlich nicht nur der genretypische lone wolf, der Außenseiter, der bestehende Regeln und Vorschriften beugt oder gar bricht, er ist der sprichwörtliche bad cop und ein Schwein wie es im Buche steht: Er verprügelt und verrät seine Kollegen, betrügt seine Ehefrau, säuft und ist trotz seines Jobs bei der Drogenfahndung heroinabhängig. Sein ehemaliger Partner – sowohl als Polizist als auch als aufstrebender Dealer – und jetziger Gegenspieler Callahan (Stephen Rea) erinnert im Namen noch an den archetypischen Vigilantencop Dirty Harry. Und diese Umkehrung setzt sich auch darin fort, dass die im Actiongenre Recht sprechende bullet in the head aus der Waffe des Schurken stammt und die Wandlung des bad cops zum good cop überhaupt erst ermöglicht.
Kaum ein Genre wird so mit seinen Schauspielern und Figuren assoziiert wie der Actionfilm. Mit John Rambo, Colonel James Braddock, dem Terminator oder Paul Kersey sind auch deren Darsteller Sylvester Stallone, Chuck Norris, Arnold Schwarzenegger oder Charles Bronson untrennbar verwoben. Diese Verbindung hat der Actionfilm mit zunehmender Reife immer wieder reflektiert: Stallone parodiert seine Rollen mit Komödien wie „Stop! oder meine Mami schießt“ oder lässt sein Alter Ego Rocky Balboa im gleichnamigen Film von 2006 an seiner statt in den Ruhestand einkehren; Schwarzenegger steigt als sprichwörtlicher „Last Action Hero“ von der Leinwand in die Realität hinab; Norris muss in „Hero“ nach einer Psychotherapie von der Kampfmaschine zum Familienvater werden, um später in „Sidekick“ einem kleinen Jungen als dessen imaginiertes Filmidol beizustehen und Bronsons Altersmüdigkeit befällt in den Achtzigern mehr und mehr auch seine klischierten Rächerfiguren. Bei Steven Seagal lässt sich die Grenze zwischen eigener (erfundener) Biografie und der seiner Filmpersönlichkeiten überhaupt nicht mehr ziehen: Seagal ist Seagal ist Seagal – im echten Leben wie im Film. Aber auch an Jean-Claude Van Damme ist diese postmoderne Wandlung und Spiegelung nicht vorbei gegangen. So sah man den ehemaligen Balletttänzer, der immer der Schönling und Sonnyboy des Actiongenres war, in „Wake of Death“ von 2004 als innerlich gebrochenen Ex-Mafiosi, in dessen Gesicht sich die Folgen zahlreicher Prügeleien und – auch im echten Leben – ungehemmten Drogenkonsums abzeichnen. „Until Death“, sein aktueller Film, setzt diese Wandlung konsequent fort.
„Until Death“ von Simon Fellows knüpft an die Film-Noir-Tradition des Genres an, die sich vor allem in dessen Obsession mit dem undurchdringlichen und verfaulten Großstadtdschungel, seinen überfüllten Polizeistationen, schmierigen Bars, Hinterhöfen, Drogenlabors, Fabrikhallen, Industriebrachen und immer wieder nächtlichen Straßenzügen widerspiegelt (nicht umsonst ist die Nachtfahrt eines der ikonischen Bestandteile beinahe eines jeden Großstadtfilms: Michael Mann hat diesem Motiv mit „Collateral“ einen ganzen Film gewidmet). Diese Stadt ist hier New Orleans, die einen besonders morbiden Charme ausstrahlt und beinahe wie die eschatologisch überhöhte Vision dessen anmutet, was man dem amerikanischen Großstadtsumpf seit jeher prophezeit hat. Für Van Damme ist es zudem der zweite Besuch in dieser Stadt nach „Harte Ziele“ von 1993. Doch während er in John Woos Film als mythischer drifter aus Übersee dort ankam, als moderner Ritter, geht Anthony Stowe alles Ritterliche ab. Er ist die Apotheose des korrupten Bullen, eine Figur, die so kaputt ist wie seine Stadt nach dem Hurrikan Katrina, der anscheinend auch in Stowes Gesicht tiefe Furchen gezogen hat.
Aber Stowe war nicht immer dieses Schwein, davon zeugt eine nur noch auf dem Papier bestehende Ehe, die ebenso kurz vor der Auflösung steht wie er selbst. Es ist natürlich das Verbrechen, die Aussichtslosigkeit seines Berufs, die Konfrontation mit dem Dreck, die ihn zum heroinabhängigen Wrack und zum Nihilisten gemacht hat, auch wenn das in „Until Death“ gar nicht mehr kommuniziert werden muss. Vor seinem Abstieg in die Hölle kann Stowe nur noch eines bewahren: ein Neuanfang. Doch für diesen Neuanfang muss er erst sterben. So verwandelt sich „Until Death“ nach knapp 50 Minuten, wenn die ihn richtende Kugel in seinem Schädel einschlägt, in ein düsteres morality play, das die Wandlung des Misanthropen zum Helden zum Thema hat. Der mit schwindenden Sinnen und einem schwächelnden Körper ausgestattete Cop macht alte Fehler wieder gut, bereinigt die Spuren, die er hinterlassen hat, bittet seine ehemaligen Opfer um Verzeihung. Aber weil der Action- und Copfilm seine einstige Unschuld längst verloren hat, kann es nur noch temporäre Absolution für ihn geben. So stellt sich Stowe am Ende seiner Nemesis Callahan und nimmt ihn mit dorthin, wo er schon einmal für wenige Sekunden war, bevor ihn die Defibrillatoren wieder zurück ins Leben holten.
„Until Death“ ist ein recht typischer Vertreter des gegenwärtigen B-Actionfilms, der aus seinem Mitte der Neunzigerjahre angetretenen Tiefschlaf langsam aber sicher zu erwachen scheint. Neben dem schon genannten „Wake of Death“, Ringo Lams „In Hell – Rage Unleashed“ (ebenfalls mit Van Damme) oder Dolph Lundgrens „The Mechanik“, um nur einige zu nennen, wurde dem Genre eine echte Frischzellenkur zuteil. Die Strategie dieser Filme ist gleichzeitig eine Rückbesinnung auf alte Werte – Körperlichkeit und Brachialität –, aber auch eine neue Emotionalität: Diese erwächst ebenso aus einer Reflexion über die Mechanismen und Strukturen seines Genres wie auch aus einer betonten Ernsthaftigkeit. Die Späße der Neunzigerjahre, die Fragmentierung in „Nummern“, gimmickhaft gesetzte und ökonomisch über den Film verteilte Attraktionen, die Ironie, die die Protagonisten letzten Endes vom Zuschauer entfremden musste, sind verschwunden. Was geblieben ist, sind gängige Handlungsschemata, holzschnittartig angelegte Figuren und ebenso hölzern wirkende Nebendarsteller und eben die alt gewordenen Stars, die merklich gereift agieren und im Falle Van Dammes gänzlich ohne den früher unabdingbaren Signatur-Spagat oder die Zurschaustellung seiner Kampfkünste auskommen. Wenn Stowe in „Until Death“ um Wiedergutmachung bemüht ist, dann kommt man nicht umhin, dies auch auf den Schauspieler hinter der Figur zu übertragen. Die „Muscles from Brussels“ haben viele Kämpfe ausgetragen, viele Schläge ausgeteilt und eingesteckt. Die Karriere, die in den späten Achtzigern so viel versprechend begann, versandete irgendwann im Größenwahn und einer schlechten Rollenauswahl. Die neun Leben sind fast verbraucht. Vielleicht kann sich der Belgier mit Filmen wie „Until Death“ seine Absolution abholen.
Until Death
(Until Death, USA 2007)
Regie: Simon Fellows, Drehbuch: Dan Harris, James Portolese, Kamera: Douglas Milsome, Musik: Mark Seyfritz, Schnitt: Matthew Booth
Darsteller: Jean-Claude Van Damme, Stephen Rea, Selina Giles, William Ash, Mark Dymond, Stephen Lord
Länge: ca. 103 Minuten
Verleih: e–m–s
Zur DVD von e–m–s
„Until Death“ wird in einer ungeschnittenen Fassung und sehr ansprechender Bild- und Tonqualität präsentiert. Extras gibt es leider nicht, nur die obligatorische Trailershow.
Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (DTS 5.1)
Extras: Trailer, Trailershow
Länge: ca. 103 Minuten
Freigabe: Keine Jugendfreigabe
Preis: 14,99 Euro
Van Damme meldet sich zurück, allerdings von wo? Längst abgeschrieben als seichter B-Movie-Prügler mit leicht unterdurchschnittlichen Schauspielerqualitäten und Drogenproblemen zeigt er in diesem Film Format, in erster Linie wohl dank des Drehbuchs von Dan Harris und der Regiearbeit von Simon Fellows. Darüberhinaus bleibt uns ein rührseliges, irreales Happy-End erspart … wie selten. Ein bemerkensweter Van Damme „meldet sich nicht zurück“, er ist zum allerersten Male wirklich“da“. Der Film ist nicht notwendigerweise – wie in obiger Rezension – als „typischer Vertreter des B-Movies“ anzusehen … er driftet schon ein wenig in Richtung A-Liga. GH